Süddeutsche Zeitung

Maybrit Illner zur CDU:Sehnsucht nach frischen Köpfen

Lesezeit: 4 min

Vorstandsmitglied Carsten Linnemann aus dem Lager von Friedrich Merz gibt in der Talkshow den jung-dynamischen CDU-Revoluzzer. Ein 86-jähriger Parteiveteran holt ihn runter auf den Boden der Realpolitik.

Nachtkritik von Thomas Hummel

Carsten Linnemann redet schnell, er blickt eindringlich, wirkt jung und dynamisch, dabei ist er auch keine 20 mehr, sondern 42. Wenn Carsten Linnemann sagt, seine CDU brauche "ein paar frische Köpfe" oder auch ein paar "mutige Köpfe", dann ist jedenfalls klar, wenn er damit meint: Typen wie ihn.

Linnemann ist Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU und CSU und gehört dadurch dem Bundesvorstand der CDU an. Er ist einer in der Partei, der zunehmend unruhig auf dem Stuhl hin und her rutscht, weil er mit der Art und Weise wie die Partei geführt wird, immer weniger anfangen kann. Er hat sich vor einem Jahr mächtig für Friedrich Merz im Rennen um den CDU-Vorsitz ins Zeug geworfen und hatte fast Tränen in den Augen, als am Ende Annegret Kramp-Karrenbauer knapp gewann. Doch weil die CDU bei der Landtagswahl in Thüringen zum wiederholten Mal in diesem Jahr mächtige Stimmenverluste erlitten hat, in dem Fall sogar auf Platz drei hinter Linke und AfD abgestürzt ist, wittern die Merzianer wieder Hoffnung auf einen Umsturz. Und Linnemann ist vorne mit dabei.

Insofern ist es folgerichtig, dass er in der ZDF-Talkshow Maybrit Illner die große Fernsehbühne sucht. Das Thema heißt "Zwischen Merkel und Merz - geht die CDU in der Mitte unter?" und Linnemann möchte aus seinem "Herzen keine Mördergrube machen". Also sagt er: "Es bedarf Führungsverantwortung." Angela Merkel sei Kanzlerin, aber sie trage auch das Parteibuch der CDU, also müsse sie deren Positionen einnehmen. Er listet auf, was alles schiefläuft: Energiewende, Eurokrise, Migration - alles ungelöste Probleme. Er fordert eine Aufbruchstimmung und dass Politik wieder Spaß mache. Insofern habe Friedrich Merz seine Kritik zuletzt zwar etwas zugespitzt formuliert. Aber im Grunde habe er Recht.

Zur Erinnerung: Merz sagte, die Untätigkeit und mangelnde Führung der Kanzlerin liege wie ein Nebelteppich auf dem Land. Das Erscheinungsbild der Regierung sei einfach nur grottenschlecht. Er könne sich schlicht nicht vorstellen, dass diese Art des Regierens in Deutschland noch zwei Jahre andauere.

Am runden Tisch bei Maybrit Illner ist Linnemann allerdings der einzige Merz-Verteidiger. Sogar Alexander Marguier vom sehr konservativen Magazin Cicero wirkt so, als seien ihm die Worte peinlich, obwohl er sich zwischendurch als Merz-Anhänger outet. Marguier wundert sich, warum Merz im Vergleich etwa zu den Ministerpräsidenten Markus Söder und Armin Laschet so hohe Zustimmungswerte habe, obwohl er doch derzeit gar nichts leiste. Anja Maier, Redakteurin von der linken Tageszeitung, spricht Merz die Anständigkeit ab. Ursula Münch von der Akademie für politische Bildung in Tutzing erinnert an die alte Rechnung zwischen Merz und Merkel, weil die Kanzlerin den damaligen Fraktionsvorsitzenden 2002 aus dem Amt gedrängt hat. Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler und Publizist, spricht gar von einem Putschversuch gegen Kanzlerin und Parteivorsitzende. Auf die Frage, wohin Merz mit solchen Attacken das Land führen wolle, antwortet von Lucke: "Vor allem in seine Regentschaft." Doch von Lucke prophezeit, dass die derzeitige Lichtgestalt Merz schnell zu einem Glühwürmchen verkommen könnte.

