Süddeutsche Zeitung

Journalismus:Deutsche Medien berichten überdurchschnittlich viel über Migration

  • Einer Studie der TU Dortmund zufolge prägen markante inhaltliche Unterschiede die Berichterstattung über Migration in den verschiedenen EU-Staaten.
  • In Osteuropa berichten Medien insgesamt weniger und kritischer über Migration und Flucht als in Westeuropa, in jedem EU-Land berichten liberale Medien häufiger und positiver als konservative.
  • Migranten und Geflüchtete selbst haben laut der Studie in den Medien aller Länder meist lediglich eine "Statistenrolle" inne.

In deutschen Medien wird überdurchschnittlich viel über Migration und Flucht berichtet. Das ergibt eine Studie der TU Dortmund und der Otto-Brenner-Stiftung. Laut der Studie bestehen einerseits deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa, wobei im Osten insgesamt kritischer über Einwanderung berichtet werde. Andererseits markiere aber auch die politische Ausrichtung der Medien relevante Unterschiede: Linke und liberale Medien thematisieren die Situation von Migranten deutlich häufiger als rechte und konservative Zeitungen und Online-Nachrichtenportale.

Für die Studie mit dem Titel "Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien" haben Forscher vom Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der TU Dortmund - unterstützt von einem internationalen Forschungskonsortium - erstmals die Berichterstattung in 16 europäischen Ländern und den USA zu den Themen Flucht und Migration. Ausgewertet wurden Berichte zwischen August 2015 und März 2018.

Den Studienautoren Susanne Fengler und Marcus Kreutler zufolge sticht die Berichterstattung in Deutschland in mehreren Punkten heraus. In keinem anderen Land - außer Ungarn - wird so viel über Migration berichtet. Die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichten in sechs Untersuchungswochen zwischen 2015 und 2018 mehr als 1000 Beiträge zum Thema. In vielen osteuropäischen Ländern seien im gleichen Zeitraum kaum mehr als 100 Artikel erschienen.

Zudem spielen sich für Deutschland Migration und Flucht hauptsächlich im eigenen Land ab. Im Gegensatz dazu sind Migrationsthemen in den meisten anderen EU-Staaten Auslandsthemen: Es geht um Ereignisse fernab von zu Hause, jenseits der eigenen Grenzen. "Dass Migration und Flucht meist als Themen der 'Anderen' und nicht als Sache des eigenen Landes dargestellt werden, kann ein Grund sein, weshalb eine Lösung der Asyl- und Einwanderungsfragen auf europäischer Ebene nicht vorankommt", sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung.

Kritisch sieht Legrand auch, dass die Hauptbetroffenen der Migrationsberichterstattung, Migranten und Geflüchtete selbst, meist lediglich eine "Statistenrolle" innehaben. Nur in einem Viertel der Berichte seien sie die zentralen Akteure, hauptsächlich träten sie als große und anonyme Gruppe auf. Als Individuen erkennbar seien Migranten und Flüchtlinge in nur acht Prozent der Berichte. "Wie viele andere Studien stellen auch wir einen starken Fokus auf Regierungen als Hauptakteure in der Berichterstattung fest", merkt Legrand an und fährt fort. Es sei fraglich, inwiefern die Medien so den berufsethischen Anspruch, eine 'Stimme für die Stimmlosen' zu sein, erfüllen können."

Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, dass nur eine geringe Zahl von Betroffenen in den Artikeln direkt oder indirekt zitiert wird, sagt Susanne Fengler. Eine bemerkenswerte Ausnahme macht die Studie jedoch in den amerikanischen Medien aus, in denen weit mehr Migranten und Flüchtlinge dargestellt und auch zitiert werden.

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