Süddeutsche Zeitung

Medientage:Ost Wanted

Eine Diskussion in Leipzig fragt nach Realitäten Neufünflands - und kommt zu interessanten Ergebnissen.

Von Cornelius Pollmer

Ab und an sollte man irgendwelche Medientage besuchen und sei es nur, um nachzusehen, ob Sascha Lobo noch die Keynotes spricht. So geschehen ist es diese Woche in Leipzig und ebenso Verlass war dort auf andere wunderliche Kongresstraditionen wie die, dass auf kritisch betitelten Podien die potenziell zu Kritisierenden oft weitgehend unter sich bleiben, um dann froh anzumerken, na, so schlecht machen wir unsere Sache ja nicht!

Vieles andere aber war bei den modernisierten Medientagen in Leipzig wirklich neu, das begann schon beim Ort, der rumpeligen Baumwollspinnerei, von der sich noch immer leicht Coolness leihen lässt. Und das hörte nicht auf bei den Zuschnitten der Podien, auf denen die Debattenwirksamkeit von Satire genauso verhandelt wurde wie die Frage, welches Potenzial der ländliche Raum für die Kreativwirtschaft in sich trägt und umgekehrt.

Speziell um den Osten oder die Teilmenge Mitteldeutschland ging es erstaunlich selten, dafür aber dezidiert und erschöpfend zum Schluss. Die Autorin und Zeit-Journalistin Jana Hensel, MDR-Intendantin Karola Wille, Focus-Chefredakteur Robert Schneider und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) diskutierten über "ostdeutsche Realitäten und Diskurse in den Medien". Dass beides in dem Fall zuweilen besonders arg voneinander abweichen kann, darin waren sich die vier Sachsen begründet einig. Ostdeutschland sei viel zu lange fast ausschließlich als "defizitärer Raum" beschrieben worden, sagte Hensel. Wille berichtete von einer MDR-Doku, für die 170 Millionen Artikel der Jahre 1990 bis 2017 ausgewertet wurden, in denen der Begriff "Ostdeutschland" vorkommt. Ergebnis: Während das anfangs häufiger im Kontext von Aufschwung und Modernisierung der Fall war, komme der Osten später vielmehr im "Kontext mit Problemen" vor. Als kultureller Raum sei er selten Thema. Wille sagte, es sei "höchste Zeit, dass wir korrigieren".

Der Blick der Medien auf den Osten Deutschlands wird realistischer

Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht. Der 30. Jahrestag des Mauerfalls könnte der erste sein, der "nicht mehr so eigenartig museal" begangen werde, sagte Hensel. Sei der Osten lange nur zu Jubeldaten betrachtet worden, gebe es seit 2015 erstmals eine kontinuierliche Abbildung ostdeutscher Realitäten auch in überregionalen Medien. Zudem entstehe so etwas wie ein innerostdeutscher Diskurs. Die Ostdeutschen würden, so Hensel, ähnlich wie Migrantinnen oder Feministen als weitere "bislang weithin marginalisierte Gruppe" zu Stimme finden, man könne durchaus von einem "ostdeutschen Awakening" sprechen.

Was ist wichtig, bei diesem erweiterten Diskurs? Karola Wille sagte, es gehe nicht darum, Probleme auszublenden. Bei den Vorfällen in Chemnitz 2018 etwa sei es dem MDR wichtig gewesen, Dinge klar darzustellen, die nicht zu entschuldigen sind - aber auch nicht eine ganze Stadt zu kriminalisieren. Und dem nun wahlkämpfenden Kretschmer war es womöglich noch etwas wichtiger, dass der Optimismus nicht zu kurz kommt. Die Runde in der Spinnerei hatte festgestellt, dass es gut sei, wenn die Wiedervereinigung nicht pauschal als Erfolgsgeschichte erzählt werde, sondern viele im Osten nun den Mut fänden, öffentlich auch über Niederlagen zu berichten.

Genauso sei es richtig, die anhaltende strukturelle Ungleichheit zwischen Ost und West etwa in Chef- und Chefinnenetagen weiter zu diskutieren. Kretschmer sagte, man dürfe dabei nicht vergessen, was sich seit 1989 sich im Osten alles verbessert habe, ja, er warne vor zu großer Problemfixierung und auch davor, dass die Diskussion "so einen neurotischen Touch" bekomme.

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Quelle:
SZ vom 24.05.2019
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