Medienreform in Polen:Ich bitte die Deutschen, nicht zu schweigen

Demo für Pressefreiheit in Polen

Auch im Nachbarland Tschechien gehen die Menschen für eine freie polnische Presse auf die Straße (Bild aus Prag).

(Foto: Filip Singer/dpa)

In einer Zeit, in der kritische Journalisten als Landesverräter bezeichnet werden, darf sich Deutschland nicht von Polen abwenden.

Gastbeitrag von Bartosz Wieliński

Bartosz Wieliński, 37, ist Redakteur im Auslandsressort der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Von 2005 bis 2009 war er Deutschland-Korrespondent. Übersetzung: Lisa Palmes, n-ost.

Wenn Sie diesen Artikel lesen, werden im Internet sicher ein paar Einträge auftauchen, in denen man mich des Verrats an Polen beschuldigt - weil ich es angeblich gewagt habe, mein Land bei den Deutschen anzuschwärzen. Mit ziemlicher Sicherheit wird auch das Wort "volksdeutsch" fallen, dieses Synonym für Verrat und Kollaboration, das noch aus der Zeit der deutschen Besatzung Polens stammt.

Unter den Anhängern von "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), der in Polen allein herrschenden Partei, sind Leute, die regelmäßig ausländische Internetportale durchforsten und Alarm schlagen, wenn sie wieder einen Verräter ertappt haben. Ein Kollege, der für die Zeit über Polen schreibt, hat im Netz ein Foto von französischen Frauen entdeckt, denen man nach der Befreiung 1944 die Köpfe rasiert hatte, weil sie mit Deutschen ins Bett gegangen waren. Und zwischen diese Frauen hatte jemand ein Foto des Kollegen montiert. Was haben wir gelacht.

Ich will nicht klagen. Nein, ich fühle mich geradezu geehrt. Aber leid tut es mir auch. Schließlich hätte ich nicht einmal in meinen schwärzesten Albträumen gedacht, dass wir in Polen einmal die Demokratie, die wir 26 Jahre lang aufgebaut haben, vor der Regierung schützen müssten.

Das katholische Fernsehen hetzt gegen PiS-Gegner

Genauso wenig hätte ich gedacht, dass ein Anhänger von Verschwörungstheorien, der behauptet, Präsident Lech Kaczyński sei in Smolensk von den Russen ermordet worden, Verteidigungsminister werden würde. Und ein wegen Amtsmissbrauchs Verurteilter Koordinator der Geheimdienste. Dass ein Außenminister Fahrradfahrer und Vegetarier als seine Feinde betrachtet. Dass die neue Regierung das katholische Fernsehen mit seiner Hetzjagd auf PiS-Gegner zum Musterbeispiel für objektiven Journalismus erklärt. Und dass PiS-Politiker unverblümt von Journalisten fordern, nichts Kritisches mehr über sie zu schreiben.

Aber genau so ist es gekommen.

Um die Gewerkschaft Solidarność schlechtzumachen, verbreitete die Regierung im Kommunismus einst Zeichnungen vom "Baum des Volksverrats". Jetzt hetzen die PiS-Anhänger auf Twitter oder Facebook gegen uns und machen uns zu "Volksdeutschen". Angestachelt werden sie von Vizepremier Mateusz Morawiecki, der öffentlich bedauert, dass man heute mit der Verunglimpfung seines eigenen Landes zu kämpfen habe. Das Ziel war damals dasselbe wie heute: die Unbeugsamen mundtot machen. Wie viel leichter hätte es die PiS, wenn das Ausland nicht wüsste, was in Polen vor sich geht.

Doch das Ausland weiß es. EU-Kommission und Europaparlament wollen sich die Situation in Polen genau ansehen, in den westlichen Medien häufen sich die kritischen Kommentare. Ich verstehe die Empörung des Westens voll und ganz. Wir sind eine große Familie. Es ist normal, dass die Verwandten eingreifen, nachsehen, zu Hilfe kommen, wenn einem ihrer Nächsten Schlimmes geschieht. Und dass ein Verwandter, wenn er sich danebenbenimmt, Ermahnungen zu hören kriegt. Ermahnungen, die schärfer werden, wenn er nicht reagiert.

Die Ausschaltung des Verfassungsgerichts, die brutale Übernahme der öffentlichen Medien widerspricht den Werten Europas. Ebenso widerspricht dem Geist der europäischen Demokratie die Methode, mit der die PiS das Recht ändert: im Eiltempo, über Nacht, womit der Opposition jedes Recht auf Diskussion genommen wird. Die Gesetze, die auf Eilabstimmungen in Sejm und Senat warten, sollen die Kompetenzen der Geheimdienste erweitern, die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft beenden, private Medien repolonisieren. Und wer weiß, was dem PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, der Premierministerin Beata Szydło und Präsident Andrzej Duda lenkt wie Marionetten, noch so alles in den Sinn kommt.

