Rückzug von Harald Martenstein:Unten ohne, woanders mit

Rückzug von Harald Martenstein: Kritisch - auch mit dem eigenen Kolumnisten: Vom "Tagesspiegel" ist Harald Martenstein deshalb zur "Welt" gewechselt.

Kritisch - auch mit dem eigenen Kolumnisten: Vom "Tagesspiegel" ist Harald Martenstein deshalb zur "Welt" gewechselt.

(Foto: Schoening via www.imago-images.de/imago images/Schöning)

Nach einem Streit erschien nun die erste Sonntagsausgabe des "Tagesspiegel" ohne Martenstein-Kolumne - dafür fand sich eine in der "Welt am Sonntag". Alles klar?

Von Moritz Baumstieger und Gerhard Matzig

"Eine tektonische Verschiebung" meldet Sigmar Gabriel auf der Tagesspiegel-Titelseite vom Sonntag. Er meint aber nicht den Rückzug von Martenstein in seiner Eigenschaft als Kolumnist, sondern den Feldzug von Putin in seiner Eigenschaft als Terrorist. Überhaupt befindet sich viel Putin auf der Seite eins: "Der Blick auf Putin", "Putins Ritterschlag von Spandau". Null Martenstein. Umgekehrt wäre die Welt besser dran.

Wie berichtet hat Martenstein das Tragen von "Judensternen" auf Corona-Demonstrationen in seiner sonntäglichen Kolumne zwar als "schwer auszuhalten", aber auch als "sicher nicht: antisemitisch" beschrieben. Daraufhin distanzierte sich die empörte Chefredaktion von dem Beitrag. Was Martenstein empörte, der sich daraufhin vom Tagesspiegel distanzierte. Er schreibt seit den Achtzigerjahren für die Zeitung.

Rückzug von Harald Martenstein: Von nun an nur noch Leser: Harald Martenstein und "Der Tagesspiegel".

Von nun an nur noch Leser: Harald Martenstein und "Der Tagesspiegel".

(Foto: imago stock&people/imago/Gerhard Leber)

Der Fall Martenstein ist kein Fall Billy und kein Fall Gardeners' Question Time (GQT). Als Ikea das Billy-Regal aus dem Programm nehmen wollte, schaltete sich Helmut Schmidt ein: "Ohne Billy bleibt ihr auf eurem Kiefernplunder sitzen." Und als die BBC darüber nachdachte, einer irren Eingebung folgend, die seit 1947 wöchentlich produzierte Hobbygärtner-Sendung GQT gärtnerisch fachgerecht zurückzuschneiden, kam es zu einem Aufstand. Ikea und die BBC wurden seinerzeit in die Knie gezwungen. Vom Sturm auf den Tagesspiegel ist bislang nichts zu hören.

Langjährige Ehen gehen immer öfter in die Brüche

Vielleicht auch, weil Harald Martenstein nun woanders schreibt. An dem Tag, an dem sich die Titelseite des Tagesspiegels durch Martensteinlosigkeit auszeichnete, erschien in der Welt am Sonntag ein ganzseitiger Text von: Harald Martenstein. "Ich bin nicht wichtig", ist der Artikel übertitelt. "Nach Nationalismus und Kommunismus wächst eine neue totalitäre Ideologie heran", ist in Versalien eingeblockt. Darüber, ähnlich wie im Tagesspiegel, eine Zeichnung. Sie zeigt Kolumnist Martenstein als Fels in der Brandung und Handke-Lookalike, als alten weißen Mann.

Schon seine Abschiedszeilen nach fast 34 Jahren beim Tagesspiegel hatte Martenstein zur Eigenwerbung genutzt: "Wer meinen Sound gemocht hat, sollte regelmäßig die Wochenzeitung Die Zeit aufschlagen, dort findet man mich im Magazin." Der Fels in der Brandung versteht von vielen Dingen etwas. Auch vom Beleidigtsein und vom Marketing. Und nun erklärt der Autor beim Springer-Verlag: Den Umgang mit seinem und weiteren Fällen "konnte man als Aufforderung verstehen, diese Autoren aus dem öffentlichen Diskurs zu entfernen". Er bezog sich dabei auch auf einen SZ-Kommentar, in dem es in Hinblick auch auf Martensteins Text geheißen hatte: "..."Nicht mal ignorieren" ist hier leider nicht mehr genug."

Don Alphonso, selbst ein polarisierender Welt-Kolumnist, hieß den neuen Mitarbeiter im Netz euphorisch willkommen. Auch er hatte einst für ein anderes Blatt geschrieben, bevor er zur Welt wechselte, wie auch für andere Kolumnisten das Blatt von Ulf Poschardt zum Rückzugsort wurde. Wie gefährlich es da angeblich draußen in der restlichen Medienwelt mittlerweile zugeht, erklärte Martenstein seinen neuen Kollegen in seinem Premierentext so: "Niemand ist mehr sicher, auch dann nicht, wenn zahlreiche Blechorden in Form von Journalistenpreisen an der Brust baumeln".

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