Laschet bei "Maybrit Illner":Armin Laschet hat die Krisenjacke ausgepackt

Hochwasser in NRW: Armin Laschet in Hagen

Armin Laschet, hier bei seinem Besuch in Hagen.

(Foto: Martin Meissner/AP)

In der TV-Runde bei Maybrit Illner betet er den Büßerkatalog und spielt das Lied der verpassten Chancen.

Von Marlene Knobloch

Die Haare sind inzwischen nass. Waren sie beim ersten Interview mit "Bild Live" und später in der Pressekonferenz noch trocken, kleben sie jetzt platt am ernsten Kopf des Kanzlerkandidaten. Es ist Nacht in Stolberg bei Aachen, in seiner Heimat, im Katastrophengebiet, Blaulicht leuchtet im Hintergrund, Feuerwehrmänner stehen in der Ferne. Auf Armin Laschets blauer Regenjacke glänzen Tropfen. Doch: Sie ist nicht ganz zugeknöpft. Ein gebügelter weißer Hemdkragen spitzt hervor. Denn hier steht live zugeschaltet in Maybrit Illners Studio zwar der Glück-Auf-Ministerpräsident Laschet, aber er steht hier vor allem als Vielleicht-bald-Kanzler, der den Abend optimal nutzt, um zu sagen: Ich kann Krise.

Was hat er nicht alles falsch gemacht. Erst zu spät reagiert. Dann die Macho-Vorwürfe nach dem "Junge Frau"-Kommentar im Interview mit "Aktuelle Stunde"-Moderatorin Susanne Wieseler. Es ist nicht ganz eindeutig, ob er das so gemeint hat. Es könnte auch sein, dass er in seinem Öcher-Platt-Singsang "Entschuldijung Frau ..." gesagt hat und ihm der Name der Journalistin nicht gleich eingefallen ist.

Die Schuldfrage verwurschtelt Laschet und macht stattdessen souveränen Wahlkampf

Und dann steht Laschet mitten im Geschehen. Nur: Im Hintergrund blitzt auch die Klimakrise, die nicht unbedingt vorteilhaft das Angesicht der CDU beleuchtet.

Illners Redaktion ließ das ursprünglich geplante Thema "Wirtschaft und Außenpolitik" fallen und rief stattdessen einen sechsköpfigen Krisenstab zusammen zur Frage "Regenflut und Hitzerekorde - schutzlos in der Klimakrise?" So viel Flexibilität ist keineswegs selbstverständlich. Der WDR reagierte am Vorabend auf die mehr als 1000 Vermissten, die steigenden Todeszahlen, gefluteten Straßen im eigenen Sendegebiet ähnlich agil wie ein Blauwal in einem Eifelflüsschen. Eine spontane Programmänderung? Wenden unmöglich. Wir bleiben beim geplanten Kurs, irgendwie durchquetschen und lieber die "Sommerhighlights aus dem Münsterland" vom trockenen Ufer senden.

Bevor Armin Laschet und die pessimistische Runde sich der Schuldfrage zuwenden, erinnert er abseits der politischen Frage zum Glück an die Opfer, an die Angehörigen, an die Helfer. Er erzählt von einem Feuerwehrmann, der beim Einsatz starb, von einer leergespülten Wohnung, in der er gerade war. Damit ist der Ton für die Sendung gesetzt.

Die Schuldfrage (Hätte man so eine Katastrophe mit besserer Politik verhindern können?) verwurschtelt Laschet und macht stattdessen souveränen Wahlkampf. "Wir müssen jetzt Wege finden, wie wir ganz schnell alles wieder in Gang setzen hier." Er prahlt mit dem Kohleausstieg ("Das nimmt so viel CO₂ aus der Luft"), plädiert für grünen Wasserstoff, für eine klimaneutrale Industrie, prophezeit Bahn-Projekte. Und betont: "Wir müssen Industrieland bleiben." Illner lässt vieles davon nachsichtig stehen, verabschiedet ihn mit einem "Glück auf" und dass man ihn ja in so einer Situation nicht länger aufhalten wolle. "Vielen Dank für das Verständnis, aber", er stößt die Fäuste aneinander, "man muss in so einem Moment auch hier sein."

Der Frust entlädt sich im Anschluss. Der Konjunktiv II klingt nicht gut vor den Bildern aus Bad Münstereifel. Er spielt das Lied der verpassten Chance: "Man hätte früher gekonnt", "man hätte schon sollen". Es fallen Sätze wie "damals wollte das keiner hören".

Karl Lauterbach lässt sich scheinbar keine Krise entgehen, listet die Sünden der Vergangenheit auf und predigt eine dunkle Zukunft: "Das wird uns die nächsten 80 Jahre begleiten." Dem Arzt, Moderator und Unterstützer der "Scientists for Future" Eckart von Hirschhausen sind die Regeln des gediegenen Talkshow-Schwurbelns herzlich egal, als er sagt: "Die Priorisierung von Wirtschaft geht mir so was von auf den Sack" oder "Unser Hirn ist bei 42 Grad im Arsch."

"Ich weiß, Sie haben einen schweren Stand in Ihrer Partei."

Schließlich fällt der Blick auf Andreas Jung, der recht still im ersten Teil der Sendung blieb. Der Klimaexperte der Union hat die Rolle desjenigen, der zwar immer nüchtern geblieben ist auf den schlimmen Partys, aber halt doch dabei war. Jetzt verteidigt er seine Partei und widerspricht Lauterbach, man müsse erneuerbare Energien nicht nur fördern, sondern sogar "entfesseln". Wobei er nicht sagt, wer sie geknebelt hält. "Ich weiß, Sie haben einen schweren Stand in Ihrer Partei", tröstet die Wirtschaftsforscherin Claudia Kemfert den Löwenhöhlen-Abenteurer.

Mit der ZDF-Meteorologin Katja Horneffer schaltet sich nicht nur ein Hintergrund-Mainz in der Abendsonne zu, sondern auch inmitten der gefühligen Gegenwarts-Schelte präzise und schnell erklärte Fakten: "150 Liter Regen pro Quadratmeter", das habe es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nie gegeben. Sie erklärt den Jetstream, lupft den Unwissenheitsschleier über die Orografie ("Wo der Regen runterkommt ist wichtig") und fasst für die letzte unbekümmerte Hydrologie-mit-Hydraulik-verwechselnde-Frohnatur zusammen: "Zu viel von allem ist immer schlecht."

Die Einzige, die am Ende noch fröhlich in die Runde blickt, ist Maybrit Illner, die wünscht, dass man "knallergesund" bleibt. Eckart von Hirschhausen blickt traurig ins Leere.

Laschet bei "Maybrit Illner": Marlene Knobloch ist freie, streamende Autorin, träumt aber von Fernsehern in Küche und Schlafzimmer. Jeden Sonntag könnte sie dann linear zu den Kommen-Sie-gut-in-die-Woche-Wünschen der Nachtmagazin-Moderatoren mit Tausenden Zuschauern in Deutschland wegdösen. Bis dahin schaut sie beim Kartoffelschälen alte Harald-Schmidt-Folgen auf ihrem Laptop.

Marlene Knobloch ist freie, streamende Autorin, träumt aber von Fernsehern in Küche und Schlafzimmer. Jeden Sonntag könnte sie dann linear zu den Kommen-Sie-gut-in-die-Woche-Wünschen der Nachtmagazin-Moderatoren mit Tausenden Zuschauern in Deutschland wegdösen. Bis dahin schaut sie beim Kartoffelschälen alte Harald-Schmidt-Folgen auf ihrem Laptop.

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