Münchner "Abendzeitung":Oh, Baby

Münchner Abendzeitung

Die Abendzeitung, sie wird bleiben. Aber sie wird auch eine andere sein.

(Foto: dpa)

Die alte "Abendzeitung" gibt es nicht mehr. Die neue, die des Straubinger Verlegers Martin Balle, gibt es noch nicht. Trotzdem muss sie erscheinen. Aber wie? Über einen seltsamen Tag dazwischen.

Von Claudia Tieschky

Es ist Montagvormittag, die Leute sind alle noch da, aber ihre Zeitung ist plötzlich weg. Auf der dritten Etage der Münchner Hopfenpost wird keine Abendzeitung mehr produziert. Stattdessen sitzen um die 90 Mitarbeiter jetzt in einem Konferenzraum mit rotem Teppich, so rot wie das Logo der AZ. Jeder hat einen Ordner bekommen. Darin steht, was eine Qualifizierungs- und Transfergesellschaft ist, auch eine Liste mit Kursen zur Weiterbildung ist dabei.

Das soll jetzt ihr Neuanfang werden. Vier Monate Übergangszeit, Schulungen, Beratungen. Vier Monate, um ein neues Leben anzufangen, ohne Abendzeitung. Die Tür zum Konferenzraum steht offen, was gesprochen wird, dringt gedämpft auf den Gang zu den Leuchtkasten-Fotos mit den Ikonen der Zeitung.

Sigi Sommer hängt da, der große Reporter; Werner Friedmann, der Zeitungsgründer; Christian Ude mit Abendzeitungs-Mütze. "Stationen einer stolzen Zeitung", unter dieser Überschrift haben sich die Leute aus der Hopfenpost am vergangenen Samstag auf einer Doppelseite auch von ihren Lesern verabschiedet.

Jetzt sind sie keine Redaktion mehr, sondern "im Transfer", und die meisten, die man fragt, denken pragmatisch und wollen nach vorne schauen. Das Herzzerreißende, das trotzdem dabei ist, beschreibt einer an diesem Montag so: "Für viele war die Abendzeitung ihr Baby, und es ist komisch, das Baby weiterleben zu sehen, ohne dass man selbst dabei ist."

Das Baby, dieses Boulevardblatt, das im Untertitel den Slogan "Das Gesicht dieser Stadt" führt, wird an diesem Tag von vier jungen Journalisten im nicht ganz zentrumsnahen Straubing produziert.

Dass es weitergehen würde, war alles andere als sicher

Es lebt aber, immerhin. Am 5. März hatte die Abendzeitung Insolvenz angemeldet, und dass es am Ende wirklich weitergehen würde mit dem stark defizitären Blatt, war lange Zeit alles andere als sicher. Dann kaufte im letzten Moment Martin Balle, Verleger des Straubinger Tagblatts, die stolze Münchner Abendzeitung, mit Dietrich von Boetticher als Mitherausgeber.

Und jetzt ist also dieser seltsame Tag da, an dem die alte Zeitung nicht mehr existiert, und die neue noch nicht ganz auf der Welt ist. An diesem 30. Juni dürfen auch diejenigen, die in der künftig personell stark verkleinerten Abendzeitung weiterarbeiten können, aus rechtlichen Gründen noch nicht für den neuen Besitzer arbeiten. Erst am Dienstag kann Balle sie aus der Transfergesellschaft abwerben.

Viele misstrauen dem neuen Mittelständler aus Straubing

Die Zeitung vom 1. Juli ist eine einmalige Ausnahme-Nummer, die praktisch ohne Mitarbeiter herauskommt und ohne München-Teil. Dafür will Balle, der neue Eigentümer, auf Seite Eins eine Art Antrittserklärung abgeben. Ein Bekenntnis zur kosmopolitischen Weltsicht soll es werden, Europa sei die Zeitung in seinem Besitz ebenso verpflichtet wie dem Frieden und der Kultur, und eine Stadtzeitung, das soll die neue Abendzeitung vor allem sein.

Nichts eigentlich, was auf radikale Veränderung hinweist. Trotzdem misstrauen viele dem Mittelständler aus Straubing, der jetzt ihr Münchner Kindl in Händen hält und es auch mit überregionalen Texten aus dem Pool seines Tagblatts füttern will.

Sie misstrauen der Zahl von bis zu 35 Mitarbeitern, die dann in München beschäftigt sein sollen; sie argwöhnen, Balle gebe nur vor, die Lokalredaktion fast vollständig übernehmen zu wollen. Sie fragen, wie man Sportergebnisse ins Blatt bringen möchte, wenn bereits um 19 Uhr Andruck sein soll, was Balle auf Anfrage bestätigt, aber das sei "nicht in Stein gemeißelt".

Ein anderes Gerücht besagt, Balle werde Mitarbeiter aus dem Transfer als Leiharbeiter beschäftigen, was aus Straubing für Redakteure dementiert wird; allerdings gebe es für künftige Pauschalisten das Angebot, vier Wochen lang im Rahmen der Transfergesellschaft für die neue AZ zu arbeiten, was finanziell für die Journalisten lukrativer sei.

Auch Gehaltseinbußen soll es geben, was Balle einräumt, im Schnitt jedoch würden "rund 90 Prozent" des alten Gehalts bezahlt. Noch liege aber, genau wie es das Verfahren erfordere, keinem Mitarbeiter ein Vertrag vor.

An diesem Dienstag um 10 Uhr wird Martin Balle seine Antrittsrede halten, in den neuen Redaktionsräumen an der Garmischer Straße 35 und vor denjenigen, die er gerne künftig als Mitarbeiter hätte. Die Abendzeitung hat viel zu verlieren, Balle auch. Mal sehen, wie das zusammenpasst.

Während es am Montag leise aus dem Konferenzraum murmelt, kann man in der Hopfenpost den scheidenden Chefredakteur Arno Makowsky im hellen Sakko ausmachen. Makowsky, der mal gesagt hat, Chefredakteur der Abendzeitung sei wie Trainer beim FC Bayern. Er steht mit der Brille auf der Nase in der menschenleeren Poststelle und ist über den Sportteil seiner letzten Abendzeitung gebeugt.

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