Mehmet Kurtulus im Interview:"Es entsprach sicher nicht den Sehgewohnheiten"

Nach nur sechs Folgen ist Schluss beim "Tatort": Mehmet Kurtulus ermittelt am Sonntag zum letzten Mal in Hamburg als Undercover-Cop Cenk Batu. Ein Gespräch über ästhetische Experimente, Quoten und seinen coolsten Drehbuch-Satz.

Irene Helmes

Mehmet Kurtulus kam 1972 in Usak (Türkei) zur Welt und wuchs im norddeutschen Salzgitter auf. Bekannt wurde er durch Filme mit Regisseur Fatih Akin, unter anderem "Kurz und schmerzlos" und "Gegen die Wand". 2002 bekam er in Doris Dörries "Nackt" als erster Deutschtürke ausdrücklich ohne Referenz auf seine Herkunft eine Kino-Hauptrolle, im Herbst 2008 wurde Kurtulus zum ersten türkischstämmigen Ermittler der "Tatort"-Geschichte. Seine Ermittlungen als Cenk Batu wurden von Kritikern als willkommene Abwechslung vom gewohnten Stil der Krimireihe gelobt, die Quoten konnten jedoch nicht mit denen der Kollegen in anderen Städten mithalten. Nach sechs Episoden ist am 6. Mai mit dem Finale "Die Ballade von Cenk und Valerie" Schluss. Er surfe gerne an vielen Stränden, erklärte Kurtulus im vergangenen Jahr diesen Entschluss - und der Strand Tatort sei nun "abgesurft".

Mehmet Kurtulus spielt in "Die Balade von Cenk und Valerie" zum letzten Mal Cenk Batu im Tatort Hamburg

Mehmet Kurtulus spielt in "Die Ballade von Cenk und Valerie" zum sechsten und letzten Mal den verdeckten Ermittler im Hamburger Tatort.

(Foto: dpa)

Süddeutsche.de: Herr Kurtulus, alles Gute nachträglich. Sie sind vergangene Woche 40 Jahre alt geworden. Fast pünktlich folgt nun Ihr letzter "Tatort"-Auftritt. Steht Ihnen der Sinn nach einem neuen Lebensabschnitt?

Mehmet Kurtulus: Ganz herzlichen Dank. Die 40 ist schon eine magische Zahl und ich freue mich darauf und bin sehr gespannt, was das Leben noch mit mir vor hat. Es gibt so viele Dinge, die mit der 40 zusammenhängen. Beispielsweise schneidet man die Haare von Neugeborenen, sofern sie welche haben, keinesfalls die folgenden 40 Tage. Die Witwe trägt 40 Tage nach Ableben ihres Mannes schwarz. Ganz zu schweigen von Ali Baba und seinen Kopeiken. Dass diese Zahl nun mit dem Ereignis des "Tatort" einhergeht, macht es doch umso interessanter.

Süddeutsche.de: Cenk Batus Fälle wurden als "künstlerische, ästhetische und politische Weiterentwicklung" des Tatorts angekündigt. Der NDR hat Sie stark in die Entwicklung von Konzept und Figur eingebunden. Gehen Sie nach sechs Episoden mit einem Gefühl der Zufriedenheit?

Kurtulus: Das kann ich von Herzen bestätigen. Der NDR hat mich bis zur letzten Sekunde sehr stark in die Konzeption mit eingebunden. Dieser Perspektivwechsel, die Geschichte aus Batus Sicht zu erzählen, machte den Zuseher zum Zuschauer - mehr noch zum Komplizen. 'Wir waren immer am Tatort und fuhren nicht erst hin' - das baute eine Geschwindigkeit und Komplexität auf, wobei teilweise nicht nur Batu schwindelig wurde. Ich durfte Themenwünsche äußern, die auch im Team Anklang fanden.

Süddeutsche.de: Bei welchen Sendungen war das beispielsweise der Fall?

