Helmut Markwort:Dieses Gesicht kann keinen enttäuschen

17 Jahre der große Chef eines Nachrichtenmagazins, und jetzt der Tod im "Jedermann": Das neue Leben des "Focus"-Gründers Helmut Markwort hat begonnen.

Ch. M. Berr

Es ist Montag, Focus-Tag. Das Nachrichtenmagazin erscheint mit zwei Titelgeschichten, eine über Karl-Theodor zu Guttenberg, eine über das deutsche Gymnasium. Und wie immer seit dem Start im Januar 1993 steht ganz vorne das "Tagebuch" des Chefredakteurs und Herausgebers. Aber es ist nichts "wie immer" bei dem Blatt, das einst eine Presse-Sensation war und das dem großen alten Spiegel wirtschaftlich zusetzte.

Helmut Markwort zieht in Frankfurt einen Sarg hinter sich her. Mit seinem hellblauem Hemd und der beigen Hose wirkt er wie ein Tourist im Toskana-Theater-Workshop. Er sei im Urlaub, erklärt der Mann, der offiziell noch bis September Chefredakteur von Focus ist und der an diesem Samstag mit dem hessischen Jedermann am Frankfurter Volkstheater Premiere hat.

Markwort spielt den Tod.

Fast schmollend schiebt der barocke Medienstar seine Unterlippe vor. Soeben, als er in seinem kleinen, ruhigen Frankfurter Appartement den Text lernte, konnte er ihn noch. Aber jetzt sitzt Markwort auf einem schwarz angemalten Sarg. Um ihn herum turnen Schauspieler über die drei Podeste, aus denen die Bühne besteht. Helmut Markwort muss aufpassen, wo er hintritt, das Gelände im Archäologischen Garten am Frankfurter Dom ist voller Stolperfallen.

Am Rand der Bühne haben sich Schaulustige versammelt. Markwort diskutiert zwischendurch mal mit dem Gärtner, wie viele Äste noch abgesägt werden sollen, damit alle Zuschauer etwas sehen können. Über ihm krähen Vögel - Sind es Raben? Sind es Krähen? - und der Wind kracht in den Mikroports. Von der Vormittagsprobe in der Gluthitze ist der Focus-Gründer noch etwas geschafft. Alles "Ablenkungsmomente", wie Markwort das nennt.

Ablenkungsmomente ist der 73-Jährige nicht gewohnt. Normalerweise ist alles auf ihn konzentriert. Er ist seit 17 Jahren Focus gewesen, stets eng an der Seite von Verleger Hubert Burda. Er war die gefeierte Legende der deutschen Blattmacherei, der nach seinen frühen Chefredakteurs-Tagen bei Burda Bild + Funk dann für den katholischen Sebaldus-Verlag ein Objekt nach dem anderen erfand, von Die Aktuelle bis Ein Herz für Tiere. Er war der Investor mit dem guten Riecher, der sich früh in den achtziger Jahren an florierenden Privatradios beteiligt. Und jetzt macht er für zwölf Tage Theater, ein neues Leben nach dem Stress der vielen Focus-Chef-Jahre, was womöglich der Einstieg in den aktiven Ruhestand sein könnte.

Helmut Markwort hat eine neue Herausforderung für sich entdeckt: Er will sich unterordnen. "Es ist mein Ehrgeiz, mich völlig in das Ensemble einzufügen", sagt er.

Es ist eine Freilichtaufführung, die viel fordert, gespielt wird bei jedem Wetter. "Theaterspielen ist eine Liebhaberei", erklärt Burdas "Erster Journalist", der bisher schon den Datterich gegeben hat und dessen journalistisches Vorbild einst der große Theaterkritiker Georg Hensel war. Er hatte schon öfter kleine Gastauftritte, "Cameos", wie er es nennt.

Seit 1. Juli macht operativ ein anderer, Wolfram Weimer, als Chefredakteur den Focus. Markwort hat nun viel Zeit, das sagt er selbst. Kein Golfen, kein Wandern, kein Tauchen, erklärt der Zeitschriften-Gründer über das Problem, sich zu beschäftigen. Dann doch lieber Theater.

