Medienschelte:Der böse Blick

Muegida-Demonstration in München, 2015

Eine Teilnehmerin einer Mügida-Demonstration am Sendlinger Tor hält das Buch "Gekaufte Journalisten" von Udo Ulfkotte in die Höhe.

(Foto: Florian Peljak)

Eine Verschwörungstheorie war früher ein Irrglaube, der als Herrschaftswissen behandelt wurde. Heute findet man für jeden Wahnsinn die Bestätigung. Auch in den Bestsellerlisten.

Von Hans Leyendecker

Die "Journaille" bestehe im Wesentlichen aus "Presskötern", "Presshyänen" und "Fanghunden der öffentlichen Meinung". Sie schrieben im Auftrag von irgendjemand, hörten aber mit dem Schreiben sofort auf, wenn sie von den angegriffenen Institutionen geschmiert würden. Vor einem Jahrhundert hat Karl Kraus mit allem, was er hatte, gegen die Macher der Wiener Neuen Freie Presse gekämpft, aber eigentlich ging es ihm um viel mehr. Er wollte seine Leser "entjournalisieren" .

Zwar sei "Blutdurst" seiner Seele fremd, aber er werde "Feuer kommandieren", wenn er sich nur davon überzeugt hätte, "dass die Gewehrläufe auf keinen anderen Menschen, ja auf kein anderes Wesen gerichtet wären als auf - Journalisten". Das schrieb der von Zensur-Phantasien und anderen Leiden geplagte Philosoph Sören Kierkegaard 1848 in sein Tagebuch.

Es ist also nicht ganz neu, wenn in diesen Tagen Medienleuten vorgehalten wird, sie seien käuflich, einseitig, unmoralisch, rücksichtslos, korrupt; sie würden hetzen, leeres Stroh dreschen, blödeln und vernichten. Selbst der Vorwurf, sie manipulierten, betrieben Kampagnenjournalismus und/oder gehörten fremdgeschalteten Elite-Netzwerken an, klingt ziemlich vertraut. "Ihr lügt doch alle!" fasste in diesen Tagen das Branchenmagazin Medium den Hass auf Medien zusammen. Die Branche stecke in der "Glaubwürdigkeitsfalle".

Es sind Einzelfälle, die Unbehagen auslösen und zum allgemeinen Befund umgedeutet werden

Medienverdrossenheit ist, derzeit zumindest, en vogue und sie ist auch gut für die Auflage von Büchern. Sehr unterschiedliche Werke wie die Abrechnung des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff mit Medien, Thilo Sarrazins Krämereien in "Der neue Tugendterror" und das Absurdistan-Buch des Udo Ulfkotte über "Gekaufte Journalisten" kletterten oder klettern in den Bestsellerlisten nach oben.

Ein ernsthaft betriebener Faktencheck von Ulfkottes Werk, das diesen fettranzigen Geruch der großen Verschwörung mit all dem Geheimdienstgedöns verströmt, würde vermutlich nur noch die Buchdeckel und ein paar wenige Seiten übrig lassen. Es lohnt wirklich nicht. Und diese Bemerkung ist wegen der frappierenden, atemraubenden Naivität des Buchschreibers von Herzen freundlich gemeint.

Gewöhnlich sind Paranoiker und Verschwörungstheoretiker, die immerzu Nebelkerzen werfen und sich dann darüber beklagen, dass sie durch Nebelschwaden tapern müssen, nur schwer zu ertragen.

Wer sich dennoch im Fall Ulfkotte interessiert, was falsch, nicht völlig falsch oder halbrichtig sein könnte, sollte Stefan Niggemeiers kleinen Faktencheck im Onlinemagazin Krautreporter lesen. Natürlich haben Leser gleich widersprochen: Da bleibe ja der Rest und der sei doch so schrecklich wichtig. Immer bleibt ein Rest, der angeblich alles bedeutet. Es gibt im Netz, und auch sonst, den Hass, die Wut, den Spott: "Herrje, Topjournalisten unter sich. Kein Wunder, dass eure Blättchen alle übern Jordan gehen, niemand wird euch vermissen", schrieb ein "Onkel Hildegard" anlässlich der umlaufenden Diskussion.

