Früher war mehr Zapping: Heute wird gestreamt und ferngeschaut, gewischt und geblättert, geliked, kommentiert, geteilt. Nachrichten laufen als Tagesschau, Podcast oder Youtubevideo. Und wer ein Smartphone in der Tasche hat, kann damit Medieninhalte abrufen - oder auch produzieren. Die Gesetzgebung aber wackelt alldem noch hinterher. Das könnte die Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Beschluss eines Medienstaatsvertrages am Donnerstag ändern. Was heißt das für Produzenten und Publikum? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was ist der Medienstaatsvertrag?
Der Medienstaatsvertrag soll den Rundfunkstaatsvertrag ersetzen. Darin ist noch das duale Rundfunksystem geregelt, also ein System mit privaten und öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsendern. Der Rundfunkstaatsvertrag wird zwar ständig durch Zusätze erweitert, ist aber ursprünglich von 1991. Das war acht Jahre, bevor Boris Becker den Deutschen mit der Frage "Bin ich schon drin?" ihre ersten Internetzugänge anpries, 16 Jahre vor dem ersten iPhone. Das Gesetz ist also für Radio- und TV-Sender gemacht, nicht für kleine Unternehmen und Privatleute, die heute einfach selbst zu Sendern werden können. Daher gibt es auch Rechtsstreits darüber, ob es angemessen ist, dass online die gleichen Regeln wie im klassischen Rundfunk gelten. Das soll der Medienstaatsvertrag regeln.
Warum dauert die Reform so lange?
Der Prozess wird von der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei koordiniert. Diese startete 2018 ein Beteiligungsverfahren, bei dem sich Bürger, Sender, Verbände und Institutionen zum Vorhaben äußern durften. Ein Jahr später galt dasselbe für einen überarbeiteten Entwurf. So wurde schnell klar, dass viele verschiedene Interessen betroffen sind: TV-Sender haben andere Erwartungen als Digitalverbände, Youtuber oder Landesmedienanstalten. Weil die Mediengesetze Ländersache sind, müssen letztlich alle 16 Bundesländer zustimmen. Es gilt also, einen Konsens finden. Nur: Die Länder nutzen die Neuerung auch, um sich gegenüber der Bundespolitik zu behaupten. Sie wollen die Regulierung der großen Internetkonzerne nicht allein dem Bund mit seinem Netzwerkdurchsetzungsgesetz von 2017 überlassen.
Was sind die wichtigsten Neuerungen?
Der Medienstaatsvertrag definiert neu, wer künftig ohne Rundfunklizenz senden darf. Außerdem soll er Medienthemen regeln, an die vor knapp 30 Jahren kaum jemand dachte, etwa Smart-TVs oder Sprachassistenten. Die dürfen künftig bestimmte Programme nicht willkürlich schlecht platzieren und müssen die Angebote, die für Meinungs- und Angebotsvielfalt wichtig sind, leicht auffindbar machen. Zudem gilt der Staatsvertrag dann auch für "Medienintermediäre": Die akademische Wortneuschöpfung lässt sich mit "Vermittler zwischen Vermittlern" übersetzen. Gemeint sind Onlinedienste, die der Medienwelt zuzuordnen sind, selbst aber keine klassischen Medieninhalte produzieren, wie Google, Facebook, Youtube oder App-Stores.
Was soll sich für Plattformen wie Facebook ändern?
Facebook und die anderen Intermediären müssen dann bestimmte Informationspflichten erfüllen. So sollen etwa Social Bots, die für die Beeinflussung von Wählern verantwortlich gemacht werden, gekennzeichnet werden. Die Transparenzregeln können auch bedeuten, dass etwa Google erklären muss, wie seine Such-Algorithmen funktionieren, oder Facebook, warum manche Einträge prominent platziert sind. Die Digitalbranche sieht den Entwurf zum Medienstaatsvertrag daher sehr kritisch. Der Branchenverband Bitkom fordert in seiner Stellungnahme zum Entwurf, dass die Relevanz für die Meinungsbildung von Intermediären erst empirisch zu beweisen sei, bevor sie reguliert werden. In den geplanten Geboten zu privilegierter Auffindbarkeit sehen sie eine Bevormundung von Nutzern.
Wer braucht künftig eine Lizenz zum Senden?
Gemäß dem alten Rundfunkstaatsvertrag gilt beinahe jeder, der regelmäßig Bild oder Ton live ins Netz sendet, als lizenzpflichtiger Rundfunkveranstalter und bräuchte demnach eine bis zu 10 000 Euro teure Lizenz. Unter dem Medienstaatsvertrag entfällt die Zulassungspflicht für Programme, die nicht zur Meinungsbildung beitragen. Ob sie das tun oder nicht, ist natürlich Interpretationssache. Das härtere Kriterium ist, dass wer im Durchschnitt weniger als 20 000 Nutzer erreicht, keine Lizenz mehr braucht. Damit sind viele kleine Streamer von der Lizenzpflicht befreit. Im Zweifel sollen die Medienanstalten die Zulassungsfreiheit bestätigen, in jedem Fall aber müssten Streamer bei den Anstalten eine Adresse hinterlegen. Einige Größen der Streamingszene, wie Gronkh oder Piet Smiet, die mit Übertragungen von Videospielen bekannt geworden sind, haben sich bereits Lizenzen besorgt. Für sie ändert sich daher nichts, ebenso für die klassischen TV-Sender, die in der Regel deutlich größere Reichweiten erlangen müssen, um wirtschaftlich überleben zu können.
Ändert sich etwas beim Thema Werbung?
Die erlaubten Werbezeiten für Privatsender sind nach wie vor begrenzt. Die Sender sollen diese aber laut aktuellem Entwurf des Medienstaatsvertrags freier im Programm verteilen dürfen. Auch Kindersendungen dürften dann Werbung enthalten. Smart-TVs hingegen sollen das Signal der Sender nicht mit eigenen Anzeigen überblenden dürfen, was technisch möglich ist. Nachdem es in der Vergangenheit immer wieder Gerichtsprozesse um Schleichwerbevorwürfe von Internetprominenten gab, ist dann ausdrücklich festgelegt, dass eine Produktplatzierung, die stets kennzeichnungspflichtig ist, bezahlt sein muss.
Wie reagieren die TV-Sender und Streaminganbieter?
Bei der Vorstellung des Vertragsentwurfs witterten zunächst vor allem Streamer und Youtuber Zensur, inzwischen aber ist die Empörung abgeflacht. Denn wer professionell vor großem Publikum streamt, hat in der Regel ohnehin längst eine Lizenz. Sowohl die ARD als auch der Privatrundfunkverband Vaunet begrüßen die Pläne prinzipiell.
Wann tritt der Medienstaatsvertrag in Kraft?
Falls am Donnerstag die Ministerpräsidentenkonferenz den Staatsvertrag beschließt, könnte der Medienstaatsvertrag im Frühjahr unterzeichnet werden. Selbst bei Verzögerungen müsste das Gesetz spätestens im September 2020 gelten, damit die EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste rechtzeitig umgesetzt wird.