Linnemanns Verteidigung fällt bei so viel Gegenwind inhaltlich etwas mau aus. Warum er sicher sei, dass es Merz nicht nur um Rache und Eitelkeit gehe? "Dafür kenn ich ihn zu lange." Er schaut dabei recht treuherzig, was soll er auch anderes tun. Was sein Auftritt bei Maybrit Illner aber verdeutlicht, ist eine tiefe Überzeugung, es besser zu können als die derzeitige Führung. Linnemann und die Gruppe der Merz-Unterstützer sehnen sich nach einem Wechsel in ihrer Partei in Inhalt und Stil. Weg von dem liberalen, abwartenden, reaktiven Vorgehen Merkels sowie dem eher ausgleichenden, sachlichen - manche meinen damit wohl: weiblichen - Führungsstil Kramp-Karrenbauers. Hin zu einem radikal wirtschaftsfreundlichen, eher lauten und breitbeinigen - manche meinen wohl: männlichen - Führungsstil eines Friedrich Merz. Das ist die Sehnsucht eines Teils der CDU. Dazu gehört der Glaube, man könne mit einer Rückkehr zu mehr Patriarchat auch einen Teil der zur AfD abgewanderten Wähler zurückgewinnen.

Natürlich schweift die Debatte teilweise wieder in Richtung Rechtspopulisten ab, die zuletzt im Osten so viele Erfolge hatte. Während Linnemann und Marguier der eingeübten Sprachregelung folgen, viele seien Protestwähler und eigentlich für die CDU, erklärt von Lucke: "Man muss den Wählern und Wählerinnen unterstellen, dass sie wissen, wen sie gewählt haben." Björn Höcke in Thüringen sei kein normaler Populist, sondern ein Mann, der hart rechtsradikal sei. "Wähler haben eine Verantwortung dafür, was sie gewählt haben." Von Lucke hatte wie so oft in einer Talkshow klare Botschaften dabei (deshalb darf er vermutlich so häufig kommen), aber er trug sie in einem Tempo vor, dem manchmal schwer zu folgen war.

Weil in der CDU Friedrich Merz, 63, und auch der frühere Ministerpräsident Hessens, Roland Koch, 61, fast zeitgleich und gleichlautend ihre Kritik an Merkel und Kramp-Karrenbauer äußerten, war bald die Rede von "alten Männern", die ihren Machtverlust nicht verkraften. Dabei verdeutlicht Bernhard Vogel in der Illner-Sendung, dass man älteren Herren nicht pauschal in einen Topf werfen kann. Der frühere CDU-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen, bald 87 Jahre alt, war mit für die vernünftigsten Wortbeiträge verantwortlich.

Vogel erinnert an die Binsenweisheit, große Koalitionen bergen die Gefahr, dass man sich in der Mitte einige, dass die eigenen Profile abgeschmolzen werden und die Ränder erstarkten. Dem Ansinnen der Merz-freundlichen Jungen Union, die Kanzlerkandidatur per Urwahl der Partei zu entscheiden sei Unsinn, weil die CSU ja auch noch mitreden möchte. Und dem Vorschlag, Kramp-Karrenbauer solle bitteschön Angela Merkel baldmöglichst stürzen und selbst Kanzlerin werden, verwies er ins Reich der Fabeln: Die SPD würde jetzt als Koalitionspartner niemals Kramp-Karrenbauer wählen, sondern eher auf Neuwahlen setzen.

Nur eine Aussage Vogels verwundert: "Ich kenne keine Regierung in den EU-Staaten, die besser das Land regiert als in Deutschland. Keine!" Bei Carsten Linnemann müsste hier Mitleid mit den Nachbarstaaten aufgekommen sein. Denn um im Bild von seinem Freund Friedrich Merz zu bleiben: Was kann schlechter als grottenschlecht sein?

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