Maybrit Illner zu Meinung und Hass:"Es gibt Dinge, über die will ich nicht ergebnissoffen diskutieren"

Maybritt Illner

Igor Levit, Ralf Schuler und Sascha Lobo bei Maybritt Illner.

(Foto: ZDF/Svea Pietschmann)

Bei Maybrit Illner wird weitestgehend harmonisch über Hetze debattiert. Die Frage, wo der Hass anfängt und die Meinungsfreiheit endet, wird dabei leider nur gestreift.

Nachtkritik von Luise Checchin

Als die Journalistin und Feministin Margarete Stokowski Anfang November den Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik verliehen bekam, stellte sie in ihrer Dankesrede eine bemerkenswerte Frage: "Wie gesund ist das eigentlich, einen Job zu machen, bei dem man Morddrohungen irgendwann normal findet, und bei dem man sich daran gewöhnt, dass diejenigen, die diese Drohungen schreiben, oft nicht gefunden werden?" Stokowski zitierte das Beispiel eines Lesers, der ihr schrieb, sie gehöre verprügelt, erschossen und verbrannt - eine Aussage, die, wie die Polizei später urteilte, kein öffentliches Interesse für eine Strafverfolgung gebiete.

Was muss eine Person aushalten und wann ist die Grenze dessen, was öffentlich sagbar sein sollte, überschritten? Diese Frage stellt auch die Maybrit-Illner-Redaktion in ihrer aktuellen Sendung. "Worte, Wut, Widerspruch - Hass verbieten, Meinung aushalten?" hat sie den Abend überschrieben und womöglich lässt sich am Fragezeichen, das an dieser Aussage hängt, schon erkennen, dass sich etwas im Diskurs der vergangenen Jahre verschoben hat. Dass Hass bekämpft gehört und Meinungsfreiheit für jede Demokratie überlebenswichtig ist, klingt schließlich zunächst einmal nicht nach einer besonders hinterfragenswerten These.

Die Runde - bestehend aus dem Grünen-Politiker Cem Özdemir, der Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, dem Publizisten Sascha Lobo, dem Pianisten Igor Levit und dem Bild-Parlamentsredaktionsleiter Ralf Schuler - kommt dann auch verhältnismäßig harmonisch daher. Wobei sich allein beim Blick auf diese Besetzungsliste schon Widerspruch formieren könnte: Nur ein weiblicher Gast bei einem Thema, das in massiver Weise Frauen berührt (allein unter Bundestagspolitikerinnen haben laut einer aktuellen ARD-Umfrage fast 90 Prozent Erfahrung mit Hass im Netz gemacht), ist schlicht ärgerlich. Lobo, der das zu Beginn kritisch anmerkt, wird von der Gastgeberin Illner allerdings geflissentlich ignoriert.

Von Hetze und Hass Betroffene gibt es trotzdem einige in der Runde. Özdemir etwa steht schon seit Längerem unter Personenschutz, weil er nach Kritik am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan von türkischen Nationalisten bedroht wurde. Ende Oktober erhielt er, genau wie seine Parteikollegin Claudia Roth, zudem eine Drohung aus einer anderen Ecke: Eine als rechtsextrem eingestufte Gruppe, die sich "Atomwaffen Division Deutschland" nennt, ließ ihn per Mail wissen, er stehe als erster Name auf einer Todesliste. Und auch die CSU-Politikerin Bär berichtet bei Illner von verbalen und physischen Anfeindungen. Die eigenen Befindlichkeiten zu thematisieren, vermeiden die beiden bewusst. "Ich finde", sagt Özdemir zu Beginn, "man sollte viel mehr über die Leute reden, die nicht vom BKA begleitet werden." Dass solch ein systematischer Blick nötig wäre, macht ein Satz von Bär deutlich, die in aller Klarheit formuliert, es sei in einer freiheitlichen Demokratie nicht möglich, jeden zu schützen. Warum aber sehen sich so viele Politiker, Journalistinnen, Rechtsanwälte und andere Personen des öffentlichen Lebens überhaupt Hass ausgesetzt? Wo genau fängt er an und wo hört die legitime Meinungsäußerung auf? Und wie kann der Rechtsstaat durchsetzen, dass diese Grenzen eingehalten werden?

Es ist nicht so, dass sich die Gäste der Sendung nicht für diese Fragen interessieren würden. Igor Levit, der sich schon seit Jahren als einer der wenigen Stars der Klassikszene explizit politisch äußert, gibt sich betont kämpferisch und fordert, nicht jede Einstellung - etwa Rassismus oder Frauenhass - zur Meinung hochzustilisieren. Lobo wiederum will das "Meinungsspektrum" um einiges weiter definiert sehen als Levit, plädiert dabei aber für eine "bestimmte Form der Regulierung von Meinungen". "Es gibt Dinge, über die will ich nicht ergebnissoffen diskutieren", so Lobo. Eine Aussage, die den Bild-Journalisten Schuler, der kürzlich ein Buch mit dem Titel "Lasst uns Populisten sein" veröffentlicht hat, sichtlich irritiert, auch wenn er den beiden zugesteht, dass Rassismus keine Meinung sei. Wie aber, fragt er weiter, definiere man denn Rassismus? Um diese Leerstelle kreist die Diskussion an diesem Abend. Die Frage nach den Grenzen der Meinungsfreiheit lässt sich eben am besten an konkreten Fällen anschaulich machen, aber genau diese Konkretheit bleibt aus. Noch nicht einmal die in den vergangenen Wochen viel debattierte Gerichtsentscheidung des Berliner Landgerichts zuungunsten von Renate Künast, wonach die Grünen-Politikerin sich auch wüste, teils sexualisierte Beleidigungen gefallen lassen muss, wird näher beleuchtet.

Stattdessen schließt sich in der zweiten Sendungshälfte eine noch um einiges vagere Diskussion um das von Illner immer wieder ins Feld geführte Gefühl einer Mehrheit an, aufpassen zu müssen, was man noch sagen dürfe. Lobos ketzerische Frage, ob diese Vorsicht nicht einfach Anstand genannt werden könne, will leider niemand aufgreifen.

Was also tun? Dass die Strafverfolgungsbehörden, die in den vergangenen Jahren das Problem der Hetze im Netz nicht gerade als erste Priorität angingen, in ihrer Arbeit gestärkt werden müssten, darüber scheint in der Runde Konsens zu herrschen. "Wenn die ersten Verurteilungen ins Haus flattern, spricht sich das rum", gibt sich Özdemir optimistisch. Man müsse mit den Gegnern reden, fordert Schuler, ohne ins Detail zu gehen und auch Bär bleibt im Allgemeinen, wenn sie dafür plädiert, präventiv bei der Erziehung anzusetzen. Immerhin an diesem Punkt lässt die Sendung Hoffnung aufkommen. Zu Beginn hatte Özdemir schließlich ein Blatt Papier in die Kamera gehalten: Das Solidaritätsschreiben einer Brandenburger Schulklasse an ihn - ganz analog als Brief verschickt.

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