Wenn Heinrich mit dem Startschuss des 400-Meter-Hürdenfinales seine Stimme in den Livemodus schaltet, sind das knappe 48 Sekunden Dramatik, und ist das nach dem Zieleinlauf echte Begeisterung über den Sieger: "Was für ein RIE-SEN-ERFOLG für den Mann aus der Dominikanischen Republik! Was dieser Felix Sanchez hier gezeigt hat, das ist PHÄ-NO-ME-NAL! Er ist einer der größten Leichtathleten, er hat es noch mal deutlich unterstrichen. Felix Sanchez ist einer der ganz ganz Großen für mich."
Sie reden nicht um den heißen Brei herum. Wenn die deutsche 3000-Meter-Läuferin während des Rennens nur Zwölfte ist, ist sie bei Thiele nicht Zwölfte, sondern Drittletzte. Wenn die deutsche Stabhochspringerin einen offensichtlich kläglichen Versuch abliefert, ist sie nicht "knapp gescheitert" oder "im Pech", sondern hatte - ganz schnöde - einfach "KEI-NE Chance, keine Chance". Dirk Thiele hat jüngst in einem Interview gesagt, das meiste, was die beiden kommentierten, komme ganz spontan. In solchen Augenblicken will man es ihm am ehesten glauben.
Ihnen ist Pathos nicht fremd (siehe Sanchez), aber sie zügeln das deutsch gefärbte Pathos, und zwar in beide Richtungen: Weder sind die Erfolge der deutschen Athleten Anlass für ausgelassenstes Feiern - Thiele und Heinrich freuen sich international, zum Beispiel auch mit Weißrussinnen. Noch ist ihr Scheitern Grund für atemlose Enttäuschung - Thiele und Heinrich schelten auch international, zum Beispiel auch Weißrussinnen (Thiele: "Die Weißrussin darf sich aus meiner Sicht ruhig mal ein bisschen freuen. Man wird ja schließlich nicht jeden Tag Olympiasieger. Aber sie nimmt das hin, als wenn sie gerade 'n Stück Brot isst")
Klar, sie vergaloppieren sich auch. Immer wieder. Heinrich hat Aussagen zu Oscar Pistorius getroffen, die für manche irritierend waren (nachzulesen ist das in seinem Blog). Man kann darüber diskutieren, ob und wie fair es ist, wenn ein Mann mit Prothesen bei Olympia mitläuft. Man könnte dabei aber auch Vergleiche mit Rollstuhlfahrern mit Raketenantrieb weglassen.
Thiele wiederum hat es am Montagabend geschafft, in einem Halbsatz die Oberweiten der 3000-Meter-Hindernisläuferinnen mit dem Zieleinlauf in den Kontext zu bringen. In solchen Augenblicken glaubt man ihm dann endgültig, dass das Meiste spontan kommt.
Dirk Thiele ist schon sehr lange dabei. Er war vor London schon 13 Mal bei Olympischen Spielen, sieben Mal Sommer, sechs Mal Winter. Es sollen nun seine letzten Spiele sein, hat er angekündigt. Was dann aus Sigi Heinrich wird? Man weiß es nicht. Die beiden sehen sich wie ein altes Ehepaar. Man kann sich irgendwie nicht vorstellen, dass sie aufhören. Hört man sich an, zu welchen Albernheiten sie sich gegenseitig immer noch treiben, denkt man: Sie haben doch noch Spaß an dem, was sie tun.
Sie sind Teil der Leichtathletik im deutschen Fernsehen. Seit 20 Jahren. Vielleicht trifft für sie auch zu, was Thiele über den japanischen Hammerwerfer Koji Murofushi gesagt hat: "Solange er das Kreuz nicht am Bindfaden durch die Gegend tragen muss, macht er weiter."