Süddeutsche Zeitung

"Maischberger" mit Gesundheitsminister Jens Spahn:Die Lage ist noch nicht außer Kontrolle - Betonung auf "noch"

Jens Spahn steht mit dem Coronavirus vor einer der größten Aufgaben seiner Amtszeit. Bei "Maischberger" gibt er sich als nüchterner Krisenmanager - dann geht es um das Thema Sterbehilfe.

Von Quentin Lichtblau

Jens Spahn ist in letzter Zeit ja vieles, aber keine Stimmungskanone, kein Anheizer, niemand, der die Emotionen hochkochen lässt - der Tonfall stets monoton, beamtig, eine Art, die ihm oft als Mangel ausgelegt wird. Zu blass für den Parteivorsitz der CDU, so waren sich viele einig, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er mit seinem Rückzug in die zweite Reihe hinter Armin Laschet daraus eine eigene Konsequenz gezogen hat: Spahn, der früher durchaus Signale an die stramm konservativen Teile seiner Partei gesendet hatte, gibt sich nun als jemand, der die Gräben wieder zuschaufeln will, als ausgleichende Kraft inmitten der unendlich oft zitierten Spaltung der Gesellschaft - und der CDU.

Mit dem Coronavirus allerdings steht er, der Gesundheitsminister, vor einer der größten Aufgaben seiner Amtszeit, eine zweite Reihe gibt es hier nicht, ein Team auch nicht so wirklich. Als er an diesem Mittwochabend das Studio betritt, weiß er aber möglicherweise bereits, dass ihm seine Nüchternheit, zumindest bei diesem Thema, durchaus behilflich sein könnte: Er passiert die an die Wand geworfenen 3-D-animierten Kugeln, die wohl so etwas wie Coronaviren darstellen sollen, aber dieser Tage je nach Fantasie des Grafikers mal wie ein türkiser Seeigel, mal wie eine feuerrote Seemine aussehen, Hauptsache sehr, sehr bedrohlich. Die Maischberger-Redaktion hat sie zur Sicherheit noch mit einer chinesischen Flagge hinterlegt.

Händeschütteln in Zeiten des Coronavirus

Sandra Maischberger kommt gleich zur Sache, nachdem sie Spahn zur Begrüßung die Hand geschüttelt hat: Dürfe man das denn überhaupt noch, Hände schütteln? Spahn hatte nur wenige Stunden vor der Sendung vom "Beginn einer Coronavirus-Epidemie" in Deutschland gesprochen. Nun wiederholt er geduldig die Grundzüge seines vor wenigen Stunden vorgetragenen Statements, genau so, wie er es kurz zuvor auch in den "Tagesthemen" wiederholt hat: Hände waschen und nicht ins Gesicht fassen helfe wirklich, dann könne man auch noch Hände schütteln. Die Lage sei "noch nicht außer Kontrolle", Betonung auf "noch".

Maischberger hakt weiter nach, sieht sich in ihren Fragen offensichtlich auf der Seite des verängstigen Bürgers, der schon mal die Kellervorräte aufgestockt hat: Könne man nicht mal den kompletten Zugverkehr aussetzen, die Schulen schließen, Screenings an den Grenzen durchsetzen, so was eben. Spahn verwehrt sich derlei Riesen-Maßnahmen, betont den Einzelfall. Man habe ja bereits einzelne Schulen geschlossen. Aber wozu große, nationale Gesten, die man am Ende möglicherweise nur durchführe, um Menschen irgendwie zu beruhigen? Dafür erntet er zwar keinen Szenenapplaus, findet aber dennoch den Mittelweg aus dem Eingeständnis der zunehmend dramatischeren Lage bei gleichzeitiger Panikvermeidung. Politik als reaktives Verwaltungsmanagement, die alte Merkel-Strategie - im Angesicht des noch relativ unergründeten Coronavirus wirkt sie zwar nicht unbedingt beruhigend, aber wohl auch: alternativlos.