Kritik am eigenen Land gilt als böswilliger Volksverrat

In Polen ist etwas sehr Schlimmes im Gange. Gut, dass Europa reagiert. Von der Familie ist in schweren Zeiten Hilfe zu erwarten. Doch man sieht, dass die Deutschen - ausgenommen deutsche Politiker in europäischen Strukturen - sich fürchten, Polen laut zu ermahnen. Als die PiS von 2005 bis 2007 zum ersten Mal regierte, startete die Regierung immer wieder laute Angriffe gegen die Deutschen. Jetzt will Berlin offenbar einen verbalen Schlagabtausch vermeiden. Wenn es endlich zu einem Treffen zwischen Premierministerin Szydło und Kanzlerin Merkel kommt, wird die deutsche Regierungschefin dem Gast aus Polen sagen, was sie von der Politik der PiS hält. Offiziell jedoch wird Berlin sich in Schweigen hüllen.

Dafür sorgt schon der deutsche Botschafter in Warschau, der nach wie vor in den gegenseitigen Beziehungen die Katastrophe vermeiden will, und sogar die Lokalpolitiker um Zurückhaltung bittet. Er glaubt fest daran, dass zwei wichtige europäische Länder es schon schaffen werden, irgendwie zusammenzuarbeiten.

Meine Bewunderung für den Botschafter, aber die Katastrophe lässt sich nicht vermeiden. Die Feindseligkeit den Deutschen gegenüber sitzt bei PiS tief. Was auch immer sich Schlimmes ereignet, die Deutschen werden schuld sein. Jarosław Kaczyński hat Polen vor wenigen Jahren als "deutsch-russisches Kondominium" bezeichnet. Sein Leibwächter Jarosław Brudziński sagte jetzt, weder deutsche Propagandablätter noch mickrige Beamtenfritzen hätten Polen zu diktieren, was es zu tun habe. Das Presseorgan der PiS, Gazeta Polska Codziennie, zeigte auf dem Titelblatt ein Foto von deutschen Soldaten, die im September 1939 einen polnischen Grenzpfahl zerbrechen; die Wehrmachtssoldaten tragen die Gesichter von Angela Merkel, Günther Oettinger, Martin Schulz. Ein PiS-Staat wird die Deutschen bekämpfen, und sei es wegen frei erfundener Dinge (2007 wurde Berlin beschuldigt, in Deutschland lebende polnische Kinder zu germanisieren). Ob Berlin dann schweigt oder nicht, hat keine Bedeutung.

Während der Präsidentschaftswahl vor zehn Jahren setzte der sogenannte Wehrmachtsopa der Kandidatur von Donald Tusk (heute EU-Ratspräsident) ein jähes Ende - also die Tatsache, dass Tusks Großvater unter Zwang in die deutsche Armee eingegliedert worden war. Doch das Land ist inzwischen immun gegen solcherart Propaganda. Die Schreckensszenarien, Deutschland könnte Polen Stettin wegnehmen oder Merkel verdanke ihre Karriere dunklen Mächten, entlocken uns nur ein müdes Lächeln. Zwischen Polen und Deutschland ist in den vergangenen Jahren viel Gutes passiert.

In den 1980er-Jahren traf eine Flut von Hilfspaketen aus Deutschland im geknechteten Polen ein. Jetzt braucht Polen Solidarität, Unterstützung, moralischen Beistand. Deswegen bitte ich die Deutschen, nicht zu schweigen.

Was die Zukunft betrifft, bin ich Optimist. Polen war bis jetzt die Gesellschaft mit der stärksten proeuropäischen Orientierung in der EU. Dass die PiS die Parlamentswahl gewonnen hat, bedeutet nicht, dass das polnische Volk Europa den Rücken gekehrt hat. Die Menschen haben nicht diese Partei gewählt. Im Wahlkampf hat die PiS schließlich noch versichert, sich geändert zu haben, weniger radikal zu sein. Jetzt, wo Polen, mit Kaczyński als Strippenzieher, die europäischen Werte über Bord wirft, wird der Widerstand gegen die Regierung wachsen. Die polnische Bürgergesellschaft hat bei den Demonstrationen im Dezember mit ihrer Stärke überrascht. Und das war erst der Anfang.

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