Auch zehn Tage nach der schwierigsten Entscheidung seines Lebens klingt Oscar Cantú noch aufgekratzt. Immer wieder unterbricht er seine Sätze, er haucht eher in sein Telefon als hineinzusprechen. Was deutlich zu verstehen ist: "Es schmerzt, denn ich liebe meinen Beruf immer noch." Es geht um eine Liebe, die aus seiner Sicht unmöglich geworden ist. Deshalb machte Cantú Schluss.
Der ausgebildete Jurist Oscar A. Cantú Murguía, 67, hat ein Leben lang als Journalist gearbeitet. Zunächst bei Mexikos großer Tageszeitung El Universal. Vor 27 Jahren ging er zurück in seine Heimat Ciudad Juárez, um das Lokalblatt Norte zu gründen. Für Cantú war das eine Mission. Die mexikanische Grenzstadt, nur ein paar Schritte von El Paso, Texas, entfernt, hat sich ihren Ruf als einer der gefährlichsten Drogenumschlagplätze der Welt redlich erarbeitet. Es ist ein Ort der Gewalt, der Korruption, der Straflosigkeit. Ein Ort, wo guter Journalismus gebraucht wird, dachte sich Cantú. Damals, als er anfing.
Im Grund denkt er das immer noch. Heute ist er allerdings der Meinung, dass nicht alles, was vielleicht notwendig ist, den Einsatz lohnt. Das Leben von zu vielen Menschen, in diesem Fall von Journalisten, stand auf dem Spiel. Sein eigenes auch.
Am 2. April teilte der Herausgeber Cantú seinen Lesern mit, dass er aufgibt. Dass Norte zumacht. Ein paar Tage später wurde auch die Online-Ausgabe eingestellt. Für die letzte Ausgabe schrieb Cantú einen Abschiedsbrief, der auf der Titelseite erschien. Überschrift: "Adiós!" Im Text heißt es: "Alles im Leben hat einen Anfang und ein Ende und einen Preis. Aber wenn dies das Leben ist, dann bin ich nicht mehr bereit, dass ihn auch nur ein weiterer meiner Mitarbeiter bezahlt."
Oscar Cantú gründete den "Norte" einst in einem der gefährlichsten Drogenumschlagplätze der Welt
Bezahlt mit ihrem Leben hatte Ende März die mexikanische Journalistin Miroslava Breach, 54. Sie war die Korrespondentin der nationalen Tageszeitung La Jornada im nördlichen Bundesstaat Chihuahua und schrieb auch Kolumnen für Norte. Breachs Mörder hinterließ am Tatort einen Zettel mit der Aufschrift: "Wegen Geschwätzigkeit." Es war der dritte Journalistenmord in Mexiko alleine im März dieses Jahres. Anfang des Monats starb der Polizeireporter Cecilio Pineda aus dem Bundesstaat Guerrero im Kugelhagel. Er lag gerade in einer Hängematte. Ricardo Monlui, der aus Veracruz für mehrere Zeitungen berichte, wurde erschossen, als er ein Restaurant verließ.