Rassismus-Debatte:Vielfalt ist kein Accessoire

Mann sammelt viele verschiedene Sprechblasen *** Man collects many different speech bubbles PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxO

Jetzt wäre es die Aufgabe von Journalisten gewesen, die US-Debatte zum Anlass zu nehmen, um auch über Rassismus in Deutschland zu reflektieren.

(Foto: Yenpitsu Nemoto/imago)

Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat einen Migrationshintergrund, aber nur jeder 50. Journalist. Das Ungleichgewicht rächt sich, wenn die Redaktionen über Rassismus berichten, ein Dialog auf Augenhöhe ist bitter nötig.

Kommentar von Dunja Ramadan

Der Rassismus in den USA und der Umgang einiger deutscher Medien damit verdeutlichen, wie realitätsfern hiesige Redaktionen oft aufgestellt sind. So wurden in den vergangenen Tagen von Sendern und Magazinen teilweise ausschließlich weiße Gäste eingeladen, um über die Tötung des Schwarzen George Floyd in Minneapolis zu sprechen. Erst als im Internet Kritik laut wurde, erweiterten schwarze Experten die Runde. Grund für diese Betriebsblindheit ist die Tatsache, dass in den meisten deutschen Pressehäusern und öffentlich-rechtlichen Anstalten eine ziemlich geschlossene Gesellschaft anzutreffen ist. Einlass hat oft nur, wer in seinem Akademikerhaushalt ein gut gefülltes Bücherregal stehen hatte, wer es sich leisten konnte, unzählige unbezahlte Praktika zu machen - und wer ein finanzielles Polster hat, um das anfangs spärliche Gehalt und unsichere Berufsperspektiven aufzufangen.

Zeitgemäß ist das nicht. Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat einen Migrationshintergrund, aber nur jeder 50. Journalist. Wenn Redaktionen sich mit dem Thema Rassismus beschäftigen, rächt sich dieses Ungleichgewicht. Denn Rassismus, insbesondere das Racial Profiling, ist, bei allen historischen und sonstigen Unterschieden, nicht nur eine amerikanische Realität - genauso wenig wie Polizeigewalt. Das zeigt nicht nur der Fall Oury Jalloh, der seit 15 Jahren unaufgeklärt ist. Damals verbrannte der an Händen und Füßen gefesselte schwarze Asylbewerber aus Sierra Leone in einer Zelle der Polizeistation Dessau-Roßlau. Jetzt wäre es die Aufgabe von Journalisten gewesen, die US-Debatte zum Anlass zu nehmen, um auch über Rassismus in Deutschland zu reflektieren - und nicht nur empört den Kopf über die USA zu schütteln.

Vielfalt ist ein Muss, kein nice to have

Das wurde in vielen Fällen versäumt. Stattdessen stellen Journalisten Menschen mit Rassismuserfahrungen gern in die Betroffenen- statt in die Expertenecke, während weiße Gesprächspartner als sachliche, unvoreingenommene Beobachter gelten, die das Ganze für die Mehrheitsgesellschaft einordnen können. Was dabei übersehen wird: Objektive, seriöse Berichterstattung über Rassismus ist nur möglich, wenn die Stimmen einer sichtbaren Minderheit Gehör finden.

Wer betroffen ist, kann aus einer Perspektive über Rassismus reflektieren, die der Mehrheit verschlossen bleibt. Auf diese Erfahrungen in der Debatte zu verzichten, ist ignorant. Schwarze und andere Minderheiten in Deutschland können sich das Thema Rassismus nicht aussuchen. Sie sind häufig gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Für sie ist Rassismus eine lebenslange Erfahrung, die keine weiße Expertensicht abbilden kann. Ihre Erlebnisse sind wichtig, weil sie das Gegenüber zum Zuhören zwingen, Empathie auslösen, zum Innehalten aufrufen. Weil ihre Schonungslosigkeit aufrüttelt. Nur so ist Wandel möglich.

Redaktionen sollten erkennen, dass Vielfalt nicht nur etwas ist, womit man sich schmückt, weil Diversity zum modernen Unternehmen gehört. Auch die SZ ist davon nicht ausgenommen. Vielfalt ist wichtig, weil nur so eine ausgewogene, differenzierte Berichterstattung möglich wird, die die breite Gesellschaft abbildet. Vielfalt ist ein Muss, kein "nice to have". Solange kein Dialog auf Augenhöhe stattfindet, verliert der Journalismus an Relevanz und Glaubwürdigkeit.

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