Süddeutsche Zeitung

"Maybrit Illner" zu Flüchtlingen:Schneise in der Gute-Laune-Front

Toll, toll, toll seien die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels, finden Innenminster de Maizière und seine Kollegen im ZDF-Talk von Maybrit Illner. Da ist Widerspruch erfrischend.

Von Julia Ley

Die Frage, mit der sich diese Sendung befasst, ist eigentlich schon vor Beginn beantwortet: Nein, natürlich können Geld und guter Wille nie genug sein. Wer würde ernsthaft wagen, in der Öffentlichkeit anderes zu behaupten? Und weil das so ist, wird die Frage auch gar nicht erst gestellt. Statt um das "ob" geht es bei Maybrit Illner in dieser Nacht von vornherein nur um das "wie". Wie können wir Wohnraum und Arbeitsplätze bereitstellen? Wie unsere Wertvorstellungen vermitteln?

Drei Politiker - brav unterschieden nach Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen - treten an, um diese Frage zu beantworten. Und sind sich dabei im Grunde in allem einig, auch wenn sie verschiedenen Parteien angehören. Ihnen gegenüber stehen zwei Vertreter der Menschen, die da nach Deutschland kommen. Oder was man in der Redaktion von Maybrit Illner dafür hält - denn tatsächlich sitzt keiner am Tisch, der selbst eine irgendwie geartete Flüchtlingsgeschichte mitbringt.

Schwarz, Rot und Grün sind sich überraschend einig

Stattdessen sitzen dort Ayman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, denn viele der Flüchtlinge sind ja Muslime, und Günter Burkhardt, Geschäftsführer und Mitbegründer von Pro Asyl. Letzterer wird von Illner gleich zu Beginn als "oberster Lobbyist der Flüchtlinge" geadelt, vielleicht weil kein Flüchtling am Tisch sitzt. Burkhardt verbittet sich das umgehend. Er sei kein Lobbyist - ihm gehe es um die Menschenrechte.

Die Positionen der fünf sind denn auch so vorhersehbar wie es die Zusammenstellung der Runde erwarten lässt. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) gibt die Stimme realpolitischer Vernunft. Tenor: "Schutzbedürftige müssen wir schnell integrieren. Die, die keine Perspektive haben, müssen schnell das Land wieder verlassen. Auch wenn es hart ist." Er will weniger "Fehlanreize" für Flüchtlinge, er will den großen Andrang eindämmen und schneller abschieben.

Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), und Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) scheinen vor allem zu einem Zweck eingeladen worden zu sein: Um die von de Maizière formulierten Thesen mit Anschauungsmaterial aus der politischen Realität "on the ground" zu unterfüttern. Sie tun das pflichtschuldig, beklagen das Chaos, überfüllte Turnhallen und allzu lange Asylverfahren. Boris Palmer: "Wir haben die Kontrolle über die Verwaltung schon weitgehend verloren."

Ebenso einig sind sich die drei in ihrem Lob für den Bund-Länder-Gipfel, der erst kurz vor Beginn der Sendung zu Ende ging. Toll, toll, toll, was man da erreicht hat, sagt Malu Dreyer. Der Bund habe sich "bewegt", überhaupt hätten alle "viel bewegt" und dies sei ein klares Signal an die Bürger. De Maizière stimmt dieser Rede "ausdrücklich" zu. Und der Grüne Palmer findet das alles "auch gut".

In einem weiteren Punkt sind sich an diesem Abend von Mazyek bis de Maizière aber auch wirklich alle einig: Alles muss schnell, schneller, noch schneller gehen. Man brauche schnellere Asylverfahren, eine schnelle und flexible Verwaltung, die unkonventionelle Lösungen findet, und - wenn ein Asylbescheid negativ ausfällt - schnelle Abschiebungen.

Bei so viel Einigkeit wirkt es hocherfrischend, wenn ab und zu doch mal einer widerspricht. Günter Burkhardt von Pro Asyl will zwar auch "schnelle und faire Verfahren", geht aber ansonsten mit der deutschen Flüchtlingspolitik hart ins Gericht. Man kann förmlich zugucken, wie seine Kritik eine Schneise in die Gute-Laune-Front der Politikerriege schlägt. Er erntet dafür befremdete Blicke von de Maizière, der gar nicht zu verstehen scheint, was dieser Mann neben ihm will.