"Onkel Hildegard" hat zwar den Sound drauf, der Kierkegaard vermutlich gefallen hätte. Andererseits hing der eifernde Philosoph gern dem Gedanken nach, nicht nur die Verfasser von Werken, sondern auch deren Leser mit Geldstrafen zu belegen. Das "Verbrechen " sei nicht so sehr das Drucken der Lüge, sondern deren Ausbreitung. Also, da käme etwa im Fall Wulff schon einiges zusammen.

Es sind Einzelfälle, die das Unbehagen auslösen und zum allgemeinen Befund umgedeutet werden. Die Achtundsechziger haben beim Versuch, die Techniken der Bild-Zeitung zu entlarven, noch erklärt, sie würden die Menschenwürde gegen die Pressefreiheit verteidigen. Daraus ist heute etwas seltsam Unbestimmtes geworden.

Der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen hat neulich in der Zeit über die neue Medienverdrossenheit nachgedacht. Weitgehend unbemerkt, so sein Befund, habe sich eine Bewegung formiert, die sich nicht als politisches oder soziales Milieu fassen lasse. Sie sei radikal im Urteil, tummele sich besonders in Onlineforen und sei nicht links, nicht rechts. Ihre Gemeinsamkeit sei der "böse Blick" auf das Treiben der Journalisten.

Nicht wenige der permanent Übelgelaunten tun so, als könnten sie allein jederzeit zwischen Blendwerk und Realität unterscheiden. Nur sie sind scheinbar immun gegen die Idiotie, die sie nicht ohne Kummer bei den anderen diagnostizieren. Vor jeder Illusion sind sie gefeit; schließlich wissen sie genau, mit wem sie es zu tun haben. Und natürlich sind diese Klagen nicht ganz gegenstandslos. Es gibt ja das Rattenrennen um irgendetwas, das wie eine Nachricht klingt, es gibt die Nullbotschaften, die als Ereignisse ausgegeben werden, es gibt die neue Geschwindigkeit, den neuen Wettbewerbsdruck - und das alles trägt zum schleichenden Misstrauen bei, das sich da breitmacht.

Zum eigentlich alten Lagerdenken hat die Beschreibung des Krieges in der Ukraine geführt

Zu Verstörungen und zu dem eigentlich alten Lagerdenken hat die Beschreibung des Krieges in der Ukraine geführt. Wer ist wie an was schuld? Nachweisbare Fehler in der Berichterstattung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern und auch in anderen Medien haben offenbar den (falschen) Eindruck verstärkt, die seien irgendwie zentral gesteuert. Gegen die Russen. Mit der CIA? Das Titelbild eines Wochenmagazins mit der Zeile "Stoppt Putin jetzt" nach dem Abschuss einer malaysischen Boeing über der Ukraine unterstellte, es stehe fest, dass Russland die Maschine abgeschossen hätte. Das war in vielfacher Hinsicht sehr daneben.

Capricorn One

Filmszene aus "Capricorn One" mit einem Klassiker der Verschwörungstheorie: Die Raumfahrt der USA ist in Wahrheit eine Inszenierung aus Hollywood.

(Foto: Lions Gate)

So summieren sich Fehler, Missverständnisse und in Satiresendungen wie "Die Anstalt" wird mit einer Doktorarbeit über das angebliche Netzwerk so genannter Meinungsmacher Kabarett gemacht. 64 Journalisten von 14 angeblichen Leitmedien hätten in acht Jahren 164 Verbindungen zu Organisationen gehabt, hat jemand nachgerechnet. Auch Ulfkotte diente die Dissertation als Wurfgeschoss, um Journalisten in die Nähe von gekauften Lobbyisten zu rücken.

Kabarett darf alles. Aber Nähe ist nicht gleich Vereinnahmung. Zwar kann sie, wenn sie klebrig ist, so etwas wie Schmiergeld sein, aber Nähe schließt Unabhängigkeit nicht aus. An wichtige Informationen kommt man nur durch Kontakte. Wer in der Stube bleibt, bleibt dort hocken.

