"Meine Familie, die Nazis und Ich" in der ARD:Zwischen abgrundtiefem Hass und unfassbarer Naivität

Die Großnichte von Hermann Göring hat sich sterilisieren lassen und der Tochter von Amon Göth wurden erst durch das Kino die Augen geöffnet: Der israelische Regisseur Chanoch Ze'evi hat eine kluge, ungewöhnliche Doku über fünf Nachfahren führender NS-Verbrecher gedreht.

Robert Probst

Die Schwarz-Weiß-Bilder zeigen fröhliche Kinder beim Spielen, eine treusorgende Mutter und einen stolzen Vater in einem gepflegten Garten. Dabei hatte der Enkel doch "Horrorbilder" erwartet, als er die Truhe öffnete. Nach allem, was er von seinem Großvater wusste.

ARD, Doku über Nazi-Nachfahren: Meine Familie, die Nazis und Ich

Familienidylle auf dem Gelände der Villa von Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. Die Kinder des SS-Obersturmbannführers verbrachten eine sorglose Zeit mit Spielzeug, das größtenteils von Häftlingen des Vernichtungslagers gebastelt wurde.

(Foto: MDR/Maja Productions)

Doch letztlich gaukeln die Fotos nur eine Familienidylle vor - denn die Spielzeugautos der Kinder hatten KZ-Häftlinge hergestellt, und keine 200 Meter hinter dem Garten der bürgerlichen Villa ragten dunkle Mauern in die Höhe. Die Gaskammern und Krematorien dahinter sieht man von dort aus aber nicht.

Rainer Höß, der Enkel des Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, übergibt die Truhe 2009 der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem, er begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit - und ein ungewöhnliches Filmprojekt nimmt seinen Anfang. Der israelische Regisseur Chanoch Ze'evi hat für seinen Dokumentarfilm über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit die Perspektive gewechselt: Im Mittelpunkt stehen diesmal nicht große Weltkriegsschlachten oder die minutiöse Nachzeichnung von Kriegsverbrechen, sondern fünf Nachfahren führender Nationalsozialisten - viele von ihnen haben sich zum ersten Mal vor einer Kamera mit ihrer Familiengeschichte auseinandergesetzt.

Es ist ein sperriger Film, der Widersprüche bewusst nebeneinander stellt und der einen staunen lässt über das breite Spektrum zwischen abgrundtiefem Hass und kaum fassbarer Naivität im Umgang mit verbrecherischen Eltern oder Großeltern.

In ruhigen Bildern fächert der Film die Biografien von fünf Menschen auf, die unterschiedlicher gar nicht auf das schwere Erbe ihrer Familien reagieren könnten. Da ist Bettina Sellers, die Großnichte von Hermann Göring, die in die USA ausgewandert ist, ihren Mädchennamen nach der Scheidung bewusst nicht wieder angenommen hat und die sich hat sterilisieren lassen, "um keine weiteren Görings zu produzieren".

Da ist Niklas Frank, der Sohn von Hans Frank, dem Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete, der in seinen Büchern so schonungslos mit seinen Eltern abrechnet, dass es bei Lesungen seinen Zuhörern die Tränen in die Augen treibt und sie ihn bitten, doch wenigstens zum Schluss noch etwas Versöhnliches zu sagen. Worauf er trocken antwortet: Bis heute habe er an seinem Vater nichts Positives finden können. Da ist Katrin Himmler, die Großnichte von Heinrich Himmler, die sich als analytische Forscherin mit ihrer Familiengeschichte beschäftigt hat und ebenso wie Niklas Frank bei dieser "schmerzhaften Auseinandersetzung" auf deutlichen Widerstand in der eigenen Familie trifft.

"Du hast es nicht getan"

Und schließlich ist da noch Monika Hertwig, die Tochter des berüchtigten Kommandanten des Zwangsarbeitslagers von Krakow-Plaszow, Amon Göth. Sie hat Bilder von einem Garten, von Hunden und Pferden im Kopf, ihre Mutter sagt, die Juden hätten dort Arbeit gehabt, konnten essen und schlafen. Allerdings hätte "der Amon" dann doch auch ein paar Juden "umgelegt", wie viele, verrät die Mutter nicht.

Wenn Monika nachfragt, gibt es Schläge. Mit diesem rudimentären Wissen sieht sie dann mehr als 50 Jahre nach Kriegsende das Holocaust-Drama Schindlers Liste, worin der Sadist Göth eine wichtige Rolle spielt - erst Steven Spielberg hat ihr sozusagen die Augen über ihren Vater geöffnet. Der Kinobesuch gipfelt im Schock.

Rainer Höß reist also in die Vergangenheit nach Oswiecim, besucht die Gedenkstätte Auschwitz und die Kommandantenvilla. Und er tritt vor eine Schulklasse aus Israel, gibt sich als Enkel des Verbrechers zu erkennen, bekennt sich schuldig - und wird von einem Holocaust-Überlebenden umarmt, der ihm zuruft: "Fühl dich nicht schuldig, du hast es nicht getan." Immerhin bricht Ze'evi diese bewegenden und doch allzu rührseligen Momente geschickt, indem er Höß selbst darüber reflektieren und einen israelischen Journalisten zu Wort kommen lässt, der die Szene mit den Worten kommentiert: "Manchmal gibt es kein Happy End, und diese Geschichte kann nicht enden."

Meine Familie, die Nazis und Ich. ARD, 23:45 Uhr.

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