Süddeutsche Zeitung

Micky-Maus-Magazin wird 70:Freu! Jubel! Ächz!

Diese Nachricht ist keine Ente: Das deutsche Micky-Maus-Magazin wird 70 Jahre alt. Schön und bunt, aber wie kommt man mit einem Comic-Heft noch gegen Smartphone und Computerspiele an?

Von Titus Arnu

Wo leben Gurkenmurkser und Rüsselschnurps? Wer hat Blubberlutsch erfunden? Warum trägt Micky Maus Vierfinger-Handschuhe und Donald Duck keine Hose? Und was bedeutet es, wenn in einer Sprechblase "Schnurch!" steht oder eine Nebenfigur "Schnaptus, Claptus, Totalraptus" murmelt? Entenhausen ist ein rätselhafter Ort.

Aus Sicht von Donaldisten gibt es mehrere Parallelwelten. Im Anaversum lebt die Duck-Sippe, im Maus-Kosmos wuseln Micky Maus, Minnie und andere Nager herum. Donaldisten lassen nur von Carl Barks gezeichnete und von Dr. Erika Fuchs übersetzte Geschichten gelten, aber die Welt der Comic-Enten und -Mäuse ist in Wirklichkeit ein grenzenloses, kulturübergreifendes Phänomen. Auf Finnisch heißt die berühmteste Maus der Welt Mikki Hiiri, auf Schwedisch Musse Pigg und auf Chinesisch Mi Lao Shu.

Im deutschen Micky-Maus-Magazin existieren Enten, Mäuse, Hunde, Katzen und Menschen seit 70 Jahren friedlich nebeneinander. Walt Disney's Micky Maus erschien erstmals am 29. August 1951 im damals neu gegründeten Ehapa-Verlag. Auf dem Cover waren Micky und Goofy in einem Flugzeug zu sehen, das sich im Sturzflug befand - der Start einer Erfolgsgeschichte. Mit 3300 erschienenen Ausgaben und 1,3 Milliarden verkauften Heften gilt die deutschsprachige Ausgabe der Micky Maus als erfolgreichstes Kinder-Magazin Europas - auch wenn die Auflage seit Jahren so dramatisch sinkt wie das Flugzeug auf dem ersten Cover. Hat ein so altmodisches Medium bei Kindern überhaupt noch eine Chance gegen Computerspiele, Youtube, Netflix und Co.?

Das christlich-konservative Bildungsbürgertum verteufelte die Bildergeschichten als Schmutz und Schund

"Die Jugend wird heute immer früher digitalisiert", sagt Marko Andric, Editorial Director bei der Egmont Ehapa Media GmbH in Berlin. Der Micky-Maus-Chefredakteur weiß, dass Minecraft, Tiktok und Whatsapp für Kinder und Jugendliche eigentlich attraktiver sind als Print-Produkte. Trotzdem funktioniert die Marke Micky Maus nach wie vor. "Das Gute ist, dass wir mit unseren Entenhausen-Comics einen Sonderstatus haben", sagt Andric, "Donald und Micky sind so bekannt und beliebt, dass das Vertrauen zu unseren Produkten von Generation zu Generation weitergegeben wird." Auch wenn das Heft 3,99 Euro kostet und nicht umsonst ist wie die meisten digitalen Bespaßungskanäle.

75 Pfennige kostete das "bunte Monatsheft" im Jahr 1951, der Preis entsprach dem damaligen Durchschnittsstundenlohn. Das Heft, übrigens das erste komplett in Farbe gedruckte Magazin Deutschlands, wurde trotz des stolzen Preises nicht als hochwertige Kunstform eingestuft, eher im Gegenteil. Das christlich-konservative Bildungsbürgertum verteufelte die aus heutiger Sicht harmlosen Bildergeschichten als Schmutz und Schund. In groß angelegten Umtauschaktionen wurden Westernhefte, Arztserien und Comics gegen vermeintlich gute Bücher getauscht. Die "schlechten" Hefte wurden verbrannt oder vergraben - dabei hatte der Disney-Konzern sowieso schon alles verharmlost und komplett schöngefärbt.

