Medien-Ereignis Olympia:Zocken mit dem flinksten Typ der Welt

In London wird der 100-Meter-König gesucht. In München verdienen Sportwettbüros mit, während risikobereite Tippexperten ihr Glück herausfordern. Aber geht das überhaupt? Geld verdienen mit Olympia? Ein Selbstversuch am Abend des großen Triumphes von Usain Bolt.

Anna Fischhaber

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe keine Erfahrung mit Sportwetten. Na gut, ich habe bei WM-Tippspielen mitgemacht. Und ich habe gerade den Film Lady Vegas gesehen, in dem Bruce Willis in scheußlichen weißen Kniestrümpfen gemeinsam mit einer sehr leicht bekleideten Rebecca Hall eine Tausend-Dollar-Wette nach der anderen gewinnt. Von ihr habe ich auch gelernt: Man muss keine Sportwettlegende sein, um beim Zocken erfolgreich zu sein.

Denn: Ich bin auch keine Olympiaexpertin. Wenn Freunde von ihren Kindheitserinnerungen an große Sportler und noch größere TV-Momente erzählen, muss ich passen. So richtig verstanden habe ich diesen Enthusiasmus nie. Wieso ich dennoch jetzt mein Glück versuche? Ich wurde von den Sportkollegen gebeten. Und wenn ich schon einmal dabei bin - wieso nicht versuchen, Geld zu gewinnen?

Ich entscheide mich für fünf Euro und den 100-Meter-Lauf, den sportlichen Höhepunkt an diesem Sonntag. Immerhin wird der schnellste Mann der Welt gesucht. Die Regeln sind einfach (nicht zu früh loslaufen, nicht die eigene Bahn verlassen) und von Usain Bolt habe sogar ich schon gehört. Mir ist sogar zu Ohren gekommen, dass seine schnellsten Zeiten vielleicht schon vorbei sind. Selbst Schauspieler Mickey Rourke, 59, will vor einiger Zeit gegen ihn gewonnen haben - bei einem Rennen, dreißig Meter, auf dem Bürgersteig vor einem Klub. Von den vier Schritten Vorsprung, die Bolt ihm gab, will er einige Zentimeter ins Ziel gerettet haben.

Soll ich also wirklich auf den Jamaikaner setzen? Ich beschließe in ein Wettbüro zu gehen und mir Tipps von echten Profis zu holen. Allein in München gibt es inzwischen etwa 150 solche Büros, erfahre ich im Internet. Dort heißt es allerdings auch, dass Sportwetten ein besonders hohes Suchtpotential haben. Etwa 26.000 "pathologisch Glückspielsüchtige" soll es allein Bayern geben, ein Viertel von ihnen ist durch Sportwetten süchtig geworden, schätzen Experten.

Hunde, Pferde, Frauen

Das Wettbüro meiner Wahl liegt in der Innenstadt, direkt neben einer Table-Dance-Bar. Seinen Hauptsitz hat der Buchmacher seriöserweise auf Malta. In München sind die Scheiben beklebt, im Vorraum stehen ein paar Spielautomaten, im Hinterzimmer hängen zahlreiche Bildschirme. Ich sehe rennende Hunde, galoppierende Pferde und den Frauenmarathon. In London regnet es, eine Läuferin weint. Schließlich gewinnt Außenseiterin Tiki Gelana aus Äthiopien.

Den Kommentator hört man nicht. Für die Rennen scheint sich hier niemand zu interessieren. Die etwa 20 Männer, die trotz strahlendem Sonnenschein in der Dunkelheit sitzen, haben nur Augen für die Bildschirme mit den Quoten.

Ich habe Glück: Zu den Spielen in London gibt es ein Special. Einen Tipp hat die Dame hinter dem Schalter allerdings nicht. "Auf Olympia wettet kaum jemand", erklärt sie mir. Auch wie viel hier mit Olympia verdient wird, will niemand sagen, stattdessen drückt sie mir ein paar eng beschriebene Seiten mit Zeiten und Quoten in die Hand.

Erstaunt stelle ich fest: Auf fast alle olympischen Disziplinen kann man sein Geld setzen - ob Wasserball, Moderner Fünfkampf oder Leichtathletik. Beim 100-Meter-Lauf tippt man den Sieger. Favorit ist Bolt mit einer Quote von 1,65. Bei seinem Trainingspartner Yohan Blake sind es 2,70. Bei einem Einsatz von fünf Euro wären das 12,85 Euro Gewinn. Tyson Gay und Justin Gatlin haben eine Quote von 25,00. Asafa Powell sogar 55,00.

"Du willst wirklich auf Olympia setzen?", fragt der Mann neben mir. Er hat auf japanischen Fußball gewettet. Das sei einfacher, weil man nicht auf ein bestimmtes Team setzen müsse, sondern nur darauf, wie viele Tore fallen. Vor einem Jahr habe er so 600 Euro gewonnen, seitdem tippt er jeden Sonntag. Dann fällt in Japan das dritte Tor, sein Einsatz hat sich gelohnt. Seine Strategie? "Alles nur Glück", sagt er. Sein Rat: "Ich würde auf Blake setzen. Rein gefühlsmäßig. Aber Olympia ist langweilig."