Momentan sieht sein Alltag so aus: Morgens Proben, abends Proben, dazwischen Text lernen und im Frankfurter Focus-Büro auftauchen. Abschalten ist nichts für den Workaholic, und die Geschäfte anderen zu überlassen, ist naturgemäß auch schwer. "Fakten, Fakten, Fakten", hatte Helmut Markwort als Parole ausgegeben, doch sein Nachfolger Weimer hatte zum Amtsantritt erklärt: Es müsse eher "Relevanz! Relevanz! Relevanz!" heißen. "Da ist Weimer missverstanden worden", kommentiert Markwort das Geschehen. "Focus muss natürlich ein Faktenmagazin bleiben."

Der Regisseur Wolfgang Kaus hat ihn als Tod besetzt, weil der gebürtige Darmstädter Hessisch spricht, weil er als B-Promi Werbung ist und weil Helmut Markwort schauspielern kann. Das habe der Regisseur im Gefühl gehabt, erklärt er, er habe das in Markworts Gesicht gesehen. "Da ist so viel Trauer drin und so viel Freude - so ein Gesicht kann nicht enttäuschen."

Das Gesicht, das nicht enttäuschen kann, ist auf der Bühne ziemlich regungslos. Er spielt nicht, all die Freude, all die Trauer, die er in sich hat, trägt er nicht nach außen. Es ist das einzig Richtige, was Markwort tun kann.

Er ist eben kein Schauspieler, er ist ein schauspielernder Journalist. Er vertraut auf seine natürliche, physische Präsenz (Regisseur Kaus: "Er hat was Kulinarisches.") und auf das, was ihn durch sein gesamtes Berufsleben mitgetragen hat: seine Autorität. Er tut das nicht bewusst, es passiert ihm. Und das ist schon etwas sehr Erstaunliches für einen Kopfmenschen wie Markwort, der zu Hause eine DVD mit zahlreichen Tod-Darstellungen aus dem Salzburger Jedermann hat. Er findet einige übertrieben und sagt, er habe Jens Harzers "sadistische Interpretation vom Tod nicht verstanden".

Markworts Tod ist einer, der sein Geschäft versteht, der das Sterben anderer konsequent als seinen eigenen Job begreift. Es rührt ihn nicht, wenn einer das Zeitliche segnet, es freut ihn auch nicht. Das Leben der anderen ist diesem Tod gleichgültig. Nur einmal, wenn der Jedermann um Aufschub bittet, wird er streng, die flache Hand fährt durch die Luft, er sticht energisch mit dem Zeigefinger durch die Luft. Ungehorsam kann der Tod nicht leiden - und es ist Markworts stärkste Szene.

Es sind noch fünf Tage bis zur Premiere des mittelalterlichen Mysterienspiels, das nie so recht in einen Dramen-Kanon passen will, aber unbedingt hineingehört. Viele Autoren haben das Werk umgeschrieben - und neu geschrieben. In Frankfurt wird die hessische Fassung von Fitzgerald Kusz gespielt, der Regisseur hat noch mal umformuliert.

Den Text kann Markwort, wenn er irgendwo sitzt und die Rolle memoriert. Auf der Bühne ist alles anders. Neben der Bühne hängt seine schwarze Ledertasche, in der sind Textblätter, die er immer wieder mal anguckt. Es ist schwer, sich alles zu merken - und vorzutragen. Doch er ist stolz auf seine Leistung: "Meine Diktion, meinen Sprechrhythmus, das habe ich mir alles selbst erarbeitet", erklärt er.

Hier in Frankfurt will er sich nur auf das Spiel konzentrieren, und doch es gibt etwas, das ihn dabei manchmal ablenkt. Während der Jedermann-Proben guckt er schon mal auf sein Mobiltelefon. Es ist die Verbindung zu München, zum Focus, zu Burda. Markwort kann nicht ohne. Nach der Probe telefoniert er während des Gesprächs zwischendurch mit der Focus-Verlagsleitung. Es geht um eine Personalie. Soeben haben beim Nachrichtenmagazin 40 Leute ihre Abfindungsangebote bekommen. Dem Focus geht es so schlecht nicht, könnte das heißen, und: Markwort ist in München gefragt, egal, was andere sagen.