In den 1950er-Jahren waren Donald, Micky und Co. in einer sagenhaften Fantasiewelt unterwegs, in der es keinen Alkohol, keinen Tod und keinen Sex gab. Dafür gab es Geschichten mit Ede Wolf und den drei kleinen Schweinchen, die eher an Grimms Märchen erinnerten als an die Realität der Nachkriegszeit. Im amerikanischen Original war Micky Maus anfangs eine anarchische Figur, die den Großen und Starken frech Paroli bot. Dass die deutsche Micky Maus-Ausgabe nicht ganz so bieder wirkte, wie sich das der Disney-Konzern wünschte, lag an einer Frau, die das Magazin lange Jahre mit Intelligenz und subtiler Ironie prägte. Erika Fuchs, Übersetzerin und promovierte Kunstgeschichtlerin aus München, war von 1951 bis 1988 Chefredakteurin der Micky Maus. Sie übersetzte die Comics ins Deutsche und wertete sie auf, durch Klassiker-Zitate ("Kann ich Armeen aus der Erde stampfen?"), absichtlich gestelzte Redewendungen ("Schnurrli, was ficht dich an?") und wahnwitzige Wortschöpfungen ("Schnurpsrüssler"). Ihr vielleicht größter Verdienst ist die Bereicherung der deutschen Sprache durch den Erikativ: Ausdrücke wie "Schnorch", "Stöhn" und "Grübel".

Enten, Hundenasige und Mäuse laufen mittlerweile mit Smartphones herum und arbeiten am Laptop

Sprachlich hat sich Micky Maus stets dezent der Zeit angepasst. Tick, Trick und Track nehmen im Jahr 2021 schon mal Wörter wie "krass" und "cool" in den Schnabel. Aber sie würden niemals "Alter", "Digga" oder "stabil" sagen, versichert Chefredakteur Andric. Apropos stabil: Die Auflage des Micky Maus-Magazins ist wie bei fast allen Printprodukten rückläufig, aber immerhin seit drei Jahren stabil. Die durchschnittliche verkaufte Auflage des zweiwöchig erscheinenden Titels liegt laut IVW bei 72 000. Das ist weit entfernt von den Auflagen der 1990er-Jahre, als zum Teil eine Million Exemplare pro Ausgabe gedruckt wurden. Die auflagenstärksten Kinder- und Jugendmagazine sind derzeit Lego Ninjago (182 000 Exemplare), Prinzessin Lillifee (150 000), auf Platz 4 ist das Lustige Taschenbuch von Ehapa mit 125 000 Exemplaren. Micky Maus erscheint zweiwöchentlich und ist mit 72 000 verkauften Heften nur noch auf Platz 10.

Grübel, grübel: Woran kann das liegen? Wenn man es richtig beobachtet, sind Schiller-Zitate in Entenhausen seltener geworden. Das hat damit zu tun, dass die Leserschaft kaum noch etwas mit Anspielungen auf "Die Jungfrau von Orleans" anfangen kann. Dafür laufen Enten, Hundenasige und Mäuse mittlerweile mit Smartphones herum, arbeiten am Laptop und surfen im Entnet. Sie lesen etwas auf Duckipedia nach und schauen Videos bei Dutube. "Wenn Donald mit einem Wählscheibentelefon hantiert, würden uns die Kinder fragen, was er da macht", sagt Chefredakteur Andric.

Im Jubiläumsheft entwickelt Onkel Dagobert mit Daniel Düsentrieb eine Erfolgs-App, Micky Maus erlebt Abenteuer an einer Spielkonsole. Im redaktionellen Teil gratulieren die Fantastischen Vier, Andreas Gabalier und Rea Garvey zum Geburtstag, dazu gibt es eine Seite mit Witzen, die Leser eingeschickt haben. Ganz wichtig und eher schlecht digitalisierbar sind auch die Gimmicks, bei Micky Maus "Extras" genannt. Dem aktuellen Heft liegt ein Tütchen mit den guten alten Urzeitkrebsen bei, immer wieder mal muss das allseits beliebte Furzkissen herhalten.

Das Micky Maus-Magazin ist auch im Internet zu finden; auf der Seite kann man Filmchen schauen, Hefte bestellen und Steckbriefe der beliebtesten Figuren anklicken. Ist das der Beginn des digitalen Wandels in Entenhausen? Eher nicht. Im Gegensatz zur Konkurrenz, die ihre Produkte auf allen Kanälen vermarktet - vom Plastikspielzeug über das Computerspiel bis zur TV-Serie und dem dazugehörigen Comic-Magazin -, bleibt man bei Ehapa lieber beim Altbewährten. "Mit einem Comic können sich die Kinder gefahrlos in eine Spaßwelt zurückziehen", sagt Marko Andric, "ohne Fernseher, Smartphone und Hausaufgaben." Das ist heute nicht viel anders als 1951.

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