Medien in der arabischen Welt:Die gedruckte Revolution

Arabische Zeitungen unterzogen sich der Selbstzensur, um Despoten nicht zu verärgern. Nun erkämpfen sich die Blätter eine eigene Linie - eine politische Abhängigkeit bleibt.

Janek Schmidt

Die Angreifer kamen im Schutz der Dunkelheit, als sie vor einem Monat die Druckerei der bahrainischen Oppositions-Zeitung Al-Wasat angriffen. Sie beschädigten nur einen Teil der Einrichtung, doch ihre Botschaft war klar: Unabhängige Berichte über Proteste im Land werden bestraft.

Clashes in tahrir square

Ein Ägypter liest Zeitung nach Krawallen auf dem Kairoer Tahrir-Platz: Emanzipation erst nach der Revolution.

(Foto: dpa)

Die Journalisten von Al-Wasat ließen sich nicht einschüchtern - und der darauffolgende Kampf zeigt, in welchen Strudel viele arabische Zeitungen bei den Unruhen in Nahost geraten.

In dem Golf-Inselstaat Bahrain erscheinen neben Al-Wasat vier weitere arabische Zeitungen. Doch während sie alle enge Verbindungen zur sunnitischen Regierung unterhalten, hat Al-Wasat ihre Wurzeln in der schiitischen Opposition: Der bisherige Chefredakteur Mansur al-Jamri ist der Sohn von Scheich Abdul-Amir al-Jamri, dem geistlichen Führer beim Aufstand der bahrainischen Schiiten in den neunziger Jahren.

Somit war Al-Wasat die einzige regierungskritische Zeitung - bis anonyme Informanten unlängst brisante Fotos per Mail an die Redaktion schickten. Wie sich später herausstellte, waren die E-Mails von einem Computer im Ausland verschickt - und waren eine Falle.

Al-Wasat, deren 30 Reporter, Bild-Bearbeiter und Schlussredakteure wegen der Straßenproteste derzeit vor allem von zu Hause arbeiten, druckten einen Teil der Falsch-Informationen aus den Mails.

Syrien verschärft die Strafen

Daraufhin schloss die Regierung die Zeitung und akzeptierte die Wiedereröffnung nur unter der Bedingung, dass Chefredakteur Al-Jamri und zwei weitere Redakteure zurücktraten. Seitdem reduzierte die Redaktion ihre Kritik an der Regierung und erhielt Mitte April eine erneute Warnung, als der Mitbegründer der Zeitung, Karim Fakhrawi, in einer Gefängniszelle starb.

Auch weitere Staaten reagierten auf die Proteste mit härteren Strafen für unliebsame Journalisten. In Syrien traf das Samira al-Musalima, Chefredakteurin der Zeitung Tishreen, die der syrischen Regierung gehört. Musalima stammt aus der Stadt Deraa, in der vor einem Monat die Proteste in dem Land ausbrachen, nachdem Sicherheitskräfte dort mehrere Menschen erschossen hatten.

Ägyptische Medien befreien sich selbst

In einem Interview mit dem panarabischen Sender al-Dschasira forderte Musalima Strafen für die Todesschützen. Zwar war Musalima eine prominente Journalistin, seit sie vor zwei Jahren als erste Frau in Syrien zur Redaktions-Chefin einer großen Zeitung aufgestiegen war. Doch nach ihrer offenen Kritik verlor auch sie ihren Posten bei Tishreen.

Anders entwickelte sich die Lage in Staaten, in denen Regierungen gestürzt wurden. Am auffälligsten war der Wandel der ägyptischen Traditions-Zeitung Al-Ahram. In der von verschiedenen Dialekten geprägten arabischen Welt hat das 1875 gegründete Blatt, das der Regierung gehört, eine Leitfunktion in sprachlicher und bis vor kurzem auch in politischer Hinsicht.

Mangelnde Unabhängigkeit

Doch während die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo eskalierten, berichtete die Zeitung noch Ende Januar auf ihrer Titelseite, wie Ägypter den Nationalen Tag der Polizei feierten und Sicherheitskräften Blumen schenkten. Als Staatschef Hosni Mubarak am 11.Februar zurücktrat, jubelte Al-Ahram: "Die Menschen haben das Regime gestürzt." Ihren Verlust an Glaubwürdigkeit versuchte die Zeitung zu retten, indem sie ihren Lesern schrieb: "Wir, 300 Journalisten von Al-Ahram, wollen uns für das unprofessionelle Verhalten während der Revolution entschuldigen."

Noch drastischer kam die Wende für die libysche Zeitung Quryna, deren Redaktionsgebäude in der Rebellenhochburg Bengasi liegt. Das Blatt mit einst enger Verbindung zum Regime von Muammar al-Gaddafi erscheint neuerdings unter dem Namen Barniq und mit der Flagge der Aufständischen.

Der Grund für die Wankelmütigkeit vieler arabischer Zeitungen liegt an deren mangelnder Unabhängigkeit, die vor allem drei Ursachen hat. Zum einen verzichten Regierungen in vielen arabischen Ländern zwar offiziell auf eine Zensur, doch vergeben sie Lizenzen an Zeitungen.

Wie Regierungen diese Zulassungen als Druckmittel einsetzen, zeigt der Fall des syrischen Wochenblatts Addomari. Diese Satire-Zeitung erschien nach der Machtübernahme von Präsident Baschar al-Assad unter der Ägide des Karikaturisten Ali Farzat 2001 als erste unabhängige Zeitung in Syrien seit 38 Jahren. Zwar erreichte sie eine Auflage von 75.000 - mehr als die drei offiziellen Zeitungen zusammen. Doch nach einer kurzen Reform-Phase verschärfte Assad das Vorgehen gegen die Presse und entzog Addomari 2003 die Lizenz.

Ähnlich stark wie die rechtliche Handhabe ist der wirtschaftliche Einfluss der Regierungen, die als Besitzer von Staatsunternehmen oft mehr als 50 Prozent der Wirtschaftskraft - und damit des potentiellen Anzeigenmarktes kontrollieren. In einer Region, in der weniger als 80 Prozent der Menschen lesen können, und Zeitungen relativ geringe Auflagen erzielen, unterziehen sich Redaktionen der Selbstzensur, um Staatsunternehmen nicht als Anzeigenkunden zu verschrecken.

Diese schlechte wirtschaftliche Basis führt dazu, dass es kaum profitable arabischsprachige Zeitungen gibt, und somit Geldgebern und Verlagsbesitzern besonderer Einfluss zukommt.

Der Al-Dschasira-Effekt

Lawrence Pintak, Kommunikationswissenschaftler der Washington State University und früherer Direktor des Journalismus-Programms der American University in Kairo, sagt: "Arabische Zeitungen gehören entweder einer Regierung, einem Vertrauten der Regierung oder einer politischen Partei." Insbesondere bei den derzeitigen Protesten sei für die Berichterstattung entscheidend, wie der Geldgeber zu Reformen steht.

Dennoch gibt es nach Auffassung von Pintak zwei Entwicklungen, die auf alle arabischen Zeitungen zutreffen. "Ich nenne das den Al-Dschasira-Effekt", sagt er: So haben Zeitungen im vergangenen Jahrzehnt mit der wachsenden Reichweite und Beliebtheit von al-Dschasira an Einfluss verloren.

Zugleich stellten sie Nachrichten aber viel offener dar, sagt Pintak. "Die Zeitungen können sich nicht mehr leisten, Entwicklungen wie früher zu ignorieren", sagt Pintak, "und dieser Trend hat sich seit Beginn der Proteste verstärkt, da jetzt ausländische Medien noch mehr aus der Region berichten."

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