Die am Abend erzielte Einigung zwischen Bund und Ländern sei keineswegs ein Fortschritt, erklärt Burkhardt gleich zu Anfang. Sie würde die Asylverfahren nicht beschleunigen, sondern im Gegenteil noch verlängern. Erst nach sechs Monaten - und nicht wie früher nach drei Monaten - dürften Asylbewerber nun aus den Unterkünften ausziehen und sich eigene Wohnungen suchen. Der Unterkunftsmangel würde durch diese Zwangsbelegung noch verschlimmert. De Maizière erklärt, dass es nötig sei, die Menschen während des Asylverfahrens an einem zentralen Ort unterzubringen. Schließlich ginge alles schneller, wenn man direkt auf die Menschen zugreifen könne. Ob das im Interesse der Flüchtlinge ist? "Für Schutzbedürftige gibt es kein Wahlrecht."

Burkhardts Kritik legt den Finger in die Wunden der bisweilen sehr selbstgefälligen deutschen Flüchtlingspolitik; wirklich überraschen kann sie nicht. Überraschend ist an diesem Abend ein anderer: der Grüne Boris Palmer. Nicht, weil man seine Positionen noch nie gehört hat, sondern, weil man sie so gut wie nie aus dem Mund eines Grünen hört.

Wann ist die Grenze erreicht?

Palmer sagt Sätze wie: "Es gibt eine objektive Integrations- und Belastungsgrenze". Er meint damit auch die anderen "Lebensvorstellungen", die viele der jungen Flüchtlinge mitbringen würden. Die machten es schwierig, sie zu integrieren. Zentralratsvorsitzender Mazyek verwehrt sich gegen solche pauschalen Aussagen. Man könne nicht all die Muslime, die da kommen, "über einen Kamm scheren." Maybrit Illner springt auf den Zug auf und fragt den Oberbürgermeister, ob seine Argumente nicht vielleicht der "falschen Seite" in die Hände spielten. Er glaubt das nicht. Auf Twitter häufen sich derweil die Tweets von "Asylkritikern", die Palmer für seinen Realismus loben.

Kurz zuvor hatte es ausgerechnet zwischen Palmer und Pro-Asyl-Chef Burkhardt den einzigen handfesten Streit des Abends gegeben. So hitzig wurde es, dass de Maizière fast schulmeisterhaft dazwischen ging: "Kann hier mal irgendjemand irgendwen ausreden lassen?"

Burkhardt und Palmer stritten darüber, ob Deutschland noch mehr Flüchtlinge aufnehmen könne. Burkhardt wirft der EU vor, Abschottungspolitik zu betreiben und Flüchtlingen an seinen Außengrenzen mit Tränengas und Pfefferspray zu begegnen. Burkhardt will die Menschen zu ihren Verwandten in Privatwohnungen ziehen lassen; dann wäre es schaffbar. Palmer hält dagegen: "Das sind doch nur ein bis zwei Prozent." Er will stattdessen die Nachbarländer Syriens unterstützen, damit die Menschen gar nicht mehr nach Europa kommen müssen.

Von diesem Punkt an bewegt sich die Diskussion ziemlich direkt auf das große Finale zu: Den Moment, an dem die vielen Detailfragen um Fluchtanreize, Asylverfahrensdauern und Mentalitätsunterschiede den Blick freigeben auf die eine wichtige Frage, die all diesen Debatten zugrunde liegt. Stehen wir zum Grundrecht aus Asyl, das es ja trotz aller Einschränkungen immer noch gibt? Oder ist dieses Grundrecht mit der Realität nicht mehr vereinbar? Und wenn ja, wann ist die Grenze erreicht?

Angela Merkel hat die Frage kürzlich so beantwortet: "Das Asylrecht kennt keine Obergrenze." Und zumindest an diesem Abend wagt der Innenminister nicht, seiner Kanzlerin offen zu widersprechen. Stattdessen beginnt ein Eiertanz: De Maizière sagt, das Grundrecht kenne zwar keine Obergrenze, faktisch müsse man den Flüchtlingszustrom aber begrenzen. Malu Dreyer springt ihm zur Seite: Das Grundrecht auf Asyl bleibe "individuell" bestehen - was auch immer das heißt. Am Ende würde man sich fast wünschen, dass jemand offen dafür plädiert, es abzuschaffen. Dann könnte man es wenigstens offen diskutieren. So entsteht der Eindruck, dass viele hier genau das für unvermeidbar halten, es aber nicht sagen wollen. Grundsatz schön und gut - aber die Realität sieht anders aus.

Bis dann ganz am Ende Pro-Asyl-Chef Burkhardt noch einmal unmissverständlich klarmacht, worum es hier eigentlich geht. Er zitiert die Europäische Konvention für Menschenrechte, die Schutz vor Folter und erniedrigender Behandlung gewährt. "Wenn man europäische Werte ernst nimmt, dann kann es in Europa keine Obergrenze geben", sagt Burkhardt. Die Politik könne diese Werte nicht einfach aushebeln.

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