Guter Journalismus muss, zumindest wenn es um Recherche geht, völlig ergebnisoffen sein. Aber sind Leser ergebnisoffen? Will jeder Leser die Annäherung an die Wahrheit?

Der Größte der Großen, Johann Wolfgang von Goethe, hat 1819 an Friedrich Rochlitz einen Brief über die Unterschiede bei den Lesern geschrieben. Es gebe drei Arten von Lesern: Eine, die ohne Urteil genießt, eine, die ohne zu genießen urteilt und eine, die genießend urteilt und urteilend genießt. Diese reproduziere eigentlich ein Kunstwerk aufs Neue.

Von dieser Sorte Leser gab es nach Ansicht Goethes nicht so viele.

Es gibt Defizite bei den Medien und es gibt Defizite bei den Lesern. Es ist nicht leicht, Leute zu finden, die etwas Neues zu sagen haben und es gibt nicht so viele Leute, die etwas Neues erfahren wollen. Das war so, das ist so.

Akzeptieren Zuschauer, Leser, Hörer eigentlich den Zweifel oder wollen sie sich nur in ihrem Verdacht bestätigt sehen? "Gute Frau, guter Mann, schreibt, was ich immer schon gesagt habe". Ein billiges Lob das besonders weh tut, wenn man sich lange mit einem schwierigen Stoff beschäftigt hat. Da ist schon fast die Kritik, die Analyse tauge gar nicht, sie sei dumm, unmoralisch und so weiter leichter zu ertragen, wenn man weiß, dass der Leser nur sein Weltbild verteidigen will.

Mit ein paar Klicks im Internet kann sich heute jeder seine eigene Plattform, seine eigenen Kanäle suchen. Das ist gut, das kann eine ganz neue Sicht auf die Dinge bringen. Aber es gibt Klicker, die glauben, sie verstünden von dem Geschehen da draußen dank der Klicks weit mehr als etwa der Auslandskorrespondent, der sich vor Ort tummelt und sich müht, Zusammenhänge zu begreifen und zu erläutern.

Die Apokalypse, die alltägliche Verschwörung breiten sich in Teilen der neuen Medienwelt ölfleckartig aus. Es lag immer schon in der Natur von Verschwörungstheorien, dass sie nie zu widerlegen waren. Keine Beweise? Na bitte, das beweist doch nur, dass die Verschwörer verschlagen sind, weil sie ja sonst Spuren hinterlassen hätten. Die unheimliche Macht des schleichenden Verdachts, der kühnen Komplott-Theorie ist auch kein ganz neues Phänomen. Dass die Erde keine Kugel, sondern flach ist, dass Pearl Harbor eine Erfindung der Amerikaner ist, dass die Mondlandung nie stattgefunden hat, sondern in einem Filmstudio inszeniert wurde - das alles sind für Verschwörungstheoretiker nur Selbstverständlichkeiten. Der 11. September, der Kennedy-Mord - alles ganz anders als es verbreitet wird. Verschwörungstheoretiker fangen immer mit der eigenen Schlussfolgerung an und ordnen dann dazu passend die Welt.

Sie fangen immer mit der eigenen Schlussfolgerung an und ordnen dazu passend die Welt

In der neuen Debatte fällt auf, dass viel von "Systempresse", von "etablierten Medien" die Rede ist und irgendwie sind sie alle schrecklich miteinander verbunden. Es gibt viel berechtigte Kritik am Erscheinungsbild von Medien. Diese Kritik wurde in Abständen unter anderem von Rau, Lammert, Schäuble, Steinbrück, Wulff, Voßkuhle vorgetragen und meist ging es um die Aufmerksamkeit um jeden Preis, die Medien sogar mit Nichts erzielen wollten.

Aber dass der Bericht wichtiger ist als das Ereignis, dass Aufmachung entscheidet, nicht der Inhalt, dass alles heute überall hin gelangt, aber schon morgen nicht mehr da gewesen ist - das hat auch schon Karl Kraus kritisiert.

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