MDR-Programmchef zur abgesagten Sendung:"Im Nachhinein sind wir schlauer"

MDR-Übertragungswagen

MDR-Übertragungswagen: Nach massiver Kritik an einer Programmankündigung hat der MDR Sachsen die geplante Ausstrahlung einer Radiodiskussion abgesagt.

(Foto: dpa)

In der abgesagten MDR-Sendung sollte es um diskriminierende Sprache gehen. Stattdessen löste sie einen Shitstorm aus. Der verantwortliche Programmchef zeigt sich im Interview reuevoll.

Von Carolin Gasteiger

Erst sorgte ein Tweet für einen Shitstorm, dann sagten zwei der Talkgäste ab - und schließlich wurde die MDR-Radiosendung Dienstags direkt komplett gestrichen. Bernhard Holfeld, Programmchef von "MDR Sachsen - Das Sachsenradio" gibt sich am Tag nach der Panne erstaunlich einsichtig.

SZ: Herr Holfeld, Sie haben die Sendung Dienstags direkt mit einem sehr provokanten Tweet beworben, in dem das N-Wort vorkommt. Hätte Ihnen nicht klar sein müssen, dass Sie damit einen Shitstorm auslösen?

Bernhard Holfeld: In dieser Dimension haben wir das nicht erwartet. Wir wollten gern eine Diskussion anstoßen, ja. Aber erst in der Radiosendung. Leider hat die Diskussion dann schon vorher über Twitter stattgefunden - allerdings über uns und unseren Tweet, nicht zu dem Thema, wie wir es geplant hatten. Was wir sehr bedauern, weil es dann zu der Radiosendung gar nicht mehr gekommen ist.

Bernhard Holfeld MDR

Bernhard Holfeld ist Hauptredaktionsleiter Hörfunk, Kultur und Sport von MDR Sachsen.

(Foto: MDR/Axel Berger)

In einem Entschuldigungs-Tweet hieß es, die Frage sei rhetorisch gemeint gewesen. Auf Twitter ist sowas nur schwer zu verstehen.

Im Nachhinein sind wir schlauer. Wir hätten das N-Wort - und Sie merken, dass ich das auch nicht gern in den Mund nehme - so nicht verwenden dürfen. Weil das Wort Emotionen auslöst und Menschen verletzt. Wir wollten in der Sendung gar nicht allein über Rassismus diskutieren, sondern generell über diskriminierende Sprache. Da sollte auch die "Me Too"-Debatte thematisiert werden. Aber aufgrund des N-Wortes wurde die Diskussion in eine Richtung gelenkt, die wir so nicht beabsichtigt hatten. Das war ein Fehler und das Ergebnis ist sehr schade.

Im Tweet heißt es außerdem, politische Korrektheit werde "zur Kampfzone". Nehmen Sie da nicht eine Sprache an, die die Rechten eigentlich für sich beansprucht haben?

Wir waren der Ansicht, dass wir uns dieses Themas nicht verschließen dürfen. Was man noch sagen darf und was nicht, wird ja diskutiert. Um beim Rassismus zu bleiben: Wenn Kinder im Kindergarten Lieder lernen, deren Text aus gutem Grund verändert wurde, sagen Großeltern: Moment mal, das haben wir anders gelernt. Kirchenlieder sind, was die Geschlechterbezeichnung betrifft, angeglichen worden. All das wollten wir in der Sendung aufgreifen, weil es dazu sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Jeweilige Interessengruppen sind da einer Meinung. Aber sie reden nur untereinander. Wir wollten sie wieder in ein Gespräch miteinander bringen.

Mit bewusst verletzendem Vokabular?

Wir haben diese Frage in dem Tweet nicht zum ersten Mal gestellt. Frauke Petry und Kerstin Köditz wurden von uns vorab zum Thema einzeln interviewt und die erste Frage entspricht der Frage im Tweet. Beide haben die Frage beantwortet und verwenden in ihrer Antwort das N-Wort. Nicht in beleidigender Weise, sondern sich davon abgrenzend. Dass Frau Köditz dann aufgrund des Shitstorms abgesagt hat, ist sehr schade. Diese Sendung hätte einen guten Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte leisten können.

Halten Sie es für eine gute Idee, in der aktuellen Zeit sprachlich zu zündeln?

Unsere Absicht war es nicht, zu zündeln.

Zu wenig die andere Position anhören

Aber zu provozieren.

Wir wollten nicht provozieren, sondern die Menschen erreichen. Und wenn wir das nur weichgespült tun, wenn wir einen Sprachduktus verwenden, den diese Klientel nicht versteht, dann erreichen wir diese Menschen nicht.

Welche Klientel?

Diejenigen, die behaupten, "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen".

Also haben Sie doch bewusst dieses Vokabular angenommen, um die Menschen zu erreichen.

Damit wir diese Gruppen in eine Diskussion bringen, ja. Und, ich sage noch einmal, die Diskutanten haben das N-Wort ja selbst im Vorfeld der Sendung verwendet. Nicht auf diskriminierende Weise, sondern im Sinn der politischen Debatte um dieses Thema.

Gibt es in Deutschland denn gerade zu wenig Debatte und zu wenig Diskurs?

In Deutschland wird sehr viel geredet. Aber die Menschen hören zu wenig die jeweils andere Position an und beschäftigen sich damit. Meiner Meinung nach gibt es einen Trend in den vergangenen Jahren, sich vorwiegend unter Gleichgesinnten zu unterhalten und gegenseitig zu bestärken, nicht jedoch andere Meinungen anzuhören. Diskussionen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen haben abgenommen. Aber genau die wären für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und deren Zukunftsfähigkeit wichtig. Viele positionieren sich nur und denken, damit einen Beitrag zu leisten. Aber damit gewinnt man niemanden für seine eigenen Ansichten.

In ihrem späteren Entschuldigungs-Tweet behaupten Sie, "uns ist eine ausgewogene Gästerunde zur politischen Diskussionskultur wichtig". Und dann laden Sie zwei Diskutanten vom eher rechten Rand und zwei vom linken ein, alle aus dem akademischen Umfeld. Und niemanden, der von Rassismus und Diskriminierung betroffen ist. Ist ja schon ziemlich widersinnig.

Diesen Vorwurf müssen wir uns gefallen lassen. Auch da sind wir jetzt schlauer. Wir hätten unbedingt eine Betroffene oder einen Betroffenen in die Runde einladen sollen.

Verfolgen Sie als MDR einen besonderen Weg, um mit Bürgern, die sich abgehängt fühlen, ins Gespräch zu kommen?

Wir glauben, dass wir Menschen nicht einfach ihren Filterblasen überlassen sollten, wo immer nur die eigene Meinung bestätigt wird. Aber in diese Filterblasen einzudringen, ist sehr schwierig, im Online-Zeitalter noch viel mehr. Wie sich gerade zeigt: Wir hätten das klüger anstellen sollen. Aber diesen Weg mit dem Risiko, Fehler zu machen, müssen wir gehen. Sonst senden wir an zu vielen Menschen vorbei.

Sie haben angekündigt, die Sendung zu verschieben. Welche Gäste sitzen dann in der Runde?

Wir werden dieselben Gäste noch einmal anfragen. Mal sehen, was sie antworten. Wir wollen ja auch den Wirbel um diese Sendung thematisieren, der jetzt entstanden ist. Und wir müssen Betroffene dazunehmen, was nicht immer einfach ist. Aber wenn es uns gelingt, sollte daraus ein respektvolles Gespräch entstehen.

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