Die Türken haben mit knapper Mehrheit für die von Präsident Erdoğan vorangetriebene Verfassungsänderung gestimmt, die ihm deutlich mehr Macht einräumt. Die Boulevardzeitung Hürriyet, eine der auflagenstärksten der Türkei, wirft eine Frage auf, die sich viele nach dem Referendum stellen: "Istanbul, Ankara, Izmir - Warum stimmten sie mit Nein?" Gerade bei Istanbul, Erdoğans Heimatstadt, und dem eher konservativen Ankara überrascht das Ergebnis.
Auch Aydınlık wirft auf der Titelseite Fragen auf: "Verfassung ohne Siegel!", heißt es da, in Anspielung auf die Vorwürfe der Opposition, es seien ungestempelte (also eigentlich unzulässige) Wahlzettel zugelassen und Nein-Stimmen zurückgehalten worden. Und daneben steht klein: "Großer Schock für die AKP in der Hauptstadt." In Ankara stimmten die Menschen wider Erwarten mehrheitlich mit Nein.
Birgün, eine liberale unabhängige Zeitung, die schweren Repressalien der Regierung ausgesetzt ist, zeigt ein Bild des Nein-Lagers und die Schlagzeile: "23,5 Millionen mutige Menschen" - in Anspielung auf die Zahl der Wähler, die gegen die Verfassungsänderung stimmten.
Die Zeitung Yeni Şafak gibt sich für ihre Verhältnisse zurückhaltend, was mit dem für das Ja-Lager unerwartet knappen Ergebnis zusammenhängen könnte. Das Blatt positioniert sich sonst mit markigen Titelblättern klar auf der Seite von Präsident Erdoğan und schreckt auch nicht vor Falschmeldungen zurück. Dieses Mal hieß es schlicht: "Ein Ja zur größten Reform"
Auch die Zeitung Güneş titelt vergleichsweise dezent: "Tschüss alte Türkei. Der Weg ist offen für eine neue Türkei." Darunter sind der Präsident und seine Frau Emine zu sehen, wie sie im Istanbuler Stadtteil Üsküdar nach Bekanntgabe des Ergebnisses bejubelt werden. Von Güneş ist man sonst so einige Geschmacklosigkeiten gewohnt: Nachdem in Deutschland Auftritte türkischer Politiker, die hier Wahlkampf machen wollten, abgesagt wurden, druckte Güneş Kanzlerin Merkel in Naziuniform und mit Hitlerbart ab.
"Das Volk übernimmt die Führung", schreibt das Blatt Akşam, ebenfalls regierungstreu, und schwenkt damit auf das Argument des Ja-Lagers ein, wonach die Türkei einen "starken Mann" brauche, um den Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 und dem darauffolgenden Feldzug Erdoğans gegen die Medien sind nicht mehr viele Zeitungen übrig, die kritisch berichten.
Die spanische Zeitung El País kommentiert: "Der Sieg des Ja beim Verfassungsreferendum in der Türkei ist eine schlechte Nachricht. (...) Damit positioniert sich die Türkei vor den Toren des Clubs der so genannten 'illiberalen Demokratien', will heißen: politischen Systemen, bei denen zwar regelmäßig gewählt wird, wo es aber keine Gewaltenteilung gibt und somit auch keine realen Möglichkeiten eines Machtwechsels oder der Informationsfreiheit." Dies drohe die Türkei auf Kollisionskurs mit der Europäischen Union zu führen. Außerdem könnte die Entscheidung innerhalb der Türkei eine Ära der Polarisierung und Konfrontation einleiten, so die Zeitung.
Die Londoner Times kommentiert: "Dies ist ein trauriger Tag für die Verbündeten der Türkei und ein noch traurigerer Tag für die Türkei selbst." Der Artikel stellt auch heraus, was Erdoğan in den vergangenen Jahren für sein Land geleistet habe. Als er 2003 erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, habe er einen Staat geerbt, der als kranker Mann Europas galt. "Doch je mehr Erdoğans Macht wuchs, desto despotischer setzte er sie ein. In den vergangenen vier Jahren war seine Herrschaft gekennzeichnet durch eine ungestüme und untaugliche Außenpolitik, eine Politik der Spaltung (im Inneren) sowie durch Verfolgungswahn", schreibt die Times. Das Referendum sei "die Kulmination und der Inbegriff dieser Entwicklung" gewesen.
Die französische Regionalzeitung Dernières Nouvelles d'Alsace bemerkt: "Trotz eines Wahlkampfs zu seinen Gunsten ist Erdoğan überhaupt nicht von einer starken Welle getragen worden. Es zeigt sich eine klare Spaltung der Wählerschaft in der Türkei." Die Atmosphäre im Land werde dominiert von Furcht, Säuberungen und der Androhung von Chaos. "Erdoğan sieht, dass ein großer Teil der öffentlichen Meinung ihm offen seine Feindschaft ausdrückt, und kann sich deshalb nicht zum Idol eines verzückten Volks ausrufen", kommtiert die Zeitung. Und weiter: "Wenn er im autoritären Fieber die Botschaft dieses Referendums nicht beachtet, wird er nicht nur die Türkei in einen dunklen Taumel führen. Er wird aus ihr einen weiteren inkohärenten Raum in dieser bereits instabilen Region machen."