Süddeutsche Zeitung

Medien:Was von der Pressefreiheit in der Türkei noch übrig ist

Journalisten fliehen aus der Türkei, ihre Zeitungen müssen schließen. Präsident Erdoğan schüchtert die freie Presse immer weiter ein. Doch es gibt immer noch mutige Berichterstatter, die aufbegehren.

Von Christiane Schlötzer

Am Montag stand die Zahl 115 ganz groß auf der Titelseite der Cumhuriyet. 115 Tage sind zehn Journalisten der türkischen Zeitung, die es seit 1924 gibt, nun schon in Haft. In Silivri, dem größten Gefängnis der Türkei, wo vermutlich jetzt auch Deniz Yücel hingebracht wird.

Angehörige müssen dort bei Besuchen hinter einer Glasscheibe sitzen, als seien die Journalisten Schwerverbrecher. Was wird ihnen vorgeworfen? Viele wissen es nicht. Derzeit sind mehr als 150 Journalisten in Haft - und in den meisten Fällen gibt es keine Anklageschrift.

Die türkische Webseite platform24.org zählt die Festnahmen, sie veröffentlicht ständig aktualisierte Namenslisten. Gemacht wird die Webseite von mutigen Journalisten, sie dokumentieren Verletzungen der Pressefreiheit, für das eigene Land auf Türkisch - und für das Ausland auf Englisch. Die Autoren der Webseite halten es für wichtig, die Türen der Türkei nach draußen nicht zu verschließen.

Festgenommen wurden seit dem Putschversuch im vergangenen Juli vor allem Journalisten, die für Medien gearbeitet haben, die dem Prediger Fethullah Gülen nahestanden.

Gülen gilt Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan als Drahtzieher des versuchten Militärcoups. Gerichtsfeste Beweise dafür gibt es bislang nicht. Aber Journalisten der linksgerichteten Cumhuriyet sind gewöhnlich Gülen-Gegner, genauso wie kurdische Journalisten, die ebenfalls festgenommen wurden und deren Medien nun geschlossen sind.

Die meisten größeren türkischen Medien sind mittlerweile regierungsnah

Die Angst vor dem Gefängnis treibt viele in die Flucht. Eine Journalistin machte sich in einem Boot zwischen Syrern auf nach Griechenland, andere suchen sich ein afrikanisches Land, in dem Türken kein Visum brauchen.

Auch in Deutschland haben mehrere türkische Journalisten Asyl beantragt und um Schutz gebeten, Can Dündar, der Ex-Chefredakteur von Cumhuriyet, ist der berühmteste von ihnen. Dündar hat mit mehreren Kollegen inzwischen eine deutsch-türkische Online-Zeitschrift gegründet. Özgürüz - Wir sind frei - heißt sie. In der Türkei wurde der Zugang noch vor dem Start der Webseite gesperrt.

Die meisten größeren türkischen Medien - Zeitungen wie Fernsehen - sind mittlerweile regierungsnah. Sie gehören Konglomeraten, die mit Staatsaufträgen, vor allem in der Bauwirtschaft, reich geworden sind.

Zwischen Opposition und Liebedienerei gibt es noch etwas: Selbstzensur

Aber es gibt immer noch Oppositionsblätter, Zeitungen und Webseiten, sie erreichen allerdings nur Menschen, die Erdoğans Kurs ohnehin nicht teilen, und dies ist klar die Minderheit. Die Gesellschaft ist extrem polarisiert, und das Land befindet sich gerade wieder im Wahlkampf: um die Verfassungsänderung, mit der Erdoğan sich zum unumschränkten Herrscher machen will.

Das Referendum findet am 16. April statt - einige der inhaftierten Journalisten glauben, sie könnten danach freigelassen werden. Aber bislang gibt es dafür keine verlässlichen Hinweise.

Zwischen Opposition und Liebedienerei gibt es bei den Medien noch etwas: Selbstzensur. Hürriyet, mit derzeit 323 000 Exemplaren auflagenstärkste Zeitung der Türkei, verzichtete jüngst auf ein bereits geführtes Interview mit dem Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, weil dieser darin für ein "Nein" zu Erdoğans Verfassungsänderung plädierte. Auch so macht man Medien mundtot und Journalisten mürbe.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3397301
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.02.2017/pak
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.