Kurtulus: Das Thema Organmafia in unserem vierten Stück "Leben gegen Leben" basiert auf einem Skandalbericht aus den türkischen Nachrichten, demzufolge ein ganzes Dorf seine Nieren verkaufte. Das ließ mich nicht in Ruhe und inspirierte mich dazu, das Thema aufzugreifen. Der Gedanke, sich im Hamburger Tatort mit dem 11. September zu befassen - mit Hilfe eines Undercovereinsatzes - schwebte mir seit 2007 vor. Wir konnten also weitestgehend unsere Vision in Bezug auf Figur und Konzept umsetzen und hoffentlich einen Beitrag zur Weiterentwicklung des "Tatort" leisten. Es hat sich gezeigt, dass der alte Dampfer Tatort sich noch lenken lässt wie ein Motorboot.

Süddeutsche.de: Sie waren der erste türkischstämmige "Tatort"-Kommissar - eine kleine Revolution, wenn auch spät. 2007 kündigten Sie im SZ-Interview eine Öffnung für Migrationsthemen an, sagten aber gleichzeitig, dass "keine Multikultisoße ausgegossen" werden würde. Wie sehen Sie das rückblickend?

Kurtulus: Als nach der Folge "Auf der Sonnenseite" das Echo über den ersten türkischstämmigen "Tatort"-Kommissar Wogen schlug, wurde mir klar, dass nicht nur die neue Erzählstruktur, sondern vielmehr meine Identität für eine kleine Revolution gesorgt hatte. Ich sah mich nicht als Botschafter für Migrationsthemen, sondern versuchte im zeitgeistigen Sinne dem "Tatort" eine weitere Farbe beizusteuern, um in diesem Zusammenhang mit Selbstverständlichkeit und Unaufgeregtheit 90 Minuten spannende Unterhaltung abzuliefern. Rückblickend glaube ich, ist uns das geglückt.

Süddeutsche.de: Im Schnitt etwa sieben Millionen Zuschauer pro Folge waren im Vergleich mit den anderen "Tatorten" allerdings sehr wenig. Was war Ihrer Ansicht nach der Grund für diese niedrigen Quoten?

Kurtulus: Es entsprach sicher nicht den Sehgewohnheiten des traditionellen Tatortliebhabers. Ich denke an fehlender Spannung hat es nicht gelegen - dafür haben wir aber auch neue, vermutlich junge Tatortzuschauer dazugewonnen.

Süddeutsche.de: Es wurde viel spekuliert: Inwieweit sind die Quoten der Grund dafür, dass Batu nicht weiter ermitteln wird?

Kurtulus: Die Quoten spielten überhaupt keine Rolle in dem Zusammenhang.

Süddeutsche.de: Hat es im Laufe der Zeit genervt, dass die meisten Deutschen inzwischen bei Ihnen gleich an Cenk Batu denken?

Kurtulus: Nicht die Bohne! Es gibt doch nichts Schöneres, als diese Figur des Cenk Batu, die offensichtlich den Weg in die Herzen des Publikums gefunden hat, mit allen zu teilen. Von diesem Freund werden wir uns leider nun wieder verabschieden, ich bin mir aber sicher, dass wir weitere gemeinsame Freunde finden werden. Figuren, die spannend genug sind, ihnen Leben einzuhauchen und Geschichten, die es wert sind, geteilt zu werden.

Süddeutsche.de: Kommt Ihnen der Kultstatus von "Tatort" manchmal seltsam vor?

Kurtulus: Der "Tatort" ist meines Wissens nach weltweit das einzige Format mit dieser Historie. Im Dezember 2010 war ich an der New York University Gast zu genau diesem Thema, dem "Phänomen Tatort". Einer Fernsehreihe, die es über 40 Jahre schafft, sich nicht nur zu halten, sondern auch mit der Zeit zu gehen, gebührt Respekt. Für mich ist der "Tatort" neben Fernsehunterhaltung auch Zeitdokument.

"Das käme ja gar nicht in Frage"

Süddeutsche.de: Der coolste Satz, den Sie als Batu je sagen durften?

Die Ballade von Cenk und Valerie

"Die Ballade von Cenk und Valerie" - die letzte Tatort-Folge mit Mehmet Kurtulus - endet blutig. Ein Zurück ist mit diesem Finale nicht vorgesehen.

