Medienereignis Rosetta-Mission:Kampf um Begeisterung

Kometensonde ´Rosetta" in einer Computeranimation

Realität als Computeranimation: Die ESA-Kometensonde Rosetta bei ihrer Annährung an die Erde.

(Foto: dpa)

Während der Mondlandung saß die Welt noch geschlossen vor dem Fernseher. Nun soll die Sonde "Rosetta" Raumfahrtgeschichte schreiben - und die ESA muss einiges tun, um ein größeres Publikum für die Mission zu begeistern.

Von Kathleen Hildebrand

Als am 20. Juli 1969 der erste Mensch den Mond betrat, sahen 500 Millionen Menschen zu. Überall auf der Welt standen und saßen sie vor den Fernsehgeräten und hörten durch das Rauschen und Piepen der Audio-Übertragung jene unglaublich entspannte Stimme diesen einen Satz sagen: "The Eagle has landed." Dann kletterte Neil Armstrong aus der Landefähre und sagte seinen noch viel berühmteren Satz.

Wenn nun am Mittwoch die europäische Raumsonde Rosetta ein kühlschrankgroßes Landegerät auf einem Kometen absetzt, rechnet niemand mit solchen Zuschauerzahlen. Natürlich nicht, könnte man sagen, da landet eben ein kleiner Würfel voller Technik und kein Mensch. Und auch nicht auf dem Mond, sondern auf einem Felsbrocken zwischen Mars und Jupiter mit dem unaussprechlichen Namen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko. 500 Millionen Zuschauer? Niemals.

Zeichentrickfilme, Dokumentationen und ein Livestream

Ginge es nach Marco Trovatello, wäre das anders. Er ist sogenannter Cross-Media-Koordinator bei der ESA in Paris und mitverantwortlich für die größte PR-Kampagne, die es in der Geschichte der europäischen Raumfahrtagentur gegeben hat. Trovatello hat Rosetta-Dokumentationen auf Youtube stellen lassen (in einer von ihnen baut ein Wissenschaftler die Mission mit Legosteinen nach) und Zeichentrickfilme in drei Sprachen. Rosetta ist bei Facebook und bei Google Plus, überall läuft der Countdown zur Landung. Zuletzt durften Internetnutzer den Namen des Landeplatzes aussuchen. Trovatello will auch Menschen, die keine Weltraumfans sind, in das Abenteuer einbeziehen; möglichst viele sollen live dabei sein. Dafür nutzt er alle Kanäle: Auf der Website der ESA wird es am Mittwoch einen Livestream der Landung geben, der eine Million Menschen bedienen kann. Im deutschen Fernsehen macht 3sat einen Thementag mit Schalten ins Kontrollzentrum in Darmstadt.

Für die ESA ist ein solcher PR-Aufwand neu. Ihre komplizierte, internationale Struktur schien bisher großen Erfolg beim Publikum eher zu verhindern: Zu viele Stellen müssen Material absegnen, bevor es veröffentlicht werden kann. Die hierarchisch organisierte Nasa hat es da leichter. Als die ESA erst nur zögerlich Fotos von Rosettas Komet veröffentlichte, gab es harsche Kritik. Die ESA reagierte. Mittlerweile stehen alle Fotos der Navigationskamera frei verfügbar im Netz.

Rosetta soll ein Event werden

Andererseits hat es für die Europäer noch nie einen solchen Anlass für Öffentlichkeitsarbeit gegeben. Missionen in dieser Größenordnung sind bei der ESA selten. Rosetta soll nun ein Event werden. Und die reine Faszinationskraft des Ereignisses reicht dafür längst nicht mehr aus. Trovatello weiß, dass viele das maßlos finden werden, aber er sagt es trotzdem: "Die Mission ist von ihrer Bedeutung her mit der Mondlandung zu vergleichen." Die Sonde könnte herausfinden, ob es die Kometen waren, die Wasser und Leben auf die junge Erde gebracht haben. Nur die Zeiten sind andere als beim kleinen Schritt für Neil Armstrong und dem großen für die Menschheit: "Wir befinden uns in einem ganz anderen Kampf um Aufmerksamkeit."

