Meister der Tiererzählung:Der Bambi-Reporter

Felix Salten war im Wien um die Jahrhundertwende ein journalistischer Star. Berühmt wurde er aber durch eine einzige Tiergestalt. Zum 75. Todestag erinnert nun eine Ausstellung an einen Schrifsteller, der Tiere vermenschlichte, um die Menschen "am Vertieren" zu hindern.

Von Cathrin Kahlweit

Vor zwei Jahren ist ein Wilderer in Missouri zu einem Jahr Haft verurteilt worden. David Berry hatte über Jahre hinweg Hunderte Hirsche getötet, die Köpfe der Tiere als Trophäen gesammelt - und den Rest der Tierkadaver liegen lassen. Dem Urteil wurde eine Auflage hinzugefügt: Berry musste im Gefängnis einmal pro Monat den Disney-Film "Bambi" anschauen - zur Läuterung.

Die Nachricht stand damals nicht nur in vielen US-Medien; sie findet sich auch in dem 500 Seiten dicken Katalog zur Ausstellung "Im Schatten von Bambi", die dem in Deutschland relativ unbekannten, in Wien aber zu den Großen seiner Zeit zählenden Feuilletonisten und Schriftsteller Felix Salten zum 75. Todestag gewidmet ist.

Salten, der zur Literatengruppe der "Jung-Wiener" um Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Hermann Bahr gehörte, hat einst "Bambi, eine Lebensgeschichte aus dem Walde", geschrieben. Es machte den aus einer verarmten jüdischen Familie stammenden Journalisten Anfang der Zwanzigerjahre zwar zu einem "Meister der Tiererzählung", jedoch weder auf einen Schlag reich noch berühmt. Der Roman war 1923 bei Ullstein in Berlin erschienen, wohin sich Salten als Chefredakteur zweier Zeitungen für ein kurzes Jahr verirrt hatte, bevor er reumütig nach Wien zurückkehrte. "Bambi" lag anfangs wie Blei; auf dem Cover waren ein paar stilisierte Bäume und Blumen zu sehen. Erst als der Wiener Zsolnay Verlag die Rechte für die so tragische wie rührende Geschichte vom Rehkitz kaufte, dessen Mutter einer Treibjagd zum Opfer fällt und das nach Irrungen und Wirrungen zu einem stattlichen Hirschen heranwächst, stieg das Interesse.

Die-US-Ausgabe 1928 schaffte es schnell in die Bestsellerlisten. Salten erlebte die Uraufführung des Disney-Films 1942, in der die Rolle der Menschen als Feinde der Tiere stark abgeschwächt und das Leben im Wald weit idyllischer ist, als der Autor es einst zeichnete, aus der Ferne in seinem Exil. Dass die aktuelle Ausstellung des Wien Museums und der Wienbibliothek im Rathaus "Im Schatten von Bambi" heißt, hat jedoch zwei Gründe: Salten hatte eben nicht nur die Vorlage für den Film, sondern Theaterstücke, Libretti, Romane, Tausende brillante Feuilletons und Rezensionen geschrieben, die ihn in Wien zu einem journalistischen Star machten. Und er hatte, weit über Bambi hinaus, eine Liebe zu sprechenden Tieren entwickelt.

Für seine Geschichten über den "Hund von Florenz", "Florian, das Pferd des Kaisers" oder die "Jugend des Eichhörnchens Perri", die sich an Kinder und Erwachsene richteten, wurde er geliebt und verspottet. Die einen bezichtigten ihn des Kitsches, der Verniedlichung und der Schaffung einer "bürgerlichen Idylle im Wald", die anderen priesen ihn für seine "Naturverbundenheit, Kühnheit und Originalität".

Salten stand zu seiner Technik. Er habe das "Tiere Verstehen zu seiner Trademark" gemacht, heißt es in der aktuellen Ausstellung in Wien, so hatte er dem Roman "Fünfzehn Hasen" ein Motto vorangestellt: "Suche nur immer das Tier zu vermenschlichen, so hinderst du den Menschen am Vertieren." Er war überzeugter Tierschützer und passionierter Jäger zugleich, der Treibjagden ablehnte; er schrieb, in dieser Hinsicht seiner Zeit weit voraus, gegen Tiertransporte und gegen Tierversuche an.

