Süddeutsche Zeitung

Medien in Ägypten:Wer ist das Volk?

Noch nie herrschte in den ägyptischen Medien eine solche Monokultur wie heute. Das Fernsehen zensiert sich gleich selbst - eine Bloggerin spricht gar vom Krieg der Medien gegen die Revolution. Jetzt hat es eine Soap getroffen.

Von Sonja Zekri, Kairo

Am Wochenende beginnt in der islamischen Welt der Ramadan und für die Ägypter, wie für viele Araber, damit eine Zeit für die Familie, für Entsagung und Völlerei - und fürs Fernsehen. Jede Saison hat ihr Höhepunkte, manchmal kühne, gelegentlich kontroverse Seifenopern, die über Wochen Gesprächsstoff liefern. Das Volk von Alexandria, (Ahl Iskanderia) von Bilal Fadl schafft dies schon vor dem Ramadan. "Das letzte Wort ist, dass meine Serie niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird", schrieb Fadl auf seiner Facebook-Seite.

Die Zensurbehörde habe die Serie geprüft und gebilligt. Das Promo-Video läuft bereits im Fernsehen. Billboards sind in ganz Kairo zu sehen. Das Volk von Alexandria ist eine Ko-Produktion von Kuweit TV und dem staatlichen ägyptischen Zentrum MediaCity. Dortige Verantwortliche aber hätten die Kuweitis unter Druck gesetzt, so Fadl, bis diese sich aus der Produktion zurückzogen. Ein Media-City-Verantwortlicher habe ihm erklärt, die Produzenten vom Golf wollten eine Konfrontation mit der ägyptischen Regierung vermeiden, "schließlich beinhaltet die Serie Passagen, die die Polizei aufbringen könnte oder sogar eine politische Krise auslösen."

Staatliche Fernsehsender wie Nile Drama weigerten sich, die Soap auszustrahlen. Private Sender wie Hayat oder Mehwar zogen sich wohl ebenfalls zurück. Zwar streitet Mehwar dies ab: Das Programm für den Ramadan stehe und bleibe, erklärten sie auf Anfrage. Aber noch immer ist möglich, dass dies nur eine Reaktion auf den Proteststurm nach der Absetzung ist - und die Serie dann offiziell eben in letzter Minute gekippt wird. Nicht einmal zur Zeit des Langzeit-Autokraten Hosni Mubarak habe es "diese Art von verdeckter Zensur" gegeben", klagt Fadl fast nostalgisch.

Nach offizieller Lesart gibt es zwei Revolutionen

Das Volk von Alexandria ist ein Melodram und spielt in den bleiernen Jahren vor dem Aufstand gegen Mubarak 2011. Eine der Hauptfiguren ist ein brutaler und korrupter Polizist - und das, obwohl die Polizei so brutal ist wie eh und je, aber die offiziellen Medien sie als Retter des Vaterlandes feiern. Und: Der korrupte Beamte wird gespielt von dem Kino-Star Amr Waked. Dieser aber - und das macht es nicht leichter - ist nicht nur ein international erfolgreicher Schauspieler, der in Syriana oder Lachsfischen im Jemen gespielt hat, sondern vor allem ein Revolutionär der ersten Stunde gegen Mubarak. Auch der Rest der Crew gilt als politisch unbequem: TV-Star Basma ist mit dem Ex-Abgeordneten Amr Hamzawy verheiratet, einem der letzten echten Liberalen, der derzeit unter Ausreiseverbot steht. Die Schauspielerin Mohsena Tawfik und der Regisseur Chairi Beschara sind als unabhängige Geister bekannt.

Und dann der Autor selbst: Bilal Fadl war ein Jahr lang Kolumnist für die Zeitung Al-Schuruk, aber zog im Februar seine Kolumne zurück, nachdem ein Artikel über Ägyptens starken Mann Abdel Fattah al-Sisi, damals noch Armeechef, nicht erschien: "Ich würde dazu beitragen, den Maßstab der Freiheit zu senken, wenn ich weiterhin so tun würde, als dürften meine Artikel erscheinen", schrieb er damals.