Beim zweiten Thema, das ihm an diesem Mittwoch die ein oder andere unruhige Minute beschert haben dürfte, gerät sein Image als nüchtern abwägender Post-Ideologe dann doch noch ins Wanken: Maischberger will nun über die gerade getroffene Entscheidung des Verfassungsgerichts sprechen, den Strafgesetzbuch-Paragrafen 217 zu streichen, der seit 2015 "geschäftsmäßige" Sterbehilfe unter Strafe stellt. Spahn hat als Abgeordneter nicht nur für den Paragrafen gestimmt - ihm untersteht heute auch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Noch 2017 hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass schwerkranke Menschen im Notfall von eben jenem Bundesamt ein tödliches Medikament ausgehändigt bekommen müssen. Auf Weisung Spahns jedoch waren Anträge, die diese Ausgabe eingefordert hatten, in 102 von 133 Fällen abgelehnt worden, die restlichen werden noch bearbeitet, sofern deren Antragsteller noch nicht verstorben sind. In solchen Vorgängen tritt ein anderer Jens Spahn hervor: Einer der eben nicht abwägt, gesellschaftliche Veränderungen nicht nüchtern analysiert - sondern diese streng konservativ zu verhindern sucht.

Überrascht vom Sterbehilfe-Urteil

Auf seine bisher verbohrte Haltung zum Thema angesprochen, scheinen ihm die Fragen wesentlich stärker zuzusetzen als die zur möglichen Corona-Epidemie: Er wolle, so sagt er zum Einstieg ins Thema, "nicht nur rechtlich argumentieren", sondern auch die unterschiedlichen Einzelschicksale berücksichtigen. Als er aber mit genau einem solchen konfrontiert wird, flüchtet er sich doch wieder in Allgemeinplätze: Der 73-jährige Helmut Feldmann wird eingespielt, er hatte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Paragraf 217 StGB geklagt, und ist nun erleichtert über das Urteil - und war außerdem einer der 133 Antragsteller beim Amt für Arzneimittel. "Sie haben sehr wohl entschieden, dass er dieses Medikament nicht bekommen kann, dass er im Zweifel lieber ertragen muss, dass er erstickt", hält Maischberger fest.

Warum er nun pauschal die Anträge habe ablehnen lassen, begründet Spahn mit dem Verweis auf Beamte, die zu ihm gekommen seien, nicht gewusst hätten, wem sie das Mittel nun verabreichen dürfen. "Auf einmal ist es eine politische Entscheidung", sagt Spahn, als seien politische Entscheidungen etwas, vor dem ein Gesundheitsminister eher zurückschrecken müsse. Dann schiebt er noch das Argument hinterher, dass Sterbehilfe nicht zur Gewohnheit, zum Geschäft werden dürfe.

Er selbst habe bei der Verkündung des Verfassungsgerichtsurteils "erstmal schlucken" müssen. Warum sei er so vehement gegen die Sterbehilfe, will Maischberger nun wissen, verweist auf sein katholisches Elternhaus, vielleicht ist es ja das? Spahn verneint, er sei doch kein Ideologe - versucht sich ein letztes Mal auf sein integratives Neu-Image zu berufen, es gebe in dieser Frage ja kein "richtig oder falsch" - nur um direkt danach zu polemisieren: Er zeichnet ein dystopisches Bild von "Schöner Sterben bei uns"-Werbung in Arztpraxen und erzählt von Schwerkranken, die sich im Nachbarland Niederlande für ihr Weiterleben rechtfertigen müssten.

Wenig später - und hier gibt es sogar mal Szenenapplaus - erzählt er in einer offeneren Fragerunde zum wiederholten Male die Legende der deutschen Kellner, die in Berlin-Mitte angeblich alle Englisch sprächen "nur damit's hip ist", skizziert dann die anbrechenden Zwanzigerjahre als eine Zeit ohne Merkel. Das Integrative ist nun endgültig passé und man merkt, dass hier jemand eben doch einen stärkeren Drang zum Höheren hat als er vorgibt. Angesprochen auf Friedrich Merz, der dem Team Laschet/Spahn einen Hang zur Kontinuität gegenüber seinem angeblichen Aufbruch-Kurs unterstellt, sagt er dann: "Bisschen Aufbruch krieg ich auch noch hin."

Nach dem Politiker-Phrasen-Klassiker "Ich bin in die Politik gegangen, weil ich einen Unterschied machen will" kommt dann endlich auch die Frage, ob er nicht doch mal Kanzler werden wolle, Zeit genug habe er mit seinen 39 Jahren ja noch. "Ich bin in meinem Traumjob: Gesundheitsminister", sagt Spahn. Dann zieht er die Lippen nach innen und drückt sie fest aufeinander - und es wirkt so, als würde er gerade verhindern wollen, dass da doch noch eine ganz andere Antwort aus seinem Mund kommt.

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