Medien in Polen:Wie Polens neue Regierung den Rundfunk verändert

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Geschasster Politmagazin-Moderator Tomasz Lis (links): "Habe ich es nicht gesagt?"

(Foto: picture alliance / dpa)

Moderatoren werden abgesetzt, Hierarchien linientreu gestaltet - und nun wird auch der beliebteste Polittalker des Landes vom Schirm verschwinden.

Analyse von Florian Hassel

Als Moderator einer politischen Talkshow im polnischen Fernsehen hat Tomasz Lis manchen Wechsel erlebt. In den acht Jahren, in denen Tomasz Lis live jeden Montagabend im zweiten Kanal des öffentlich-rechtlichen Fernsehens TVP gezeigt wurde, hat Lis unter "linken, rechten und liberalen Fernsehdirektoren" gearbeitet, wie er sagt. 303 Sendungen lang habe sich "keiner je in meine Programmgestaltung eingemischt", sagt der 49-jährige Moderator, der Chefredakteur der polnischen Newsweek-Ausgabe ist. Dann übernahm die von der nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) gebildete Regierung das Sagen bei Polens öffentlich-rechtlichen Medien.

Einen Tag nach dem Antritt der neuen Mannschaft am 8. Januar bekam Lis eine Aufforderung des kurz zuvor ernannten Fernsehdirektors, er möge für seine nächste Sendung einen Gast wieder ausladen: Andrzej Rzepliński, Präsident des polnischen Verfassungsgerichtes. Das Thema sei nicht mehr aktuell. "Tatsächlich ist der Kampf um die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts das wichtigste Thema in Polen überhaupt", sagt dagegen Lis - er verbat sich die Einmischung. Zwei Tage später schilderte Polens oberster Richter in Lis' Show den Stand des Kampfes um das Verfassungsgericht. Solche Auftritte dürften demnächst Vergangenheit sein - jedenfalls im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Journalisten wie Lis müssen verschwinden

Der neue Medienbevollmächtigte Krzysztof Czabański machte schon vor Monaten klar, dass Journalisten wie Lis unter der PiS vom Bildschirm verschwinden würden. Jetzt wird Tomasz Lis live, nach dessen Angaben mit zuletzt 2,5 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 17 Prozent die führende politische Talkshow Polens, am Montag kommender Woche zum letzten Mal ausgestrahlt. Sein Vertrag läuft aus und ist, so hatte es bezeichnenderweise der Regierungsmann Czabański angekündigt, nicht verlängert worden: Die Polen hätten ihn informiert, dass sie Lis und andere nicht mehr auf dem Bildschirm sehen wollten.

Polens öffentlich-rechtliche Medien sind und waren nicht so weitgehend unabhängig wie ARD und ZDF oder gar wie das weltweite Vorbild, die englische BBC. Auch die "Bürgerplattform", die Polen früher regierte, tauschte Journalisten aus. Die Pis aber geht deutlich weiter. Ende 2015 entmachte die Regierung das bisherige Aufsichtsgremium, schaffte öffentliche Ausschreibungen für Führungsposten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, Radio und der staatlichen Presseagentur ab und übertrug die Personalhoheit dem Minister für Staatsbesitz. Der ernannte frühere Pis-Parteisoldaten wie den "Bullterrier Kaczynskis", Jacek Kurski, zu Direktoren. Danach wurden in Radio und Fernsehen die Nachrichtenchefs ebenso entlassen wie zahlreiche Moderatoren.

Tomasz Lis' Ehefrau Hanna verlor ihren Job als Moderatorin der Nachrichtenmagazins Panorama bei TVP2 vier Tage nach dem Wechsel. Die Begründung, so Lis: Sie passe nicht in die neue Zeit. In einigen Monaten soll laut Czabański ein Mediengesetz folgen, das die Arbeitsverträge aller öffentlichen Medienmitarbeiter auslaufen lässt und sie bei erneuter Beschäftigung zu Loyalität gegenüber der Regierung und patriotischer Berichterstattung verpflichten soll.

Tomasz Lis ist nicht unumstritten

Wie die neue Zeit aussehen wird, zeigt schon Wiadomosci, die Hauptnachrichtensendung von TVP. Als die EU-Kommission am 14. Januar gegen Polen ein Verfahren wegen möglicher Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit eröffnet, ist dieses Thema naturgemäß der Aufmacher der privaten Fernsehsender Polens. Wiadomosci indes meldet an erster Stelle einen angeblichen Abhörskandal der Vorgängerregierung. Einen Tag darauf bestimmt die Herabstufung der Kreditwürdigkeit Polens durch die Ratingagentur Standard&Poors die privaten Abendnachrichten. Bei Wiadomosci ist dies nur eine kurze Meldung. Außerdem werden die Nachrichten nun von Lieblingsjournalisten des Pis-Parteichef Jarosław Kaczyński moderiert.

Früher ließ sich Kaczyński wie andere Pis-Politiker auch von Tomasz Lis interviewen. Der Starjournalist ist nicht unumstritten: Einmal lud er einen Medienanwalt in die Show ein, der auch ihn vertritt. Im Mai 2015 zitierte er ohne Prüfung ein gefälschtes Twitter-Zitat, das die Tochter des heutigen Präsidenten als borniert erscheinen ließ. Doch der Bruch mit der Pis kam früher, sagt Lis: Im Juli 2012 schrieb die seit jenem Jahr von Lis geführte Newsweek über Kaczyńskis Vater: Rajmund Kaczyński sah seine Söhne Jarosław und Lech bei allem Stolz auch kritisch. "Gott, beschütze Polen vor meinen hitzköpfigen Söhnen!", soll Kaczyński senior, ehemals Untergrundkämpfer gegen die Deutschen, gesagt haben. "Dass wir darüber berichtet haben, hat mir Jarosław Kaczyński nie verziehen. Seitdem kam kein Pis-Politiker mehr zu mir", sagt Lis. "So endet meine Show zur rechten Zeit: Eine politische Talkshow, in der man weder Präsident noch Regierungschef, noch Minister oder andere Politiker der Regierungspartei begrüßen kann, hat wenig Sinn."

Newsweek Polska wird vom Jointventure des Zürcher Ringier-Verlags und Axel Springer verlegt. Pis-Politiker haben bereits über eine Beschränkung ausländischer Besitzes an polnischen Medien nachgedacht. Lis hofft, dass es beim Nachdenken bleibt, nachdem Polen nun unter Sonderaufsicht der EU steht. "Für Journalisten sind die Zeiten spannend - unsere Auflage steigt jetzt stark." Newsweek Polska warnte im Wahlkampf 2015 vor einer Pis-Regierung- mit etlichen Titeln und Kommentaren von Lis. Kommende Woche erscheint Lis' neues Buch - mit dem unbescheidenen Titel Habe ich es nicht gesagt?"

Polnische Medien ergreifen oft eindeutig Partei. Polens führende Tageszeitung etwa, die liberale Gazeta Wyborcza, kritisierte Gesetze der neuen Regierung nicht nur, sondern rief zu Protesten des neuen "Komitees zur Verteidigung der Demokratie" auf. Dort traten auch Tomasz Lis und andere Newsweek-Journalisten auf. "In 25 Jahren als Journalist habe ich nie demonstriert", sagt Lis. "Aber jetzt erleben wir keinen normalen Regierungswechsel, sondern eine Regierung, die die liberale Demokratie in Polen zerstören will". In dieser Lage stehe seine Pflicht als Staatsbürger "noch über der als Journalist".

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