Maybrit Illner:"Wir rudern hier um den heißen Brei herum!"

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"Wieder Winter, wieder kein Plan?" Maybritt Illner und ihre Gäste wissen langsam auch nicht mehr weiter.

(Foto: ZDF/Svea Pietschmann; ZDF/Svea Pietschmann/ZDF/Svea Pietschmann)

Bei Maybrit Illner diskutiert man angesichts der steigenden Zahlen wieder über Corona. Es bleibt eine gesellige Runde von Versäumnis-Memoiren, vorsichtiger Zuversicht und Hätte-Sollte-Könnte-Sätzen.

Von Marlene Knobloch

Es gibt ja die schöne Wiederkehr: Glühweinnasen, tschechische Märchenfilme, der blinkende LED-Elch aus dem Keller. Und dann gibt es: Wieder Winter, wieder Welle, wieder Karl Lauterbach. Letzterer pochte vor der Sendung von Maybrit Illner mit mahnendem Zeigefinger auf die emotionale Schwachstelle der Deutschen: Weihnachten. Das Fest sei in Gefahr, twitterte der SPD-Gesundheitsexperte mit sorgenvollem Blick auf den vom RKI gemeldeten Rekordwert der Neuinfektionen des Vortags.

Man sitzt also sechs Wochen vor Inlands-Völkerwanderung und Kaufrausch vor dunkelroten Flecken auf der Corona-Karte, steigenden Patientenzahlen in den Krankenhäusern und grauen Novembertagen. Und vor einer Coronarunde, zu der Maybrit Illner unter dem Titel "Wieder Winter, wieder kein Plan?" oft gesehene Gäste lädt - und dort oft gehörte Vorschläge hört.

Zwischen Impfdurchbrüchen, Todesfällen in Seniorenheimen, Rekord-Inzidenzwerten und zwei Regierungen sitzt da als Hauptverantwortlicher mit gefalteten Händen der geschäftsführende Kanzleramtsminister Helge Braun im Berliner Studio und fasst die Lage als "noch ärgerlicher als letztes Jahr" zusammen.

Wie schwer es allen Gäste fällt, konkrete Schritte zu diskutieren zeigt sich schon bei der ersten Ja-Nein-Frage. Soll es eine Impflicht für das Pflegepersonal geben? Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen sagt, das sei "eine schwierige Entscheidung". Karl Lauterbach fordert immerhin pragmatisch eine Testpflicht für Pflegekräfte. Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, stellt abwinkend fest, dass sei ja "eine politische Frage" und appelliert an das Verantwortungsbewusstsein der (ungeimpften) Menschen. Der CDU-Landrat Stephan Pusch prescht fassungslos in die Wohlfühl-Debatte mit Lounge-Sound: "Wir rudern hier um den heißen Brei herum!"

In der tiefen Schlucht des Dilemmas

Schließlich entschuldigt sich Kanzleramtsminister Braun in die tiefe Schlucht des Dilemmas: Weil es in Deutschland einen Pflegekraftmangel gibt, fürchte man sich davor, dass die Pflegekräfte kündigen oder wegziehen könnten, wenn die Regierung sie zur Impfung zwingt. Er halte es mit dem "Ausrottungsversuch".

Die Komplexität der Lage erfordert recht bald den Konjunktiv. Große Ziele, die an kleinen Worten scheitern. Helge Braun betont, dass wirklich das "Ärgerlichste" die Sache mit den Ungeimpften sei. Ohne sie hätte man den Winter wunderbar gemeistert. Und als habe die Republik in den vergangenen zwei Jahren im idyllischen Filmset von "Die Mädels vom Immenhof" gelebt, sagt er: "Was wir jetzt machen müssen, ist die Dringlichkeit der Situation deutlich zu machen."

Der CDU-Politiker Stephan Pusch schimpft, man habe das Aussetzen der kostenlosen Tests als "Keule" benutzt. Jetzt ließen sich noch weniger Menschen testen, weil es gar keinen Anreiz mehr gäbe. Überhaupt, heute beim Mittagessen hier in Berlin habe ihn niemand kontrolliert. Das veranlasst Lauterbach zum leiernden Aufschrei: "Ja, das ist ein Riesenskandal!"

Die Schalte zum ZDF-Studioleiter Michael Bewerunge vor den leuchtenden Hochhäusern Tel Avivs wirkt wie ein Diskussions-Booster. Der Journalist erklärt, dass die Auffrischungs-Impfungen in Israel gut funktionieren, es keine Einschränkungen im öffentlichen Leben gegeben hätte, und die Antikörper durch eine dritte Impfung um das 50-fache erhöht worden seien.

Nur Lauterbach zieht nicht mit

Andreas Gassen, hinter dem in Düsseldorf etwas weniger mondän der Rhein schillert, verkündet daraufhin, dass man jetzt zuerst die älteren Menschen impfen müsse, "und dann kriegen wir das auch hin". Auch Christine Falk nickt mit leuchtenden Augen, ja, das kriegen wir hin. Sogar Stephan Pusch sagt: "Ich glaub' auch, dass wir das hinkriegen."

Nur einer zieht nicht mit. Karl Lauterbach erinnert an die unverzichtbare Wiedereröffnung der Impfzentren, zückt die Lauterbachsche Mitternachtsformel, teilt einmal den Optimismus durch die täglichen Praxis-Impfungen mal Tempo minus Widerstand. "Dann wird das zehn Wochen dauern."

Als Illner am Ende fragt, wie das sein könne, dass es im Saarland einen Freedom Day Light gebe und in Baden-Württemberg nur noch PCR-Tests zählen, antwortet Braun mit einem Mittel, das in den vergangenen Monaten stark an Wirksamkeit eingebüßt hat: "Diese Unterschiedlichkeit ruft danach, dass sich die Ministerpräsidenten zusammensetzen." Illner kreischt "Ah, da ist er wieder", Andreas Gassen grinst kopfschüttelnd. Selbst Karl Lauterbach lacht.

Und damit mit Blick zurück in die Zukunft.

Maybrit Illner: Marlene Knobloch ist freie, streamende Autorin, träumt aber von Fernsehern in Küche und Schlafzimmer. Jeden Sonntag könnte sie dann linear zu den Kommen-Sie-gut-in-die-Woche-Wünschen der Nachtmagazin-Moderatoren mit Tausenden Zuschauern in Deutschland wegdösen. Bis dahin schaut sie beim Kartoffelschälen alte Harald-Schmidt-Folgen auf ihrem Laptop.

Marlene Knobloch ist freie, streamende Autorin, träumt aber von Fernsehern in Küche und Schlafzimmer. Jeden Sonntag könnte sie dann linear zu den Kommen-Sie-gut-in-die-Woche-Wünschen der Nachtmagazin-Moderatoren mit Tausenden Zuschauern in Deutschland wegdösen. Bis dahin schaut sie beim Kartoffelschälen alte Harald-Schmidt-Folgen auf ihrem Laptop.

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