Mediatheken:Gebrauchte Bilder

Charite

Ist eine kostspielige Serienproduktion wie Charité noch möglich, wenn für die Macher ein Teil der Finanzierung wegfällt?

(Foto: Nik Konietzny/ARD)

Wenn TV-Filme länger als bisher und ohne regionale Begrenzungen abrufbar sein sollen, klingt das für die Zuschauer verlockend. Die Produzenten aber sehen ihr Geschäftsmodell in ernster Gefahr.

Von Kathrin Hollmer

Es klingt nach einer guten Nachricht: "Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender werden immer stärker genutzt", sagt Ufa-Chef Nico Hofmann, der unter anderem die Serien Charité, Ku'damm 56 und Deutschland 83 produziert hat.

Durchschnittlich knapp 7,5 Millionen Zuschauer sahen die sechs Folgen der ARD-Serie Charité im vergangenen Frühjahr im Fernsehen, dazu kamen 1,7 Millionen Abrufe in der Mediathek. "Wir haben pro Folge Abrufzahlen im Hunderttausenderbereich", sagt Hofmann, "und die Zuschauer sehen unsere Inhalte über einen immer längeren Zeitraum." Doch der Erfolg der kostenlosen öffentlich-rechtlichen Mediatheken birgt für Produzenten wie Nico Hofmann auch eine Gefahr.

Früher mussten alle Filme und Serien nach sieben Tagen aus dem Netz. Diese Regel soll nun fallen

Viele, die wie Hofmann erfolgreich Fernsehen machen, sind derzeit nicht so sicher, ob es wirklich eine gute Nachricht ist, wenn ARD, ZDF und die Politik jetzt noch mehr Mediathek möglich machen wollen. Die gesetzliche Einschränkung, wonach Sendungen nur sieben Tage lang abrufbar sein dürfen, wird bald fallen, so weit haben sich die für Rundfunk zuständigen Ministerpräsidenten im September bereits festgelegt. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Malu Dreyer (SPD), versprach nach der Sitzung in Saarbrücken, man wolle die Grundsatzregelung "auflockern und verändern". Ohnehin haben die Sendergremien schon viele Ausnahmen geschaffen, die Sieben-Tage-Ordnung besteht hauptsächlich auf dem Papier. Wenn sie fällt, dürften ARD und ZDF ihre Produktionen möglichst lange kostenfrei in den Mediatheken anbieten. "Wir hoffen, dass es mehr Freiheiten gibt und diese ominöse Sieben-Tage-Regel im Kern abgeschafft wird", heißt es vom ZDF, "auch wenn das nicht heißt, dass künftig alles endlos verfügbar sein wird."

Das ist auf jeden Fall richtig, denn nicht alle Sendungen gehören den Sendern komplett und mit allen zugehörigen Rechten. Viele Produzenten investieren selbst Geld in ihre Filme und Serien und behalten im Gegenzug Auslands- und Weiterverwertungsrechte etwa für Video-on-Demand an ihren Produktionen. Mit dem, was diese Rechte einbringen, versuchen sie, ihre Investitionen zu refinanzieren. Auch öffentlich-rechtliche Vorzeigeproduktionen wie die Serie Charité werden nicht vollständig von den Sendern finanziert - das trifft nach Schätzungen des Verbands Produzentenallianz auf 20 bis 30 Prozent der Produktionen im Abendprogramm zu.

Nicht immer ist es eine freiwillige Entscheidung des Produzenten, eigenes Geld einzusetzen, sondern die gängige Art, Finanzierungslücken zu schließen, wenn die Sender nicht "voll finanzieren". Deshalb haben die Produzenten mit den Sendern ausgehandelt, dass Nebenrechte in diesem Fall bei den Kreativen bleiben, die so für ihren Film einen zweiten Markt als Einnahmequelle erschließen können.

Die zweite Staffel der DDR-Serie Weissensee erschien zum Beispiel vor der Ausstrahlung in der ARD auf DVD. Die Produzentin Regina Ziegler überzeugte die Senderverantwortlichen davon, die DVD-Auswertung vorzuziehen, nachdem sich der Ausstrahlungstermin immer weiter nach hinten verschoben hatte. Geschadet habe der vorzeitige DVD-Start den Quoten nicht. "Ich habe mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass sich die verschiedenen Auswertungsplattformen keineswegs, wie gern angenommen wird, kannibalisieren", sagt Regina Ziegler. "Weissensee zum Beispiel hatte tolle Quoten und hat sich als DVD ebenfalls gut verkauft. Jede Art der Auswertung hat ihr spezielles Publikum." Darauf setzt auch die ARD, ihr Prestige-Projekt Babylon Berlin läuft seit Oktober zunächst auf Sky und erst im Herbst 2018 im Ersten und der Mediathek, obwohl die ARD deutlich mehr investiert hat als Sky.

