Medienkolumne "Abspann":Ausgegurkt

(Foto: vario images)

Die Kolumne über Beobachtungen aus der Medienwelt. Diesmal: Die "Saure Gurke" ist gegessen, der Negativpreis wird abgeschafft.

Von Harald Hordych

Sauregurkenzeit hieß mal die Zeit, in der Journalisten sich wegen Nachrichtenarmut selbst was ausdenken mussten. Ob der Preis der Sauren Gurke in so einer Zeit vergeben wurde, ist schwer zu sagen. Jedenfalls kann man sich ausmalen, dass die Verleihung beim jährlichen Medienfrauentreffen ein Höhepunkt der Zusammenkunft von Frauen war, die bei ARD, ZDF oder ORF arbeiten. Der Preis ging seit 1980 - lang vor Me Too und Diversity-Trainings - jedes Jahr an Männer oder eine Sendung, die besonders frauenfeindliche Klischees bedient haben, auch durch frauenausgrenzende Themensetzung oder beim Casting von Studiogästen. Unter den Preisträgern waren viele, die sich den Preis redlich verdient hatten. Mike Krüger, Alexander Niemetz, Waldemar Hartmann. Hans-Joachim Kuhlenkampf, Manfred Sexauer oder Jürgen von der Lippe bekamen nur einen Trostpreis. Ein paar Frauen wurden zwischendurch auch ausgezeichnet. Nun aber haben die Medienfrauen beschlossen, die Gurke nicht mehr zu vergeben. Sie passe nicht mehr in die Zeit. Nicht, weil es keine Sexismus mehr gibt, sondern: weil die Empörungsreflexe mittlerweile so gut funktionieren, der Shitstorm - der schnellste aller Negativpreise - fegt so unmittelbar los, dass niemand Monate nach einem Skandal per Gurke aufmerksam gemacht werden muss. Den altgedienten Preis abzuschaffen, heißt nicht, zu behaupten, dass die Welt besser geworden ist. Es heißt es nur, dass man erkennt, dass sie anders ist. Um was auf die Gurke zu kriegen, braucht heute keiner mehr auf die Sauregurkenzeit zu warten.

© SZ vom 15.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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