(Foto: dapd)

Kurtulus: "Blendend...mir scheint die Sonne aus dem Arsch".

Süddeutsche.de: Der Gegenspieler von Batu, den Sie am liebsten selbst gespielt hätten?

Kurtulus: Die phantastische Rolle von Ken Duken in "Auf dem Weg ins Paradies" wäre mit Sicherheit ein Leckerbissen gewesen. Sie gehört - wie auch Corinna Harfouchs großartiger Auftritt als Auftragskillerin in "Die Ballade von Cenk und Valerie" - zu jenen dankbaren, ebenbürtigen und tollen Rollen, die zum gemeinsamen Ping-Pong einladen.

Süddeutsche.de: Sie hatten für den "Tatort" einen Exklusiv-Vertrag mit dem NDR, andere TV-Engagements waren damit ausgeschlossen. Das ist vorbei - was jetzt?

Kurtulus: Ich halte den "Tatort" für ein optimales Fernsehformat und wollte mich neben meinen Arbeiten im Kino ausschließlich darauf konzentrieren. Ich hatte das Glück, in den vergangenen drei Jahren eine große Aufmerksamkeit durch den Hamburger Tatort zu genießen. Kinoarbeiten wie "Vasha" oder "Transfer", der Ende letzten Jahres in den deutschen Kinos lief, wurden da eher überschattet. Das Kino ist größer als die Realität, da wird ein Augenaufschlag zur Sensation. Schauspielerisch gilt es, das Spiel zu verkleinern und zu verfeinern. Auf diese Arbeit würde ich gerne wieder den Schwerpunkt legen, ohne aber das Fernsehen aus den Augen zu verlieren.

Süddeutsche.de: Sie haben es gerade schon angedeutet: Sie haben sich nie auf TV-Produktionen beschränkt, sondern spielen in Kinofilmen, waren als Ko-Produzent tätig, stehen auf der Bühne und lesen Hörbücher. Was liegt für die kommenden Monate an?

Kurtulus: Ich möchte erst einmal eine kleine Auszeit nehmen und mich neu sortieren und schauen, welches der Projekte, die man selbst im Schränkchen hat, am lautesten danach ruft, herausgelassen zu werden. Der Rest steht in den Sternen...

Süddeutsche.de: Der Durchbruch gelang Ihnen mit Filmen von Fatih Akin. Wird es eine neuerliche Zusammenarbeit geben?

Kurtulus: Wir hatten beide in den letzten Jahren das Glück, interessante Projekte machen zu dürfen. Wenn uns ein gemeinsames Projekt über den Weg laufen sollte, könnten wir an unsere tolle Zusammenarbeit der vergangenen Jahre sicher wieder anschliessen.

Süddeutsche.de: Sowohl beruflich als auch privat sind Sie sehr viel international unterwegs. Kommen Sie manchmal in Versuchung, Deutschland ganz zu verlassen?

Kurtulus: Das käme ja gar nicht in Frage. Der schönste Ort auf der Welt ist der, den man wieder verlassen kann. Ist es nicht so? Ich bin in Deutschland aufgewachsen und habe fast mein ganzes Leben hier verbracht. Mein privates und berufliches Umfeld befindet sich hier. Ich liebe die Vielfalt, aber gerade deshalb würde ich mich doch nicht einschränken, indem ich Deutschland ausschließe.

Süddeutsche.de: Sie haben einmal verraten, dass Sie privat kaum fernsehen. Ganz ehrlich: Lassen Sie den "Tatort" nun völlig hinter sich, oder werden Sie sich am Sonntagabend ab und zu die Kollegen anschauen?

Kurtulus: Ich bin mir sicher, dass ich auch in Zukunft affin für "Tatortschlagzeilen" sein werde, um zu schauen, was sich bei den Kollegen tut. Ich würde mich freuen, eine Folge der Frankfurter zu erwischen, um zu sehen, wie wunderbar sie sich entwickeln - oder zu verfolgen, was der Tumor macht.

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