Journalismus:"Münchner Merkur" trennt sich von freiem Mitarbeiter

"Unsere Zeitung zu Besuch bei Benedikt XVI.", titelte der "Münchner Merkur" Anfang Januar. Später stellte sich heraus, der Autor des Artikels war doch nicht selbst vor Ort gewesen.

Von Elisa Britzelmeier

Die Stimme des emeritierten Papstes klingt brüchig, er lebt zurückgezogen, unterstützt von seinem Privatsekretär Georg Gänswein. Soweit ist alles richtig, was am 4. Januar im Münchner Merkur über Benedikt XVI. zu lesen war. "Unsere Zeitung zu Besuch bei Benedikt XVI.", hatte die Redaktion den Text betitelt. War der Autor allerdings nicht, wie Chefredakteur Georg Anastasiadis auf SZ-Anfrage bestätigt, einen Besuch habe es nie gegeben. Man habe die Zusammenarbeit mit dem Autor beendet.

Die Entstehungsgeschichte ist eine auf Umwegen. Der freie Journalist hatte seinen Text auf Basis von Recherchen des Bayerischen Rundfunks geschrieben. Denn ursprünglich hatten Merkur und BR gemeinsam beim Vatikan angefragt. Das sei ein "mühsames, langes Ringen um Vertrauen" gewesen, sagt Tassilo Forchheimer, damals Rom-Korrespondent des BR, heute Leiter des Studios Franken. Schließlich durfte das BR-Team dann im September 2019 doch zum Papa emeritus - allerdings recht kurzfristig. Und auch deshalb ohne den Merkur-Kollegen, der gerade nicht in Rom war.

Die Geschichte las sich so, als sei der Reporter persönlich bei Benedikt XVI. gewesen

Entstanden ist daraus eine Dokumentation, die am 6. Januar im Bayerischen Fernsehen zu sehen war. Weil das Projekt gemeinsam geplant war, stellte Forchheimer dem Zeitungskollegen sein Material zur Verfügung. Der schrieb daraus einen Artikel - ohne die Kollegen Tassilo Forchheimer und Ellen Trapp als Co-Autoren zu nennen und ohne darin transparent zu machen, dass er selbst nicht dabei war. Vielmehr ist in dem Text vom "Duft nach süßen Mehlspeisen" zu lesen, ganz so, als sei der Reporter selbst vor Ort gewesen.

Nach eigener Aussage kannte der Journalist das Kloster Mater Ecclesiae, in dem der emeritierte Papst lebt, von früheren Besuchen. Für den Text habe er zusätzlich autorisierte Zitate von Gänswein verwendet. Dem Eindruck, er sei persönlich dagewesen, habe er nicht widersprochen, schreibt der Autor an die SZ. Dafür entschuldige er sich. Er habe sich umständliche Erklärungen ersparen wollen. Sämtliche Textstellen beruhten jedoch auf überprüfbaren Fakten. Und der irreführende Titel?

Wie genau es zu "Unsere Zeitung zu Besuch" kam, lässt sich wegen unterschiedlicher Aussagen nicht nachvollziehen. Der Autor sagt, er habe seinen Text mit einem anderen Titel abgeschickt. Die Redaktion platzierte eine Ankündigung des Textes samt großem Foto auf die Titelseite, gefolgt von der angeblichen Reportage auf Seite Drei.

Anschließend zitierte die Nachrichtenagentur dpa Aussagen Benedikts unter Berufung auf BR und Merkur. Weitere Medien, darunter auch die SZ, verwendeten diese dpa-Meldung. Später sendete dpa eine Korrektur.

Hinzu kommt, dass der Autor seinen Text nahezu wortgleich wie im Merkur über die Katholischen Nachrichtenagentur veröffentlicht hat. Chefredakteur Ludwig Ring-Eifel sagte auf SZ-Anfrage, man sei davon ausgegangen, dass der freie Autor selbst vor Ort war. Dort aber wählte die Redaktion die Überschrift "Ich bin ein alter Mann am Ende meines Lebens".

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