Zensur in China:Wo Pu der Bär auf dem Index steht

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Ob Präsident Xi Jinping diesem Bären ähnlich sieht, sollte man in China besser nicht öffentlich diskutieren. (Foto: imago stock&people)

China automatisiert seine Internetzensur. Die neue Superplattform "Piyao" soll 40 Überwachungsprogramme vernetzen. Wer unliebsame Informationen verbreitet, muss bis zu sieben Jahre in Haft.

Von Anzhelika Sauer

Zehn Tage Gefängnis. So viel kostet in China die Wahrheit, wenn man Zeng Maolin Glauben schenkt. Der chinesische Blogger hatte jüngst ein Video ins Netz gestellt, das einen Raubüberfall zeigt. Die Tat fand Zeng zufolge Anfang August in seiner Heimatstadt Haikou statt. Die Regierung in Peking widersprach: Erst eine Woche später sei die Frau überfallen worden, und zwar nicht in Haikou, sondern einige Tausend Kilometer entfernt in der südwestchinesischen Stadt Leshan. Für diesen - angeblichen - Fehler musste Zeng in Haft.

Während in Deutschland debattiert wird, wie man Falschmeldungen und Gerüchte im Netz eindämmen kann, ohne die Meinungsfreiheit zu opfern, ist der chinesische Staat weniger zimperlich. Die oberste Internetbehörde lässt täglich massenweise Webseiten, Artikel und Blogs löschen. Angeblich zwei Millionen Zensoren durchstöbern das Internet permanent nach unerwünschten Beiträgen. Viele Nachrichtenseiten und soziale Netzwerke sind gesperrt, darunter die New York Times, Facebook, Twitter und seit August beispielsweise auch die Webseite der australischen Rundfunkgesellschaft ABC.

30 000 Nachrichten und Begriffe sollen schon in der Datenbank gespeichert sein

Um die Zensur noch effektiver zu machen, scannen Algorithmen das Internet nach verbotenen Inhalten. Sie durchsuchen die Milliarden Messengernachrichten, Blogeinträge und Bilder, die rund 800 Millionen chinesische Internetnutzer jeden Tag verschicken. Jüngstes Prestigeprojekt ist die staatliche Plattform Piyao, die verschiedene Zensurprogramme miteinander vernetzt und nur Nachrichten verbreiten soll, die Peking genehmigt hat.

Geleitet wird das Projekt von Chinas oberster Internetbehörde, der Central Cyberspace Affairs Commission, gesteuert von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Der Algorithmus hinter der Plattform, deren Name übersetzt so etwas wie "ein Gerücht abstreiten" heißt, sucht vor allem nach Nachrichten, die sich im chinesischen Netz besonders schnell verbreiten. Dazu integriert das Rechenverfahren die Ergebnisse von 40 staatlichen Zensurprogrammen, die bereits auf lokaler und staatlicher Ebene aktiv sind, außerdem können Bürger über eine App Gerüchte melden. "Gerüchte sorgen für Panik, für Schwankungen an Aktienmärkten und beeinflussen Unternehmungen", erklären die Macher in einem Werbevideo für die Plattform. Deshalb müsse man gegen dagegen vorgehen. 30 000 Nachrichten und Begriffe hat China so angeblich bereits in einer Datenbank gesammelt, um sie dauerhaft aus dem Netz zu verbannen.

Für die Verbreitung von unbestätigten oder unliebsamen Netz-News drohen Haftstrafen

Seit fünf Jahren gehen chinesische Behörden systematisch gegen unliebsame Nachrichten im Netz vor. Internetnutzern drohen bis zu sieben Jahre Haft, wenn sie Informationen verbreiten, die nicht offiziell von Peking bestätigt wurden - oder die der Regierung nicht passen. Veröffentlicht ein Nutzer einen Artikel mit nicht verifizierten Angaben in den sozialen Medien, der mehr als 500 Mal geteilt oder von mehr als 5000 Lesern geöffnet wird, droht ihm ebenfalls eine Strafe. Chinas Präsident Xi Jinping erklärte im vergangenen Jahr, das Internet solle "sauberer" werden: Er träumt vom gläsernen Netz.

Oft sind es gar keine Gerüchte, die sie aus dem Netz fischen, sondern unbequeme Wahrheiten. Beiträge über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, die Taiwan-Frage, aber auch über die Rechte von Homosexuellen oder die "Me Too"-Debatte werden von Programmen wie Piyao gelöscht. Suchen Nutzer nach Personen wie dem Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, der im vergangenen Jahr in chinesischer Haft starb, erhalten sie lediglich Fehlermeldungen. Entweder können Ergebnisse angeblich nicht gefunden werden oder es wird direkt aufs Gesetz verwiesen, das die Veröffentlichung von Beiträgen über solche Themen unter Strafe stellt.

Im Jahr 2017 wurden allein 500 Millionen Artikel auf Wechat gelöscht, dem chinesischen Pendant zu Whatsapp. Tausende Suchwörter sind in China gesperrt, darunter "Pu der Bär" (Präsident Xi Jinping wird eine gewisse Ähnlichkeit mit dem dicklichen Honigliebhaber unterstellt), die Buchtitel "1984" und "Animal Farm" (Parallelitäten zwischen den Storys und China heute) und die "kaiserliche Krönung" (seitdem Xi Jinping seine Amtszeit auf unbestimmte Zeit verlängert hat).

Um den Zensoren zu entgehen, entwickeln chinesische Blogger immer neue Spitznamen und Codewörter: Wird das Konto eines Nutzers gesperrt, und startet er mit einer neuen Anmeldung, einem neuen Konto, sprechen die Blogger von "Reinkarnation"; droht eine Polizeikontrolle, wird davon gesprochen, dass "Leitungsrohre geprüft" werden sollen. Doch trotz des Versteckspiels ist Peking ihnen auf den Fersen - mit Piyao noch dichter als bisher.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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