Twitter-Accounts in der Ich-Perspektive

Kaum ein Ereignis schafft es heute noch, wie 1969 Hunderte Millionen vor einem Programm zusammen zu bringen. Doch das ist nicht alles, was sich verändert hat. Die Faszinationskraft der Raumfahrt ist nicht mehr dieselbe. Es gibt keinen Wettlauf mehr um die Vorherrschaft im All. Und kein Politiker hält im Krisen-Europa pathetische Reden über den Aufbruch in fremde Welten. Der Weltraum als utopischer Ort scheint ausgedient zu haben.

Wenn Rosetta am Mittwoch ihren großen Tag hat, dann werden deshalb nicht alle Sender der Welt ihr Programm unterbrechen. Die meisten Zuschauer werden erst am Abend in den Nachrichten erfahren, ob das Landegerät namens Philae es sicher auf die Kometenoberfläche geschafft hat. Marco Trovatello hat die vergangenen Monate über versucht, trotzdem viele Menschen für Rosetta zu begeistern. Er befüllt 50 Twitter-Accounts, Rosetta und das Landegerät Philae haben je einen eigenen. Sie twittern aus der Ich-Perspektive. Es war die Nasa, die damit anfing, mit diesem Kniff auch leblosen Sonden, Teleskopen und Landegeräten, virtuelles Leben einzuhauchen. Mit großem Erfolg: Der Mars-Rover Curiosity hat 1,7 Millionen Follower bei Twitter. Rosetta kann da noch nicht ganz mithalten: Ihre Nachrichten verfolgen auf der Erde knapp 91 000 Menschen.

"Hallo Welt", lautete im Januar ihr erster Tweet, nachdem sie aus der energiesparenden Tiefschlafphase erwacht war. Vor Kurzem bat Rosetta ihren Nasa-Verwandten Curiosity auf dem Mars um Rat: "Meine Landung ist in sieben Tagen - hast du irgendwelche Tipps?" Für den Höhepunkt der Mission am Mittwoch hat Marco Trovatello alle Tweets schon vorbereitet. Gesendet und angepasst werden sie live: "Es soll so authentisch wie möglich sein - wenn man bei twitternden Sonden von authentisch sprechen kann." Auch auf einen negativen Ausgang ist er vorbereitet. Sollte der Kontakt zum Landegerät abbrechen, verstummt auch Philaes Twitter-Account.

Sogar ein Science-Fiction-Kurzfilm wurde gedreht

Wie besorgt einige Menschen um Aufmerksamkeit für das Projekt gewesen sein müssen, sieht man am sicherlich teuersten Teil der Kampagne: einem sechsminütigen Science-Fiction-Kurzfilm namens Ambition. Zwei irgendwie posthumane Figuren üben darin das Planetenbauen und erinnern sich an die Rosetta-Mission. Regisseur Tomek Bagiński war schon für einen Kurzfilm-Oscar nominiert, gedreht wurde auf Island, die Spezialeffekte sind gewaltig. Und der Hauptdarsteller Aidan Gillen ist bekannt aus der Serie Game of Thrones. Die Wahl dieses Schauspielers ist symptomatisch: Eigentlich interessieren sich die Menschen seit einigen Jahren ja viel mehr für archaische Fantasy-Welten als für Zukunftsszenarien im All. Will die ESA ihr Publikum mit diesem Besetzungstrick für den Weltraum begeistern? In Interstellar, dem Weltraumepos, das in der Woche vor Rosettas Landung in die Kinos gekommen ist, sagt die Hauptfigur einen Satz, der unsere Gegenwart so beschreibt: Früher habe die Menschheit hoch in den Himmel geblickt und sich gefragt, wo ihr Platz zwischen den Sternen sei; "jetzt schauen wir nur noch nach unten, in den Staub."

Der Aufbruchsgeist der Mondlandungsjahre ist verloren und mit ihm jene Grundbegeisterung für die Raumfahrt, die eine Mission wie Rosetta aus der Masse an Informationen herausheben könnte. Doch wenn alles gut geht, werden wir am Mittwoch durch die Kameraaugen von Landegerät Philae ebenfalls in den Staub blicken. In den Kometenstaub.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: