Es war keine schöne Woche für Peter Altmaier. Er habe "kein Konzept", müsse "mehr tun" und betreibe "Antimittelstandspolitik". Das haben ihm nicht etwa die Oppositionsparteien an den Kopf geworfen, sondern Unternehmensverbände. Dass ein CDU-Wirtschaftsminister so scharf und direkt von der Wirtschaft kritisiert wird, ist mehr als ungewöhnlich. Da traf es sich gut, dass sich für Altmaier bei Maybrit Illner gleich eine Bühne auftat, um die Seele der Unternehmer zu streicheln und nicht weniger zu verteidigen als die soziale Marktwirtschaft. Unter dem Titel "Wohnungsnot und Wuchermieten - enteignen aus Notwehr?" ließ Illner ihre Gäste darüber diskutieren, ob man großen privaten Unternehmen die Immobilien besser wegnehmen sollte, damit sich wieder mehr Menschen ein Leben in der Stadt leisten können.
Natürlich nicht, findet Altmaier, der ein angriffslustiger und zuweilen auch humorvoller Redner sein kann, an diesem Abend aber weder das eine noch das andere ist. Die Vorschläge seien überflüssig, "DDR-Ideologie" und würden zu weniger Wohnungsbau führen. Boris Palmer kann sich Enteignungen dagegen durchaus vorstellen (so wie sein Parteichef Robert Habeck, nicht so aber wie sein baden-württembergischer Parteifreund Winfried Kretschmann). Während die Berliner noch mit ihrem Volksbegehren beschäftigt sind, könnte der Tübinger Oberbürgermeister die Hauptstadt in Sachen Enteignung tatsächlich noch überholen.
Wenigstens bei der Lagebeschreibung sind alle einig
In seiner Stadt stünden Grundstücke durchschnittlich 30 Jahre lang leer, klagt Palmer. Der Oberbürgermeister will daher mit dem Baugebot, das bereits im Baugesetzbuch verankert ist, Eigentümer dazu bewegen, auf den Grundstücken Wohnungen zu errichten. Wer nicht baut, wird enteignet. "Es sieht so aus, als ob Tübingen die erste Stadt sein wird, die das macht", kündigt Palmer in der Sendung an.
Wohnungsnot:Planen, bauen, Mieter schützen
Die Politik könnte an der Wohnungsmisere einiges ändern, es müssten nicht gleich Enteignungen sein. Vielmehr gäbe es mehrere Punkte, an denen sie sofort ansetzen könnte.
Die aktuelle Lage, darüber zumindest ist sich die Runde einig, ist düster. Manche seiner Einwohner berichteten, dass sich die Miete verdreifacht habe, berichtet der Tübinger OB. Ein Grund sei nicht nur die gestiegene Nachfrage, sondern auch die Niedrigzinspolitik. "Das Kapital strömt in Massen in die Immobilien", sagt Palmer. Weil Käufer immer mehr Geld für die Häuser ausgeben, steigen auch die Mieten. "Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts mehr zu tun", sagt der Tübinger OB, "das ist Raubtierkapitalismus." Und den sollte man einhegen.
Auch Rouzbeh Taheri ist auf Raubtier-Jagd. Der Initiator des Volksbegehrens "Deutsche Wohnen & Co enteignen" berichtet, dass die Berliner jetzt "die Schnauze voll" hätten. Viele Menschen könnten nicht mehr schlafen, weil sie Angst um ihr Zuhause hätten. Wenige Investoren machten große Gewinne auf Kosten der Mieter. Für private Wohnungsunternehmen, die den Berliner Aufstand bisher eher für ein Unwetter gehalten haben, das schon bald wieder vorbeizieht, hat Taheri schlechte Nachrichten. Natürlich wolle man provozieren, "aber wir wollen das auch tatsächlich machen". Enteignungen würden ja regelmäßig gemacht, zum Beispiel für die Braunkohle. "Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil", sagt Taheri. Ob diese wenig feine Methode allerdings mit dem Grundgesetz vereinbar ist, bleibt freilich auch in der Runde umstritten. Auch Boris Palmer kann Taheri da nicht Mut machen, wünscht ihm aber "trotzdem viel Glück".
Vergrault die Debatte Investoren?
Mancher Hauseigentümer mag da vielleicht mit einem gewissen Grusel vor dem Fernseher gesessen haben: Bin ich der nächste? Nein, beruhigt Taheri, es gehe nicht um kleine Vermieter und das Häuschen von der Oma, sondern nur um Großkonzerne, "die zu den Haupttreibern der Mietpreise" gehörten. Doch was bringt das alles? Oder auch: Welchen Schaden kann das anrichten? Darüber wurde leider nur wenig diskutiert. Das Land Berlin hätte auf jeden Fall jede Menge neue Schulden, weil man die Wohnungsunternehmen natürlich entschädigen müsste, betont Maren Kern vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. Statt Wohnungen zu kaufen, sollte man lieber welche bauen. Als Vertreterin der Immobilienwirtschaft sorgt sie sich auch darum, dass mal wieder alle Unternehmen in einen Topf geworfen und als Spekulanten und Miethaie verunglimpft werden. Es gebe aber viele Vermieter, die "total gut agieren", sich für die Stabilisierung der Kieze einsetzen und günstige Mieten anbieten.
Genau wie der Wirtschaftsminister fürchtet Kern, dass die Enteignungsdebatte nicht nur "die Bevölkerung in große Aufregung" versetzt, sondern auch Investoren vergrault. Weniger Investoren? Das muss offenbar nicht unbedingt ein Problem sein. Man könne nichts Besseres machen, als Finanzinvestoren zu verschrecken, meint Janine Wissler, stellvertretende Parteivorsitzende der Linken. Der freie Markt könne es nicht richten. Mehr Wohnungsbau mit weniger Geld - für Altmaier geht die Rechnung nicht auf. "Es gibt zu wenig Wohnungen", sagt Altmaier, "wir wollen mehr bauen". Ein gutes Beispiel hat der Wirtschaftsminister da auch parat. Was Tübingen geschafft habe, charmiert er in Richtung OB, sei "beeindruckend".
Altmaier rettet die Wirtschaft - und sich selbst
Und selbst in Tübingen könnte alles noch viel besser sein. Aber "in meinem Büro stapeln sich Gesetze, die sinnlos sind", stöhnt der OB. Da schlägt der Wirtschaftsminister Palmer prompt vor, das Problem auf dem kurzen Dienstweg zu lösen. "Wir treffen uns in meinem Büro und verständigen uns darauf, was Sie abschaffen wollen", schlägt Altmaier dem Tübinger OB vor, "und ich organisiere die Stimmen meiner Fraktion". Wenn das gelänge, würde Palmer den Wirtschaftsminister sogar "vergöttern".
Doch zu dieser Anbetung wird es wohl eher nicht kommen. Denn unter den Bundesministerien, die bei der Wohnungspolitik mitreden dürfen, hat das Wirtschaftsministerium am wenigsten zu sagen. Und Bau- und Innenminister Horst Seehofer macht sich traditionell rar, wenn es um das Thema Wohnen geht. "Ich finde es ein bisschen schade, dass der Wohnungsminister nicht hier ist", bemerkt Linken-Politikerin Wissler. Vielleicht hätte man dann darüber diskutieren können, warum es in der Wohnungspolitik seit Jahren kein Erkenntnis-, sondern vor allem ein Umsetzungsproblem gebe. So durfte Peter Altmaier versuchen, nicht nur die deutsche Wirtschaft vor dem Sozialismus zu retten, sondern irgendwie auch sich selbst.