Medienpolitik:Er will mehr

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Ein gut gelaunter Verfassungspatriot: Matthias Knothe. (Foto: Claudia Tieschky)

Matthias Knothe aus Schleswig-Holstein koordiniert seit 26 Jahren fernab der Öffentlichkeit die Rundfunkpolitik der Länder. Nun hat der Jurist beachtliche und chancenreiche Reformpläne für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgelegt.

Von Claudia Tieschky

Dass es in Kiel so brummt medienpolitisch, würde man erst mal nicht vermuten. Mehr als 600Kilometer sind es bis Mainz, wo in Rheinland-Pfalz der Vorsitz der Rundfunkländerkommission liegt. Und somit zweifellos ein Hotspot der Medienpolitik, für die die Länder zuständig sind. Aber Kiel? In Kiel gibt es Matthias Knothe, 58, den Leiter der Stabstelle Medien in der Staatskanzlei von Schleswig-Holstein. Aus seinem kleinen Büro am Wasser kam maßgeblich der Reformplan für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der unter dem Namen "Indexmodell" läuft.

Das Indexmodell will den Rundfunkbeitrag fest an die Preissteigerung koppeln und den Anstalten mehr Gestaltungsfreiheit geben. Denn wenn nichts passiert, dürfte die Rundfunkabgabe 2021 um zwei Euro steigen. Was keiner der sechzehn Ministerpräsidenten will, die dafür auch noch ihre Landtage fragen müssen und möglicherweise keine Mehrheit bekommen. Obwohl das schon eine Weile klar ist, gab es keine Reform. Das Indexmodell aus Knothes Büro könnte Abhilfe schaffen. Es ist plötzlich erstaunlich chancenreich.

Der Mann mit Fliege sitzt hinter schusssicherem Glas. Heide Simonis (SPD) nannte ihn mal ihren medienpolitischen 007, "er hat alle Lizenzen", sagte sie. Die beiden wirkten zusammen zu einer Zeit, in der Leo Kirch auf den Höhepunkt seiner Macht zusteuerte, und fochten gegen sein Großreich für ein Medienkonzentrationsrecht. Seither war der Jurist Knothe nacheinander Beamter im Dienst fünf verschiedener gewählter Majestäten. Unter Simonis' Vorgänger Björn Engholm fing er an, nach Simonis kam Peter Harry Carstensen (CDU), kam Torsten Albig (SPD) und zuletzt Daniel Günther, wieder ein Schwarzer, der aber mit den Grünen und der FDP regiert. Wer blieb, durch all die Wechsel, das war Matthias Knothe.

Fragt man, was ihn nach 26 Jahren antreibt, antwortet er als gut gelaunter Verfassungspatriot: "Der Artikel fünf ist halt einer der schönsten Artikel unseres Grundgesetzes. Die Chance zu haben, ihn mitzugestalten zu können, ist einfach großartig".

Beamte wie er stehen nicht in der Öffentlichkeit, aber ohne sie funktioniert der Staat nicht, funktioniert die Medienpolitik nicht. Rundfunkgesetze werden von den Chefs der Staatskanzleien verhandelt und den Ministerpräsidenten in einem Staatsvertrag beschlossen. Nötig dafür ist die Unterschrift aller Länderchefs, es geht um Einstimmigkeit, was Reformen schwer macht. Knothe, kein Parteibuch, hat seine Ministerpräsidenten immer gern dazu bewegt, sich den Rundfunk zur Aufgabe zu machen, im Moment profiliert sich Schleswig-Holstein mit dem Indexmodell.

Knothe arbeitet im Hintergrund, auf einem Terrain, das parteipolitischen Interessen eigenwillig entzogen wirkt. In diesem Zwischenreich der Sachlichkeit kann man Netzwerke knüpfen, Denkwerke bauen, sogar Lebenswerke. Knothe organisiert jedes Jahr ein informelles Treffen mit einflussreichen Menschen aus Politik, Rundfunk, aus Forschung, Medienaufsicht, Internetwirtschaft, sein Staatskanzleichef lädt ein. Nicht öffentlich, ein geschützter Raum zum frei reden und denken, abwechselnd an Nord- und Ostsee. Das Treffen heißt, und das könnte auch Knothes Wahlspruch sein: Medien und Meer.

