"Millionärswahl" auf Pro Sieben:Buh und Pfui

Liveshow 'Millionärswahl'

"Millionärswahl": Kandidat Ralf Zanders auf der Bühne

(Foto: dpa)

Pro Sieben und Sat 1 suchen in ihrer neuen Show den "ersten demokratisch gewählten Millionär Deutschlands". Ein spannender Ansatz. Eigentlich. Das Ergebnis der ersten Ausgabe ist aber ein missratenes Experiment samt Irreführung des Zuschauers.

Eine TV-Kritik von Matthias Kohlmaier

Es war ein mutiger Versuch, sich von dem ganzen Casting-Einerlei der vergangenen Jahre abzuheben. Keinen Superstar und auch kein Supertalent wollen Pro Sieben und Sat 1 in ihrer neuen Show finden, sie wollen "Deutschlands ersten demokratisch gewählten Millionär" küren lassen. Ganz ohne palavernde Jury und redaktionell ausgewählte Teilnehmer, nur Zuschauer und Internet-Community sollen entscheiden. Eine spannende Idee - und ein Konzept, das am Donnerstagabend sogar für Pro-Sieben-Verhältnisse armselig gescheitert ist.

Vier Wochen lang konnte sich jeder, der gerne eine Million Euro geschenkt bekommen möchte, als Kandidat für die "Millionärswahl" bewerben. Mehr als 26.000 potenzielle Teilnehmer durften schließlich über ein Online-Votingsystem selbst entscheiden, welche 49 Menschen ihr Können oder Anliegen in den acht geplanten Live-Shows präsentieren dürfen. Eine TV-Redaktion gibt die Kontrolle gänzlich ab, ein wunderbarer Gedanke. Und wie sich herausgestellt hat, ein missratenes Experiment. Denn das Internet wählt nicht zwingend nach Talent aus.

Sympathie, nicht Talent

Und so nahmen an der ersten Show, moderiert von Jeannine Michaelsen und Elton, teil: ein 08/15-Breakdancer; eine Opa-Rockband; eine Gruppe turnender Muskelmänner; ein Paar, das via Youtube Aufklärungsunterricht gibt; ein Mann, der den Gewinn größtenteils verschenken will; ein Mann, der sein behindertes Patenkind unterstützen möchte; ein Mann, der aus großen Höhen ungesichert in große Luftkissen springt. Neben vielen anderen Wünschen hatte fast jeder Kandidat noch irgendein soziales Anliegen - denn so was kommt beim Publikum an, oder?

Aber gut, es ging in der Show ja auch nicht zwingend um Talent, sondern um Sympathie und angeblich auch um Demokratie. Daher hatten die Verantwortlichen das Wahlsystem ganz fair gestaltet. Vermeintlich. Denn zuerst durften während der genannten Darbietungen die etwa 26.000 verschmähten Bewerber online abstimmen. Am Ende der Show sollte dann das TV-Publikum telefonisch seine Stimme abgeben und ganz zum Schluss war es an den sieben Kandidaten selbst, sich gegenseitig Punkte zuzuteilen. So weit, so umständlich.

Nun kann leider in den Redaktionen von Pro Sieben und Sat 1 und bei der Produktionsfirma Brainpool sowie deren Tochter Millionärswahl GmbH niemand besonders gut rechnen. Denn das ach so geniale Votingsystem führte am Donnerstagabend nach zweieinhalb Stunden lahmer und langweilig inszenierter Sendung zu folgendem amüsanten Ergebnis: Die Millionärswahl-Community stimmte online mehrheitlich für Kandidat Ralf (der Herr, der sein behindertes Patenkind unterstützen wollte), ebenso votierte wenig später das TV-Publikum. Abertausende Menschen hatten sich auf den eindeutigen Sieger der Show geeinigt. Der 08/15-Breakdancer war nach diesen beiden Wahldurchgängen übrigens ganz hinten im Abstimmungsergebnis zu finden. Demokratie eben.

Schnell ist die Rede von Schiebung

Nachdem die Kandidaten selbst aber überproportional hohe Punktzahlen untereinander vergeben durften, rangierte wenige Minuten später plötzlich der zuvor abgeschlagene Breakdancer vor dem Patenonkel und gewann die Show. Im Publikum: Totenstille, dann ein paar Buh- und Pfuirufe. Elton fand das "merkwürdig", wie es viele Zuschauer fanden, lässt sich via Twitter unter #Millionärswahl nachlesen. Der Begriff "Schiebung" fiel dort recht häufig.

Aber eigentlich ist das zu milde. Was passiert ist, ist eine riesengroße Verarsche am Zuschauer. Wenn schon Demokratie, dann muss das Votum von Zigtausenden doch mehr wert sein als die paar Stimmen der Teilnehmer im Studio. Aber entweder hat sich bei ProSiebenSat1 niemand Gedanken darüber gemacht, dann ist das dumm. Oder es ist ein gewollter Eklat, dann ist den Verantwortlichen gar nicht mehr zu helfen. Dass Pro Sieben wenige Minuten nach Ende der Sendung einen Spendenaufruf für das kranke Patenkind vom geschassten Kandidaten Ralf twitterte, täuscht über das Versagen bei der Konzeption der Show keinesfalls hinweg.

Da geschieht es Pro Sieben und Sat 1 nur recht, dass sie sich noch für sieben weitere Ausgaben durch dieses öde Format werden kämpfen müssen, bis endlich ein Millionär gefunden ist. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass das Moderatorenduo sich dem Niveau der gesamten Show souverän anpasste und mäßig amüsant durch den allzu langen Abend führte. Jeannine Michaelsen und Elton wird wohl auch geschwant haben, dass sie erst ein Achtel einer mühsamen Strecke zurückgelegt haben. Immerhin müssen sich die beiden nach diesem Auftakt in den kommenden Shows nicht mehr vor allzu vielen TV-Zuschauern fürchten.

Wenn nach Ende der "Millionärswahl" bei Pro Sieben der Sendeplatz am Donnerstagabend um 20:15 Uhr wieder frei ist, sucht übrigens Heidi Klum in ihrer klassischen Casting-Diktatur mal wieder nach dem nächsten deutschen Topmodel. Ist vielleicht doch besser als eine schlecht gemachte Demokratie.

Anmerkung: Nach der Kritik hat Pro Sieben am Freitagvormittag via Twitter angekündigt, das Wahlverfahren ändern zu wollen. in einem weiteren Tweet hieß es, der Zuschauer solle nun "mehr Einfluss - und das letzte Wort" haben. Auf das oben beschriebene Ergebnis der ersten Sendung wird die Regeländerung aber keinen Einfluss haben.

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