Gerade die Erlöse aus DVD-Rechten, Zweitverwertung im Pay-TV und Verkäufen an Portale wie Netflix sind zu einer Einnahmequelle geworden. Aber genau die könnten stark zurückgehen, wenn Filme und Serien über Wochen und Monate frei in den öffentlich-rechtlichen Mediatheken zu sehen sind. Das Publikum, das Rundfunkabgabe zahlt, freut sich. Für einen Streamingdienst aber stellt sich dann die Frage, ob diese Produktionen für den privaten Markt noch interessant sind. Die Produzenten fürchten deshalb, dass hier eine Erlösquelle zunichtegemacht wird, die sie sich mühsam erarbeitet haben.

Und für die sie auch einen nennenswerten Anteil stemmen müssen: "Immerhin muss der Produzent bei der ARD bis zu sechs Prozent der Finanzierung mitbringen, um die VoD-Rechte zu erhalten", sagt die Produzentin Regina Ziegler. "Ohne eine Exklusivität im Bereich der VoD-Streaming-Angebote werden die kommerziellen Anbieter wie Netflix oder Amazon keine Preise bezahlen, die der Produzent für die Refinanzierung seiner Rechte benötigt." Ein ähnlicher Streit wird in der EU derzeit geführt, hier geht es um regionale Grenzen von Inhalten (siehe Kasten).

Für teilfinanzierte Produktionen hätte das verheerende Auswirkungen, glaubt Nico Hofmann. Charité habe er vor Kurzem an eine US-Plattform verkauft, zu einem hohen Betrag, mit dem sich die Finanzierungslücke schließe, so der Ufa-Chef. "Das hat nur deshalb funktioniert, weil die Verweildauer begrenzt war." Charité stand sieben Tage vor der und 30 Tage nach der Ausstrahlung in der ARD-Mediathek zum Abruf. "Wenn die Begrenzung in Zukunft wegfällt, fehlen uns Millionenbeträge, ohne die wir Produktionen wie Charité gar nicht erst realisieren könnten", sagt Hofmann.

Mit Sorge sieht auch die Allianz Deutscher Produzenten die Entwicklung. "Wenn teilfinanzierte Produktionen ad ultimo in den Mediatheken kostenlos verfügbar sind, sind die Weiterverwertungsrechte wertlos", sagt deren Geschäftsführer Christoph Palmer. "Die Sender legen die Verweildauer derzeit für jede Produktion einzeln vertraglich fest. Doch ohne gewisse Vorgaben zur Verweildauer in den Mediatheken bei teilfinanzierten Produktionen sind die Produzenten immer in der schwächeren Verhandlungsposition."

"Als Produzentin muss ich wissen, ob ich eine Chance habe, mein Geld zurückzuverdienen."

In Saarbrücken wurde die Beschlussfassung zum Thema Mediatheken erst einmal auf die nächste Ministerpräsidentenkonferenz im Februar vertagt. Bis dahin will die Produzentenallianz mit den öffentlich-rechtlichen Sendern neue Bedingungen für teilfinanzierte Produktionen aushandeln. "Je länger die Mediathek-Nutzung ist, desto höher muss eigentlich der Anteil an den Verwertungserlösen oder eine entsprechende Vergütung sein", sagt Ufa-Chef Hofmann. "Denn je länger Sendungen kostenfrei auf der Mediathek empfangbar sind, desto stärker behindert das die Nutzung auf anderen Vertriebswegen."

Die ARD orientiere sich bei der Werthaltigkeit von Rechten bei teilfinanzierten Produktionen an einem Katalog, der für die Produktionsunternehmen transparent und nachvollziehbar sei, sagt Christoph Palmer, so weit sei man beim ZDF noch nicht. Der Sender zahle seit 2016 für längere Onlinenutzung von vollfinanzierten Produktionen einen Gewinnzuschlag. Den gebe es wiederum bei der ARD noch nicht. "Aber wir sind im Gespräch", so Palmer.

Ohne eine Einigung würden Investitionen der Produzenten in Filme und Serien wohl in Zukunft zum unternehmerischen Problem: "Als Produzentin muss ich wissen, ob ich eine Chance habe, mein Geld zurückzuverdienen, bevor ich es ausgebe", sagt Regina Ziegler. Nico Hofmann von der Ufa geht sogar noch weiter und sagt: "Nicht voll finanzierte Produktionen wären künftig nicht mehr möglich."

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