Ernsthaft wird der Beamte, wenn er von den Gefahren für Pressefreiheit spricht. Amerika sei ein Beispiel, aber auch in der Bundesrepublik habe es immer wieder Versuche gegeben, Presse- und Rundfunkfreiheit einzuschränken. "Das hat", sagt er mit der Zufriedenheit eines Festungsbaumeisters, "zum Glück nie richtig gut geklappt, weil es genügend gute Abwehrmechanismen gibt." Daran zu arbeiten sei spannend.

Heide Simonis nannte ihn mal ihren medienpolitischen 007, er habe alle Lizenzen

Er korrigiert sofort, wenn man ihn als Miterfinder des Indexmodells bezeichnet. Er sei neben Senator Carsten Brosda aus Hamburg und Professor Wolfgang Schulz vom Bredow-Institut nur "einer der Wiederentdecker". 1991 habe es in Kiel ein Symposium zum Indexmodell gegeben, mit dem damaligen Direktor des Bredow-Instituts und späteren Richter am Bundesverfassungsgericht Wolfgang Hoffmann-Riem. Bei ihm hat Knothe einst seine Promotion begonnen, er hat in der Kanzlei eines Hamburger Medienanwalts gearbeitet und überlegt, sich auf Arzthaftungsrecht zu verlegen. Damals war er Rettungssanitäter. Als sich zu Jahresbeginn nichts bewegte in Sachen Reform, wurde ein weiterer Rettungseinsatz fällig: Geführt von Hamburg und Schleswig-Holstein taten sich sechs Bundesländer zusammen und arbeiteten das Indexmodell aus. Ein bisschen ist Medienpolitik auch Länderrivalität und manchmal kommt Interessantes heraus.

Nicht zuletzt nähme der Vorschlag mit der automatischen Finanzanpassung ARD und ZDF aus der populistischen Schusslinie, was auch andere Länder möchten, der Staatskanzleichef von NRW, Nathanael Liminski, will eine "Entpolitisierung" der Beitragsdebatte. Im Gegenzug erhalten die Sender Freiheit bei dem, was sie machen. Verpflichtend wäre nur, dass es ein Erstes Programm, die Dritten, das ZDF, Arte und 3sat gibt. Dann könnten die Intendanten zusammen mit den Gremien umbauen, etwa zugunsten neuer Web-Programme oder der Mediatheken. "Wenn wir jetzt nichts tun, dann kommt der Rundfunk in eine Schieflage, weil er weiter verpflichtet ist, all diese linearen Programme auszustrahlen, die kostentreibend und vielleicht nicht mehr zeitgemäß sind", sagt Knothe.

Die Gegner will Schleswig-Holstein noch überzeugen. Davon, dass das Modell die Sender weder unter- noch überfinanziere. Dass die unabhängige Finanzkommission KEF, die bisher die Beitragshöhe festlegt, eine neue Rolle als Kontrolleur bekomme, aber nicht weniger Macht. Und davon, dass die genauere Definition des Senderauftrags nicht das Unterhaltungsangebot bei ARD, ZDF und Dradio kaputthauen würde. So wurden erste Entwürfe verstanden, das sorgte für Aufregung. Das sei ein "Irrglaube", vielleicht auch ein Kommunikationsfehler, sagt Knothe. Beabsichtigt sei, dass die Öffentlich-Rechtlichen unverwechselbar mit anderen Angeboten seien - auch in der Unterhaltung.

Inzwischen sind acht Länder für den Index gewonnen, bei einem Treffen Ende Oktober könnten die Ministerpräsidenten beschließen, das Modell probeweise als Gesetz ausarbeiten und die KEF einen Ausgangswert für den Index prüfen zu lassen. 007 bleibt da dran.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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