Süddeutsche Zeitung

Medienpolitik:Leipziger Einerlei

Der neue MDR-Rundfunkrat wird so staatslastig sein wie der alte und damit die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht erfüllen.

Von Viola Schenz

Zu den Eigenheiten des öffentlich-rechtlichen Systems gehören Kontrollorgane wie der Rundfunkrat. Sie wählen Intendanten und Direktoren und wachen darüber, dass der Programmauftrag eingehalten wird. Sie vertreten also die Öffentlichkeit und deren Interessen. Nicht zuletzt nehmen diese Instanzen sich aber auch selbst recht wichtig. Verärgert prägte Günther Jauch den Ausdruck "Gremien-Gremlins". Gremien-Mitgliedern erscheint es schwer vorstellbar, dass ihre Aufgaben für Außenstehende nicht ganz so bedeutsam sind wie für die Akteure. So berichtet Gabriele Schade, die Vorsitzende des MDR-Rundfunkrats, überrascht von einem Vortrag, den sie kürzlich vor Studenten der Kommunikationswissenschaften hielt: "Die wussten weder, dass es einen Rundfunkrat gibt noch was der tut." Schade hat es ihnen dann erklärt.

Diesen Dienstag konstituiert sich der Rundfunkrat der Drei-Länder-Anstalt nach sechs Jahren neu, seine 43 Mitglieder haben die Landtage von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gerade bestimmt und abgesegnet. Klar ist: Der neue Rundfunkrat wird sich in etwa so zusammensetzen wie der alte. Genau darin liegt das Problem. Diese Zusammensetzung entspricht nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte im März 2014 "Staatsferne" bei den Rundfunkgremien angemahnt und in einer Grundsatzentscheidung am Beispiel des ZDF-Staatsvertrags festgelegt, dass höchstens ein Drittel der Mitglieder der politischen Sphäre zuzurechnen sein dürfen. Im neuen MDR-Rundfunkrat gehören jedoch unverändert 35 Prozent der "Staatsbank" an. Außerdem erkannten die Karlsruher Richter Mängel bei Transparenz und Geschlechterverhältnis. Der Staatsvertrag von 1991 muss also dringend überarbeitet werden.

Doch in nun eineinhalb Jahren kam selbst eine zaghaft angedeutete "kleine Novelle" nicht zustande. "Leider ist dies nicht gelungen", sagt Malte Krückels (Die Linke), Medienstaatssekretär in Thüringen. Im April teilten die drei Staatskanzleien umständlich mit, eine Novellierung sei "nicht kurzfristig im Jahr 2015 erfolgreich abzuschließen". Der von Regierungsvertretern ausgehandelte Staatsvertragsentwurf sei "absehbar nicht in allen Landtagen der MDR-Staatsvertragsländer sicher mehrheitsfähig". Zu deutsch: Man ist so grundverschiedener Auffassung, dass man eine Novellierung gar nicht erst versucht.

Eine Novelle sei "nicht kurzfristig erfolgreich abzuschließen"

Im Januar übernimmt der MDR turnusgemäß den ARD-Vorsitz. Da wäre es nicht schlecht, wenn man - trotz umfangreicher anstehender Reformen unter dem Schlagwort "MDR 2017" - einen Laden mit verfassungsrechtlich unbedenklichen Kontrollgremien vorweisen könnte.

Doch davon ist der MDR weit entfernt. Stattdessen "drohte" im Oktober Thüringen, das kleinste Land im Verbund, aus dem MDR auszusteigen. In den beiden anderen Staatskanzleien rieb man sich die Augen. Und wohin sollte Thüringen abwandern? Der Hessische Rundfunk wäre eine Option, hieß es in Erfurt. Dort sah man die Sache anders. "Wir messen dem Ganzen keine hohe Bedeutung zu", sagte eine HR-Sprecherin damals auf SZ-Nachfrage. Überhaupt ist der Staatsvertrag frühestens 2021 kündbar. Erklärbar ist das Erfurter Gemaule durch den Profilierungsdrang der ersten rot-rot-grünen Koalition auf Landesebene, die dort seit Dezember 2014 regiert - nach 24 Jahren CDU. Thüringen werde benachteiligt, das zeige sich schon an den Mitarbeiterzahlen: Gut 1500 sind es in Sachsen, knapp 400 in Sachsen-Anhalt und nur gut 100 in Thüringen.

Anruf beim sächsischen Medienstaatssekretär Fritz Jäckel (CDU): Man müsse einfach auch die sozio-ökonomischen Faktoren der Länder berücksichtigen. "Thüringen hat schon zu DDR-Zeiten medienpolitisch keine Rolle gespielt", sagt er, "es gab und gibt dort einfach zu wenig Medienschaffende. Hier müsste das Land stärker ansetzen." Jäckel hätte die Austrittsdrohung " nicht in dieser Form in die Öffentlichkeit getragen, sondern erst einmal das Gespräch gesucht". Thüringen habe damals, vor dem Vertragsabschluss 1991 einfach schlecht verhandelt, hört man aus Sachsen-Anhalt. Erfurt bleibt stur: "Wir prüfen weiter alle Optionen", wiederholt Malte Krückels seine Worte vom Oktober.

In der Dresdner Staatskanzlei lässt man keine grundsätzlichen Zweifel aufkommen. "Es gibt politische Differenzen", sagt Jäckel, "trotzdem erkenne ich ein konstruktives Zusammenarbeiten im Interesse der Drei-Länder-Anstalt." Aus dem MDR-Rundfunkrat hört man nur vorsichtig-diplomatische Äußerungen. "Wenn man so ein Paket, das seit 25 Jahren verschnürt ist, aufschnürt, kommt einiges zusammen", lässt sich der Vorsitzenden Gabriele Schade immerhin entlocken. Zu den anstehenden Reformen sagt die 63-Jährige, die im Hauptberuf an der FH Erfurt Informatik lehrt: "Ich denke, dass es für den ARD-Vorsitz nicht von Nachteil gewesen wäre, wenn wir einen Staatsvertrag hätten, der diese Vorgaben berücksichtigt."

Für die grundsätzliche Wichtigkeit funktionierender Kontrollsysteme hat der MDR in der Vergangenheit mit Skandalen und Skandälchen zuverlässig Argumente geliefert: Moderatoren, die sich als ehemalige Stasi-Mitarbeiter entpuppten, Schleichwerbung auf MDR-Kosten durch den damaligen Sportchef, Veruntreuung von 4,6 Millionen Euro beim Kinderkanal. "Die Skandale waren die Folge fehlender wirksamer interner Kontrollsysteme und darüber hinaus der kriminellen Energie Einzelner", meint dazu MDR-Intendantin Karola Wille. In den vergangenen vier Jahren habe der MDR "die Vorgänge konsequent aufgearbeitet" und ein "modernes Compliance-System eingerichtet".

Im Fachdienst Medienkorrespondenz plädierte Wille im Sommer dafür, "nicht nur die gesetzlichen Mindestvorgaben hinsichtlich der Transparenz" im öffentlich-rechtlichen Rundfunk umzusetzen, sondern freiwillig die Transparenz zu stärken. Worte, denen die Sendergremien hinterherhinken: Die Sitzungen des MDR-Rundfunkrats sind nicht öffentlich, wie es in anderen ARD-Anstalten selbstverständlich ist. Immerhin stehen inzwischen die Sitzungsergebnisse und die Namen der Mitglieder auf der Website.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2015
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