Süddeutsche Zeitung

Civis-Medienpreis für jungen Filmemacher:"Niemand kennt 'n Heilmittel gegen den Scheiß"

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Der 29-jährige Arkadij Khaet leistet mit dem Film "Masel Tov Cocktail" den wohl besten Beitrag zum Thema Antisemitismus dieser Tage - und braucht dafür nur eine halbe Stunde.

Von Theresa Hein

Warum enden nicht mehr Filme mit diesem "Uff"-Gefühl, das man, wenn der Abspann von "Masel Tov Cocktail" über den Schirm läuft, irgendwo zwischen Luftröhre und Zwerchfell spürt? Und überhaupt - wer braucht langsame Erzähltechniken, wenn es Menschen gibt, die in einer halben Stunde fast alles sagen können, was wichtig ist?

Allzu viel will man über diesen Film gar nicht verraten, aus Angst, man könnte ihm etwas von seiner Kraft nehmen. Aber ein bisschen was muss sein: Dimitrij "Dima" Liebermann ist Jude und hat in der Schule Tobias eins auf die Mütze gegeben, weil der antisemitische Ressentiments geäußert hat. Wobei das zu hochtrabende Worte sind, für das, was der Jugendliche sich geleistet hat: Recht drastisch hat der "Schulkamerad" pantomimisch dargestellt, was "man früher" mit Juden gemacht hätte. Und Dima ist ausgeflippt.

Seitdem ist die Nase von Tobias gebrochen und Dima eine Woche von der Schule beurlaubt. Dimas Eltern, die in den Neunzigerjahren von Russland nach Deutschland gekommen sind, finden, ihr Sohn solle sich am besten mit einem Blumenstrauß entschuldigen und außerdem sei ihr Sohn kein Rowdy. Es folgen eindringliche, aber zutiefst unterhaltsame 30 Minuten darüber, was es heißt, in Deutschland als Jude aufzuwachsen, inklusive belämmerte Tipps von überforderten Pädagogen und Fremdscham-Momenten mit Gleichaltrigen.

Dimas Opa lässt sich von neuen Rechten beeindrucken

Was macht diesen Film so beeindruckend? Da ist einerseits diese Auf-die-Zwölf-Regie, die sich Arkadij Khaet mit seinem früheren Filmhochschulkollegen Mickey Paatzsch geteilt hat - knappe Szenen, in denen genau so viel europäische Geschichte verhandelt wird wie nötig, außerdem die fällige Kulturkritik an jüdischen Schwarz-Weiß-Darstellungen. Hinzu kommt das Drehbuch von Arkadij Khaet und Merle Kirchhoff, in dem Sätze fallen wie: "Antisemitismus ist wie Herpes. Niemand kennt 'n Heilmittel gegen den Scheiß, man klebt kleine Pflaster auf die Eiterblasen und hofft, dass er schnell wieder verschwindet." Aber auch die kleinen, ironischen und doch schmerzhaften Szenen beeindrucken - etwa die Begegnung von Dimas Opa mit einem neuen Rechten (mit Herpes!), der mit ihm über den Kampf gegen den "arabisch importierten Antisemitismus" spricht, woraufhin Dima seinen Opa an der Hand nimmt, ihn auf die Wange küsst und geht.

Die Kameraführung von Nikolaus Schreiber ist alles andere als unauffällig und schiebt sich wie ein zweiter Protagonist in die Erzählung, ein lauter Verbündeter der Hauptfigur. Und da ist natürlich noch die personifizierte Wucht von der ersten Sekunde an: Hauptdarsteller Alexander Wertmann spielt den 16-jährigen Dima, der einfach nur seine Ruhe haben will und sich mit Identitätszuschreibungen rumschlagen muss, glaubwürdig und einfühlsam. Die Identitätssuche, eigentlich ein konfessionsübergreifendes Problem von Jugendlichen, das sich als junger Jude in Deutschland aber, wie man in diesem Film sieht, ins Unerträgliche steigern kann. Die Grundfrage: Wie soll man das aushalten?

Völlig zu Recht ist das halbstündige Filmprojekt von Arkadij Khaet am Freitag mit gleich zwei Preisen der Civis-Medienstiftung ausgezeichnet worden. "Masel Tov Cocktail" ist ein kleines Wunder, so unpeinlich, so authentisch, so schön und schrecklich anzusehen. Hier hat ein fähiges Team an jungen Menschen ein Kunstwerk aus der Alltäglichkeit des vermeintlich schon hundertmal Erzählten heraus geschaffen.

Masel Tov Cocktail in der Arte Mediathek

Civis-Preisverleihung und Gespräch mit Arkadij Khaet in der ARD Mediathek

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