Miniserie:Und damit war sie weg, die Unschuld

Miniserie: Mit Geld von der Börse ins La-La-Land der Neunziger.

Mit Geld von der Börse ins La-La-Land der Neunziger.

(Foto: National Geographic)

La-La-Land Internet: "Valley of the Boom" erzählt die irrwitzige Geschichte vom Wachsen und Platzen der Dotcom-Blase in den Neunzigern.

Von Bernd Graff

Kann sich noch jemand an die Neunzigerjahre erinnern? An dieses lustige Jahrzehnt, in dem ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat nie inhalierte und später als Präsident keinen Sex mit einer Praktikantin im Oval Office hatte. In Deutschland gewann ein SPD-Kanzlerkandidat noch Wahlen, und ein Jogger mit Jo-Jo-Gewicht wurde Außenminister. Die Millennials saßen auf ihren Töpfchen und lernten, dass sie die schönsten Häufchen der Welt machen. Doch haben diese Neunziger tatsächlich auch etwas Großes hervorgebracht: Das Internet.

Es gab damals junge Leute, die mit der Möglichkeit, Computer weltweit miteinander Daten austauschen zu lassen, erstaunliche Ideen entwickelten. Für sie war der "Cyberspace" auch die bessere Welt, der Rückzugsort, das Fantasieuniversum, überhaupt der Umschlagplatz für bahnbrechenden Thesen. Man muss sich die Kindsjahre des World Wide Web wie ein Paradies des jugendbewegten Austauschs vorstellen. Doch dann kamen die Investoren ins Silicon Valley - mit Koffern voller Geld und nicht der geringsten Ahnung.

"Wir schaffen etwas, das gleichzeitig ist und das doch gar nicht sein kann"

Genau mit diesem disruptiven Moment, in dem das Web seine Unschuld verlor, lässt Matthew Carnahan das Dokudrama Valley of the Boom einsetzen, eine sechsteilige Miniserie, die er für National Geographics konzipiert hat. Erzählt wird entlang von drei Unternehmen - dem Webbrowser "Netscape", dem Facebook-Vorläufer "The Globe" und "Pixelon", dem nie eingehaltenen Versprechen eines ersten Streaming-Dienstes - die absurde Geschichte vom Wachsen und Platzen der Dotcom-Blase. Es geht um Wahn, Gier und Monstrosität. Carnahan hat diese Jahre teilweise mit Mitteln des absurden Theaters inszeniert, teilweise werden sie von den damals daran beteiligten Protagonisten, etwa dem Netscape-CEO James Barksdale und den Globe-Gründern Stephan Paternot und Todd Krizelman, aus heutiger Sicht vorgetragen und kommentiert. Die Geschichten handeln vom Erzeugen und Verfliegen heißer Börsen-Luft, von gemachten und noch schneller wieder verbrannten Fantastrillionen an Aktiendollars. Entsprechend zeigt Carnahan La-La-Land-like richtige Börsengangs-Choreografien oder Microsoft-Chef Bill Gates als Sesamstraßen-Sprechapparat, der dem Netscape-Konkurrenten droht, dass er den "schlafenden Giganten" geweckt habe. Diese Rede ist echt.

Carnahan, der schon die irrwitzig komische Unternehmensberater-Serie House of Lies produzierte, hat ein Händchen für die Inszenierung von episch scheiternden Businessmeetings, bei denen Alphafigürchen auf dicke Hose machen, obwohl sie nicht verstehen, worum gerade gefeilscht wird. In Valley of the Boom gibt es etwa die historisch belegte Szene, in der die Verantwortlichen des Netscape-Browsers mit einer Delegation von Microsoft-Platzhirschen aneinandergeraten: Die Netscape-Leute haben die fette Ahnung und das bessere Produkt, die Microsoft-Leute haben (da noch) kein Produkt, keine Ahnung, aber - wegen Windows und Office - alles Geld der Welt. In der Episode, die diesen Verhandlungskokolores schildert, erzählt ein (authentischer) Microsoft-Mann, dass man sich danach die Beschimpfungen der Netscape-Schnösel an die Wand gepinselt habe. Die Firma Pixelon etwa wurde gegründet von einem angeblichen Michael Fenne, einem Hochstapler mit platinblond gebleichten Haaren. Fenne hatte eine missionarische Ader und war bibelfest, er konnte mit Sprüchen wie: "Wir schaffen etwas, das gleichzeitig ist und das doch gar nicht sein kann", Investoren in Verzückung versetzen. Pixelon, das den Live-Video-Stream erfunden haben wollte, obwohl man wie jeder Computernutzer nur Dateien von der Festplatte abspielen konnte, schmiss die legendäre Launchparty "iBash '99" in Las Vegas, die 16 Millionen Dollar kostete. Sogar Kiss und The Who waren mit von der Partie. Nicht einmal ein Jahr später war die Ohne-jedes-Produkt-Firma pleite, Fenne sitzt seitdem hinter Gittern. Glaubt man alles kaum, war aber so.

Irgendwann hört man den jungen Netscape-Gründer Marc Andreessen sagen: "Sie wissen nicht nur nicht, was das Internet ist, sie wissen auch nicht, dass das Internet das Internet ist." Hat sich daran eigentlich etwas geändert?

Valley of the Boom, National Geographic, Sonntags, 21 Uhr, jeweils zwei Folgen.

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