Olympia-Gambling hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich beschließe noch ein zweites Büro aufzusuchen, diesmal am Hauptbahnhof. Auch hier kann man auf einzelne Wettbewerbe der Spiele setzen, auch hier bin ich aber die Einzige. Viele der älteren Herren tragen Schirmmütze, geredet wird eigentlich nur über Pferde. "Bei Olympia gibt es viel zu viele Unwägbarkeiten", erklärt mir ein Mann. "Wenn Bolt hüstelt oder ein Lüftchen weht, ist es aus."

Lieber auf Pferde setzen?

Er empfiehlt mir, auf Pferde zu setzen - die seien robuster. Außerdem gehe es da ehrlicher zu. Nach dem Badminton-Skandal (vier Doppel-Paare sollen versucht haben, absichtlich zu verlieren, um im weiteren Turnierverlauf stärkeren Gegnern auszuweichen), habe er kein Vertrauen mehr. Für das 100-Meter-Rennen lautet auch sein Tipp: Blake. "Ich verstehe nicht, warum Bolt noch der Favorit ist", sagt er. Das sei nur so, weil er gerne den Hampelmann gebe. Jetzt halte Blake die Weltjahresbestzeit. Zweimal habe er Bolt dieses Jahr schon geschlagen. Das klingt plausibel, dann eben Blake.

Leider schließt auch das zweite Wettbüro bereits um 19 Uhr. Anschauen muss ich das Rennen also ohne Tippgeber. Zehn Minuten vor dem Start ist von Blake und Bolt im ZDF noch immer nichts zu sehen. Stattdessen wird die kasachische Nationalhymne gespielt. Eine blonde Frau holt Gold im Dreisprung. Dann betreten endlich die acht schnellsten Männer der Welt die Bahn. Die Zuschauer in London jubeln. 2100 Pfund haben manche hier angeblich für einen Tribünenplatz beim Sprint-Finale bezahlt. Umgerechnet also rund 266 Euro pro Sekunde. Wenn man das mal hochrechnet auf zehn Sekunden. Dagegen ist mein Wetteinsatz lächerlich gering.

"Bolt, Bolt, Bolt"

Bolt trägt eine Mütze, imitiert einen DJ und sieht wie immer lässig aus. Seine Unantastbarkeit sei "gebrochen", sagt der Kommentator. Das macht mir Mut. Ob Blake ihn wieder besiegen kann? Allerdings habe Bolt den "Killerinstinkt", heißt es nun. Blake sieht neben Bolt ziemlich klein aus - ich erfahre, dass "Blake Olympia-Debütant ist". Wie ein Sieger wirkt er nicht, er sieht ernst aus, fast ein wenig nervös.

Erfahrung brauche man nicht, um zu gewinnen, hat er vor dem Rennen erklärt. Das macht ihn sympathisch, Erfahrung habe ich schließlich auch nicht. Als die Kamera auf ihn gerichtet wird, sieht es aus, als wolle er ein Monster imitieren. Impression Management, wird das später genannt. Jetzt werde auch ich langsam nervös.

Dann knallt der Startschuss. Asafa Powell ist "gut rausgekommen", ruft der Kommentator. Ausgerechnet Powell, dessen Quote ja so hoch war. Ich halte die Luft an. Zeit mir zu überlegen, was ich mit meinem Gewinn mache (Urlaub auf Jamaika? Oder doch eher in London?), habe ich nicht - die wichtigste olympische Entscheidung dauert keine zehn Sekunden. Es ist das schnellste Olympiarennen aller Zeiten. "Bolt, Bolt, Bolt" ruft der Kommentator jetzt. Der zieht nun mit seinen unglaublich langen Beinen an allen vorbei und hat sogar noch Zeit, auf die Uhr zu schauen. Blake hält zwar mit, verliert aber den Zielsprint. Dann ist das Rennen aus.

Mit 9,63 Sekunden und ein wenig Rückenwind gewinnt Bolt. Und ich verliere. Immerhin: Blake wird Zweiter, in 9,75 Sekunden. Seine neue persönliche Bestleistung. Nach dem Rennen steht er neben Bolt und lächelt. Ihm scheint die Niederlage weniger auszumachen als mir. Dass dieser Lauf so deutlich ausgeht, "das hätte keiner vorausgesagt", merkt der Kommentator beeindruckt an. Selbst der einstige Olympiasieger Maurice Greene habe sich verschätzt. Auch der hatte nämlich auf Blake gesetzt. Das beruhigt mich irgendwie.

Meinen Einsatz von fünf Euro bringt das allerdings nicht zurück. Vielleicht sollte ich in Zukunft auf Sportwetten verzichten. Aber haben die im Wettbüro nicht gesagt, am Montag spielen die Japanerinnen in London Fußball? Ich gucke auf jeden Fall wieder Olympia.

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