Gerade werden eine "sympathische Hundebesitzerin mit übergewichtigem Hund" und "unbekleidete Besucher eines Nudisten-Hotels" gesucht, für SOKO Köln ein Akkordeonspieler, "gerne osteuropäisch", sowie für Shopping Queen "spannende Damen". Es geht um die Website Komparse.de. Leute, die dort gesucht werden, tauchen in der Regel einige Monate später im Fernsehen auf. Mehr als 64 000 Gesuche für Statisten, Show-Teilnehmer und Zuschauergäste hat die Komparsenvermittlung seit 1999 auf ihrer Webseite gesammelt. Die Gagen liegen meist zwischen 100 und 200 Euro pro Drehtag.
Auch für die in die Kritik geratene WDR-Dokureihe Menschen hautnah wurde auf Komparse.de nach Protagonisten recherchiert, das Gesuch ist noch online. Der WDR hat in der vergangenen Woche Versäumnisse in drei Folgen der Reihe eingeräumt, die alle von derselben Autorin gedreht worden sind. In der jüngsten Episode zum Thema Vernunftehen wurde die Beziehungsgeschichte eines Protagonistenpaars, Tanja und Sascha Mahlberg, "in unzulässiger Weise zugespitzt", wie der WDR vergangene Woche befunden hat. Die Folge ist nicht mehr in der Mediathek. Der Fall wirft grundsätzliche Fragen auf und sorgt beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen nun offenbar für Diskussionen. Denn wenn für dokumentarische Inhalte Protagonisten gecastet werden - verschwimmen dann nicht die Grenzen zwischen Realität und Scripted Reality, jener Wirklichkeit, die den Köpfen von Autoren entspringt?
Das Gesuch für die WDR-Doku ist kein Einzelfall. Auf Komparse.de werden nicht nur Darsteller für fiktive Inhalte vermittelt, sondern regelmäßig Protagonisten für journalistische Formate, für Magazinbeiträge, Reportagen und Dokumentationen. In einer Stellungnahme weist Komparse.de auf der Startseite "aus aktuellem Anlass" darauf hin, dass dort auch "reale Menschen in ihren realen Lebenssituationen", "echte Schicksale, echte Biografien" zu finden seien. Nur: In der Regel gegen Bezahlung.
Für einen Magazinbeitrag auf RTL sucht ein Moderator Frauen und Männer, die ihr Konto überzogen haben, "Gage nach Absprache", für Mütter, "die manchmal im ganz normalen Alltagswahnsinn die Geduld verlieren", zahlt der Sender 200 Euro pro Familie. Für eine MDR-Reportage wird ein Mieter mit hoher Radonbelastung gesucht, 100 Euro für einen halben Drehtag, für den WDR Protagonisten mit Schilddrüsenüberfunktion und ein "Büromensch mit Schulterschmerz, der in Physiotherapie ist", Aufwandsentschädigung je "nach Absprache". Auch Gesuche für Reportagen von NDR und ZDF, etwa die Dokureihe 37 Grad - "gute Gage VB" -, finden sich im Archiv. Protagonist gegen Cash - ist das mit journalistischen Standards vereinbar?
Der WDR zieht Konsequenzen, auch andere Sender überprüfen ihre Praxis
"Aus rechtlicher Sicht ist die Bezahlung von Protagonisten kein Problem", sagt Dennis Amour, Geschäftsführer des Bayerischen Journalisten-Verbands (BJV) und Rechtsanwalt. In finanziellen Anreizen sieht er aber schon eine Gefahr. "Gerade bei Sachverhalten, die schwer nachprüfbar sind, wie Gefühlslagen, kann das dazu verleiten, Geschichten zu verändern oder zu erfinden."
So ist es mutmaßlich bei Tanja und Sascha Mahlberg in Menschen hautnah passiert. Die Autorin der drei umstrittenen Dokus, die ihren Namen öffentlich nicht nennen will, stellt die Ehe der beiden in der Sendung als Vernunftehe dar, auch Sascha Mahlberg spricht darin einmal von einer "Zweckgemeinschaft". Seit mehr als 30 Jahren ist das Paar verheiratet, drei Söhne, zum ersten Mal war Tanja mit 17 schwanger. Im Film sagt die Sprecherin: "Verliebt waren die beiden nicht." Sascha Mahlberg aber sagt der SZ: "Das Kind war unterwegs, und wir haben aus Vernunft geheiratet, aber trotzdem waren wir verliebt." Wie kam es zu diesen Widersprüchen?
Freiwillig, sagt die Autorin. Auf Wunsch der Autorin, sagt das Paar. Nach Sichtung des Rohmaterials, das der Presse nicht zur Verfügung gestellt wird, kam der WDR zu dem Ergebnis, die Gefühlslage der Protagonisten sei "verzerrt dargestellt" worden. Der Sender beendete die Zusammenarbeit mit der Autorin, das Vertrauensverhältnis sei "zerstört". Bei Komparse.de mögen auch Protagonisten mit wahren Geschichten vermittelt werden, problematisch ist, wie dort Begriffe vermischt werden. Für ein Verbrauchermagazin von RBB wurde im September ein "Protagonist, (...) der einen Versicherungsvertreter spielt (bevorzugt ab einem Spielalter 60 Jahre aufwärts, gern auch korpulent)", gesucht.