Die unerschrockene Bloggerin Zeinobia brachte die jüngste Ramadan-Soap-Affäre und die Lage der Medien auf den Punkt: Es gebe in den Medien einen Krieg gegen die Revolution vom 25. Januar 2011. Nach offizieller Lesart gibt es nämlich zwei Revolutionen: Eine, die 2011 zum Sturz Mubaraks führte, und eine, die vor ziemlich genau einem Jahr zum Sturz des Muslimbruderpräsidenten Mohammed Mursi führte. Und beide Regierungswechsel wären ohne das Eingreifen der Armee nicht gelungen.

Für viele Aktivisten aber ist das offizielle revolutionäre Kontinuum nur Propaganda: In Wahrheit betrachten die Sicherheitsdienste und die alten Mubarak-Getreuen den Mursi-Sturz als Wiederherstellung des status quo ante, als Revolution, um alle Revolutionen zu beenden. Heute regiert mit Sisi der einstige Armeechef in Zivil. Zehntausende politische Gefangene, Hunderte Todesurteile und sechs tote Journalisten seit vergangenem Jahr haben ein Klima geschaffen, in dem nach den Worten des Schriftstellers Alaa al-Aswani "nur eine Meinung erlaubt ist, ein Gedanke in den immer gleichen Worten." Alles sei verboten "außer Applaus", und damit verabschiedete er sich von seiner Kolumne in der Zeitung Al-Masry al-Joum - und solidarisierte sich auf Twitter mit Fadl.

Man muss gerecht sein: Auch Mohammed Mursi, Sisis Vorgänger, war kein Freund der Medien. Auch er ließ Journalisten und Publizisten verklagen und einschüchtern. Seit der Machtübernahme der Armee und Sisis aber herrscht eine manchmal bedrückende, manchmal erheiternde Monokultur. Die unabhängige Moderatorin Reem Maged ist verstummt. Der Komiker Bassem Jussef hat sich mit seiner Show Al-Bernameg, "das Programm" vor einigen Wochen zurückgezogen.

Noch gelingen spektakuläre Gesten

15 Journalisten sitzen derzeit in Untersuchungshaft. Am vergangenen Montag wurden Mitarbeiter des katarischen Senders Al-Jazeera zu drakonischen Haftstrafen verurteilt. Auf internationale Kritik reagierte die Regierung beleidigt bis drohend. Man verbitte sich jede Einmischung von außen, hieß es von Sisi, Außenministerium und Staatsanwaltschaft. In einer Art verschobenem Stockholm-Syndrom bejubelten selbst jene Journalisten das Urteil, die selbst unter Mubarak drangsaliert worden waren. Der Moderator Ibrahim Eissa beispielsweise beschied, das Urteil habe mit Pressefreiheit gar nichts zu tun, denn Al-Jazeera stehe auf einer Stufe mit den irakischen Isis-Milizen und Al-Qaida.

Andere überbieten sich in Huldigungen für Armee, Polizei und Regierung, insbesondere: Abdel Fattah al-Sisi. Sender, oft im Besitz von Profiteuren des Mubarak-Regimes, beglücken ihr Publikum mit Moderatorinnen, die Massenvergewaltigungen auf dem Tahrir-Platz wegkichern oder einem Anchor-Man, der nach einer öffentlichen Radfahrt des Präsidenten im Studio demonstrativ ebenfalls eine Runde dreht.

Wie sehr und wie lange sich die Interessen der Medienunternehmer und des neuen alten "tiefen Staates" tatsächlich decken, ist unklar. Noch gelingen spektakuläre Gesten. Nachdem Sisi erklärt hatte, er werde die Hälfte seines Einkommens dem klammen Staat spenden, schlossen sich Mediengrößen an: Der Besitzer des Privatsenders CBC Mohammed al-Amin will die Hälfte seines Eigentums dem Staat vermachen, und der Charakterkomiker Adel Imam, Star ungezählter Ramadan-Soaps, will die Hälfte seiner Gage aus drei Serien spenden. Auch ein kleines Vermögen.

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SZ vom 26.06.2014/ihe
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