Mord an Ján Kuciak:Hören Sie auf zu schreiben!

Slovakia Commemorates Jan Kuciak Murder First Anniversary

Am ersten Jahrestag kommen zehntausende Demonstranten in Bratislawa zusammen, um der Ermordung Jan Kuciaks und seiner Freundin Martina Kusnirowa zu gedenken.

(Foto: Getty Images)

Vor einem Jahr wurde der slowakische Journalist Ján Kuciak ermordet. Er recherchierte über die Mafia und ihre Nähe zur slowakischen Politik. Seitdem ist das Land nicht mehr dasselbe.

Gastbeitrag von Michal Hvorecky

Hunderte Bauern aus der ganzen Slowakei sind am gestrigen Mittwoch mit ihren Traktoren in die Hauptstadt zu einer Demonstration gegen die Regierung gekommen. Sie blockierten die wichtigste Brücke über die Donau und forderten eine transparente Verteilung der EU-Subventionen.

Ein Jahr zuvor, am 21. Februar 2018, waren der slowakische Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová in einem Haus in Veľká Mača ermordet worden, einem Dorf 60 Kilometer östlich von Bratislava, mit Schüssen in Kopf und Brust. Kuciak hatte die Verbindungen höchster politischer Kreise in der Slowakei zur kalabrischen Mafia aufgedeckt, bei denen es um den Betrug mit EU-Agrarsubventionen in Millionenhöhe ging.

Der Doppelmord bedeutete einen Bruch in der modernen slowakischen Geschichte, er löste die größten Proteste gegen die Regierung seit der Wende 1989 aus und führte zum Rücktritten von Innenminister, Polizeichef und auch von Ministerpräsident Robert Fico. Die Demonstrationen beschränken sich nicht auf die Hauptstadt, sondern haben Städte in der Provinz und im Ausland, auch in Deutschland erfasst. Am Donnerstag werden erneut Zehntausende Demonstranten im ganzen Land erwartet.

Einen Tag nach dem Mord an Kuciak und seiner Verlobten hatte mich ein Schweizer Journalist angerufen. Was ich ihm über ein YouTube-Video mit Kuciak und mir von einer Veranstaltung in Bratislava sagen könne? Damals hatte das Video 65 Klicks, heute sind es eine Viertel Million, Tendenz steigend. In dem Video spricht Kuciak über seinen Anteil bei der internationalen Panama Papers Recherche, der bislang größten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit investigativer Reporter, auch von der Süddeutschen Zeitung. Der damals 26-Jährige klagte, dass es in der Slowakei kein Zentrum für solche Nachforschungen gibt, er musste fast alles allein machen. Er konnte wochenlang an einem Fall arbeiten, recherchieren, analysieren, die Ergebnisse in selbstgemalten Diagrammen visualisieren.

Das halbstündige YouTube-Video wurde Kuciaks Vermächtnis. Es gibt kaum öffentliche Filmaufnahmen mit ihm, am Tag seines Todes war er einer breiteren Öffentlichkeit fast unbekannt. Er widmete sich schon länger slowakischen Korruptions- und Drogenhandel-Skandalen und recherchierte über die kalabrische Mafia 'Ndrangheta, die sich in der Ostslowakei ausgebreitet hatte.

Im Oktober wurde bekannt, dass ein Ex-Polizist die beiden ermordet haben soll. Doch im Dickicht aus Korruption und Mafia-Strukturen bleiben drängende Fragen ungeklärt. Wer gab grünes Licht für den Mord? Wer hat 70 000 Euro für zwei Menschenleben bezahlt? Als Auftraggeber kommt der Multimillionär Marián Kočner in Frage, den mehrere Verdächtige beschuldigen. Kočner sitzt wegen eines anderen Falls seit Sommer 2018 in Untersuchungshaft. Ihm werden Steuerhinterziehung, Erpressung, Geldwäsche und Verbindungen zum organisierten Verbrechen vorgeworfen. Kočner ist seit den wilden Nachwende-Jahren politisch vernetzt. Sein Nachbar in der Bratislavaer Altstadt hieß Robert Fico, der Ex-Premier.

Unsagbares wurde sagbar, Undenkbares Realität

Ján Kuciak hatte Kočners dubiose Immobilien-Deals untersucht, woraufhin der Geschäftsmann ihn sogar persönlich anrief und bedrohte: Hören Sie auf zu schreiben! Wenn nicht, dann werde er, Kočner schon dafür sorgen, dass er nie wieder berichten könne. Kuciak hatte Kočner angezeigt, aber die Polizei ermittelte nicht. Der Oligarch wurde von der Staatsanwaltschaft dank seiner Kontakte zur Machtelite jahrelang in Ruhe gelassen.

Slowakische Spitzenpolitiker waren abhängig von Oligarchen wie Kočner. Öffentliche Aufträge gingen auffällig oft an genau jene Geschäftsleute und Medienmagnaten, die der Regierung nahestanden und zur innenpolitischen Destabilisierung beitrugen.

Seit dem Doppelmord erkenne ich die Slowakei nicht wieder. Unsagbares wurde sagbar, Undenkbares Realität. Regierungsmitglieder verbreiten Verschwörungen und warnen mal vor dem ungarisch-stämmigen Juden George Soros, mal vor Brüssel, mal vor dem UN-Migrationspakt, dessen Ablehnung eine veritable Koalitionskrise ausgelöst hat.

Die Situation bleibt angespannt. Es tobt der Kampf um die öffentlich-rechtlichen Medien. Die Justiz agiert oft abhängig von der politischen Elite. Wir können erst aufatmen, wenn die Beschuldigten im Fall Kuciak rechtskräftig verurteilt und die Hintergründe hinein in die Spitzenpolitik und die Geheimdienste aufgeklärt sind.

Am Mittwoch berichtete die italienische Tageszeitung La Repubblica, Ex-Premier Fico habe mit dem Mafiaboss Antonio Vadala im Jahr 2012 telefoniert, obwohl der Politiker behauptet hatte, er kenne ihn nicht. Vadala und die 'Ndrangheta hatte die EU-Subventionen für Agrarflächen als Einnahmequelle entdeckt und versucht, den slowakischen Bauern ihr Land abzupressen. Nach dem Mord an Kuciak wurde Vadala festgenommen und nach Italien ausgeliefert, wo er in Untersuchungshaft ist. La Repubblica kritisierte, dass die italienische Spur des Kuciak-Mordes von der slowakischen Polizei kaum weiter verfolgt wird. Auch deswegen reißen die Proteste gegen Regierung und Polizei nicht ab.

In Gedenken an Kuciak haben Vertreter mehrerer unabhängiger Medien ein journalistisches Investigativ-Zentrum gegründet. Ján war auch Doktorand an der Universität in der slowakischen Stadt Nitra. Sein journalistisches Seminar läuft weiter, dank dem Nachrichtenportal Aktuality, für das der Reporter arbeitete. Auch ich habe dort jüngst über Kampf gegen Fake News, Trolling im Netz erzählt. Ein seltsames, trauriges Gefühl, dort anstatt von Ján Kuciak vor seinen Studenten zu stehen. Doch die klugen, engagierten jungen Menschen haben mich aufgemuntert. Sie werden recherchieren, Daten analysieren, sie werden nicht aufhören zu schreiben.

Michal Hvorecky, geboren 1976, ist Schriftsteller und lebt in Bratislava. Zuletzt erschien von ihm der Roman "Troll" (Tropen-Verlag).

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