Süddeutsche Zeitung

Drei-Länder-Anstalt Mitteldeutscher Rundfunk:Drohung aus Erfurt

Thüringen fühlt sich vom MDR nicht genug berücksichtigt und will per Staatsvertrag Druck aufbauen. Der Sender wehrt sich.

Von Antonie Rietzschel

Bodo Ramelow hat es sich gemütlich gemacht. Statt des üblichen Dreiteilers trägt Thüringens Ministerpräsident von den Linken für das Gespräch per Videoschalte Strickjacke. Im Hintergrund prangt nicht das Staatswappen, sondern die sehr bunte Gardine seines Privathauses. Doch mit der Gemütlichkeit ist es bald vorbei. Ramelow spricht über "Getöse hinter der Deckung". Er wolle seinen Mund nicht mehr halten. Auslöser für das Ramelowsche Wut-Stakkato sind die aktuellen Diskussionen um die Neufassung des Staatsvertrags für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).

Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2014, die eine diverse und weniger staatsnahe Ausgestaltung der Rundfunkräte vorschreibt, mussten die Länder ihre Staatsverträge für die Rundfunkanstalten entsprechend anpassen. Eine Gelegenheit, um auch an anderer Stelle nachzufassen. So haben sich im Fall des MDR die zuständigen Ministerpräsidenten aus dem Sendegebiet Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach siebenjähriger Verhandlung auf einen Entwurf geeinigt, der nicht nur die Besetzung des Rundfunkrates verfassungsgemäß regelt, sondern auch Druck auf Intendantin Karola Wille ausübt. Die soll laut Paragraf zwei künftig darauf hinwirken, "dass den Ländern ihre Anteile an den Einnahmen des MDR mittelfristig zugute kommen". Außerdem soll den Gremien sechs Monate nach geplantem Inkrafttreten des Staatsvertrags am 1. Juni erstmalig ein entsprechender Bericht vorgelegt werden, anschließend alle drei Jahre. Der MDR soll also in jedem der drei Bundesländer seines Sendegebiets so viel ausgeben, wie von dort aus der Rundfunkabgabe reinkommt.

Wenn der Sender nicht folgt, behält sich Thüringen die Kündigung des Staatsvertrags vor, dann geht es um die Existenz

Der MDR, der sich bisher in der Sache zurückgehalten hat, wehrt sich nun gegen diesen Passus, den die Länder auf Drängen von Thüringen ausgehandelt haben. Ebenso gegen eine Protokoll-Notiz, wonach die Landesregierung vorgelegte Berichte und vorgeschlagene Maßnahmen zur Umverteilung von Ressourcen überprüfen will und sich im Zuge dessen eine Kündigung des Staatsvertrags vorbehält, die den MDR komplett infrage stellen würde. Laut Neufassung des Staatsvertrags wäre das zum 31.12.2021 möglich.

Bei einer Anhörung im Medienausschuss des sächsischen Landtags sagte der juristische Direktor des MDR, Jens-Ole Schröder, die Vorschrift untergrabe die Programmautonomie, die angestrebte Staatsferne sei nicht gegeben. Es gebe deswegen "verfassungsrechtliche Bedenken". Die Protokoll-Notiz bezeichnete Schröder als "Drohmittel".

Ramelow will das auch so verstanden wissen. "Wenn man jahrelang das Gefühl hat, unfair behandelt worden zu sein, dann ist es auch mal Zeit zu sagen: Jetzt ist Schluss."

Die Fernsehsparte, die Intendanz, die juristische Direktion - alles in Sachsen

Tatsächlich hat sich beim MDR, der sich selbst gerne als Stimme des Ostens geriert, seit seiner Gründung vor fast 30 Jahren ein Ungleichgewicht zwischen den Standorten manifestiert. In Sachsen ist nicht nur die Fernsehsparte, sondern auch die Intendanz und die juristische Direktion angesiedelt. Halle in Sachsen-Anhalt dient wiederum als Zentrale für den Bereich Hörfunk. In Erfurt steht zwar ein Landesfunkhaus, doch es gibt keine eigene Vollredaktion. Fernsehserien wie Schloss Einstein oder Die jungen Ärzte werden zwar in Erfurt gedreht, allerdings von einer sächsischen Produktionsfirma. Thüringen dient als Kulisse, steuerrechtlich profitiert das Land nicht.

In den vergangenen Jahren hat die Thüringer Landesregierung keinen Hehl aus ihrem Ärger gemacht. Der MDR versuchte nachzusteuern, verlagerte die Archivarbeit stärker ins Erfurter Landesfunkhaus. Im September eröffnete Intendantin Karola Wille dort die MDR-Media, ein Tochterunternehmen, das unter anderem Werbekunden des Senders betreut. Die ARD plant seit Langem die Ansiedlung einer Kulturplattform in Mitteldeutschland. Erfurt wäre genauso wie Leipzig oder Halle eine mögliche Option gewesen. Doch durch das Scheitern der Beitragserhöhung ist die Zukunft des Projekts derzeit ungewiss.

Dass Thüringen auch in Zukunft zu kurz kommen wird, liegt aus Sicht des MDR nicht am Sender, sondern an einem "Dissens zwischen den staatsvertragsschließenden Parteien", wie MDR-Chefjurist Schröder im sächsischen Landtag ausführte. Sachsen und Sachsen-Anhalt bestehen jedenfalls darauf, dass zentrale Aufgaben weiterhin in Halle und Leipzig liegen, wie es im Entwurf heißt. In den nächsten Tagen werden sich auch die Medienausschüsse in Sachsen-Anhalt und Thüringen mit dem Entwurf befassen, bevor die Landesparlamente abstimmen. Ob der MDR in letzter Konsequenz gegen den Passus klagt, ist offen. Man wolle sich über die nächsten Schritte demnächst beraten, heißt es auf Nachfrage aus Leipzig.

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