Nach einer USA-Reise zeigte sich Salten in einer Reportage entsetzt über das fabrikartige Schlachten von Tieren, das er mit der "Masse Mensch" verglich, die "in die Kriegsmaschinerie gezwungen" werde. "Zugegeben, das war nur ein Schwein", beschrieb er einen Schlachthofbesuch: "Eines unter Tausenden. Weiter nichts. Doch den Angstblick seiner Augen kann ich niemals vergessen."

Die Ausstellungsmacher zeigen das in Ungarn als Siegmund Salzmann geborene Multitalent in all seinen Facetten: als gescheiterten Theatergründer, als Homme à Femmes, als Kunstkenner und Sammler, als Rezensenten und Freund. Oft vermischten sich die Lebensbereiche: Die legendären Journalisten- und Literaturstars der Wiener Szene trafen sich im Café Griensteidl, feierten und kritisierten sich gegenseitig, man bedankte sich für positive Rezensionen und schickte sich Briefe.

Salten war einer der fleißigsten in der Gruppe. Das musste er auch sein, weil er, anders als die meisten, nicht aus großbürgerlichem Hause war. Es habe um die Jahrhundertwende bis in die frühen 30er- Jahre "kaum ein Lokalereignis gegeben, das nicht - meist innerhalb weniger Stunden - den Niederschlag eines Salten-Feuilletons fand", hieß es 1919 im Neuen Wiener Journal. Er habe sich mit dem Ruhm begnügt und zugleich das Odium riskiert, einer der meistgelesenen Wiener Tagesschriftsteller zu sein; aus eben "dieser Verhinderung eines Dichters" sei ihm eine Art "literarischer Universalität" erwachsen.

Die ging allerdings mitunter so weit, dass Salten, darin dem Reporterstar Egon Erwin Kisch nicht unähnlich, kurzerhand auch mal eine Reportage erfand. Als 1906, in seiner kurzen Zeit bei Ullstein in Berlin, in San Francisco ein Erdbeben die Stadt zerstörte, organisierte der Journalist über Nacht ein fiktives Telegramm aus den USA, in dem Brände und Plünderungsversuche lebensecht beschrieben waren; Informationen zur Stadt schrieb er offenbar aus dem Brockhaus ab.

Erschütternd ist jener Teil der Würdigung von Felix Salten, die sich in seinem "Taschenkalender" spiegelt. In gestochener Schrift, immer kurz und lakonisch, verzeichnete er darin die aktuellen Ereignisse. Saltens Lage spitzte sich nach dem "Anschluss" Österreichs sehr schnell zu; als jüdischer Autor geriet er schnell in die Maschinerie der Nazis. Man kann die wachsende Verzweiflung, die Not in den kurzen Anmerkungen des Kalenders sehen, die im Wien-Museum dokumentiert sind: Wie er seine riesige, geliebte Bibliothek aussortierte, Briefe und Dokumente verbrannte, einen Fluchtplan entwarf: "Archiv-Säuberung". Tage später: "Rasend nervös. Archiv fertig". Im Stakkato wurden die Einträge panischer. "Erwarte das Schlimmste für mich", schrieb er. Dann "Steuerpfändung." "Fristlos entlassen."

Salten wollte in die Schweiz ausreisen, wo seine Tochter lebte. Etwas Hoffnung wurde spürbar. Aber die Dokumente kamen nicht. "Kein Bescheid, auch deshalb wenig Hoffnung." Endlich kommt der Pass. "Übersiedlung / ganz wirr", verzeichnete er, dann durfte er ausreisen. Die Kriegsjahre verbrachte er in Zürich, schrieb literarische Texte, als Journalist hatte er Berufsverbot. Nach Österreich schaffte er es nicht mehr zurück, aber er hätte es auch nicht gewollt: "Eines Tages wird diese Welt von dieser Verbrecherbande erlöst sein, eines Tages wird man sich als freier Mensch in einer freien Welt bewegen können. Wenn ich diesen Tag erlebe, will ich überall hin, nur nicht nach Österreich."

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