Wenig später greift der Gründer wieder zu seinem Handy. Er telefoniert mit Hubert Burda. Es geht um den Münchner Klinikskandal. Die beiden Herren regen sich mächtig auf. "Ich verfolge das täglich, als Hypochonder regt mich das ja auch wahnsinnig auf", erklärt Markwort. Er telefoniere, so sagt er, täglich mit dem Verleger. "Wir behandeln uns wie zwei rohe Eier", erklärt er den Umgang miteinander. Burda und Markwort siezen sich.

"Ich sitze weiterhin mittendrin"

Markwort siezt sich mit allen: "Ich denke ja, mit dem Duzen fängt der Kommunismus an." Selbst seine Partnerin, die Bunte-Chefin Patricia Riekel, spricht er bisweilen mit Frau Riekel an. Warum auch nicht? Markwort fällt Sartre und Simone de Beauvoir ein: Das philosophisch-existentialistische Paar habe sich schließlich auch gesiezt. Unter Schauspielerin ist Siezen absolut unüblich, doch hier in Frankfurt siezen alle den Tod-Darsteller. Vielleicht muss er das jetzt doch mal ändern? Herr Markwort grüßt vom Frankfurter Domplatz noch in die Münchner Konzernzentrale zu Hubert Burda hinein. "Das ist eine sehr ernste Sache hier", erklärt er dem Verleger.

Helmut Markwort: Der Tod (Markwort, links) und der Jedermann (Ralf Bauer, rechts): Keine Diskussion, der Tod hat das letzte Wort.

Der Tod (Markwort, links) und der Jedermann (Ralf Bauer, rechts): Keine Diskussion, der Tod hat das letzte Wort.

(Foto: online.sdemedien)

Das größte Manko an der neuen Rolle Markworts ist der Ort. Frankfurt ist eben kein Burda-Zentralplatz. Eine Rolle in Berlin hat er abgesagt. Woran es liegt? Keine Zeit, meint Markwort. Berlin ist auch kein Burda-Zentralplatz. Helmut Markwort will weiterhin im Stammhaus in der Münchner Arabellastraße seine Kontakte pflegen, das soll sich nach dem offiziellen Ende der Chefredaktionszeit nicht ändern. "Ich sitze weiterhin mittendrin. Jeder kann zu mir reinkommen, meine Tür ist offen", erklärt er. Sekretärin, Auto, was nicht alles, werden ihm bleiben. Er möchte mitwirken, und seinen neuen Posten deutet er gleich einmal um: "Ich will ja nicht nur Herausgeber sein, sondern auch ein Hineingeber."

Doch erst einmal der Tod in Frankfurt. Am Samstag ist Premiere. Wolfram Weimer will, so sagt Markwort, die Aufführung vom Jedermann ansehen. Und Hubert Burda? Er habe ihn nicht eingeladen, er möchte ihn nicht unter Druck setzen. Es kommen auch so genug aus München. Zum Beispiel Patricia Riekel, die in der Bunten eine ganze Seite fürs Frankfurter Volkstheater freigeräumt hat: "Jetzt babbelt der Tod Hessisch - Ralf Bauer & Helmut Markwort sind die Stars beim Frankfurter Jedermann." Oder es kommen die Schauspieler Lambert Hamel und Oliver Nägele, und auch FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher wird da sein.

Ist der Mann aus München nervös? "Lampenfieber ist gar kein Ausdruck, Stress hab ich! Was da alles passieren kann - ich hab da zu viel Phantasie."

Der Regisseur will, dass niemand vor dem Tod Angst hat. Helmut Markwort aber findet, vor seinem Tod solle man schon ein bisschen Angst haben. Alle werden ihn hören, wie er sagt: "Lieber Gott, mir geht keiner durch die Lappen!" Oder: "Ich fürcht mich vor keinem!" Oder: "Mit mir kannste net handeln." Oder: "Ich meld mich selten vorher an." Und schließlich: "Meinetwegen geh ich jetzt, aber in a Stund bin ich wieder da."

Honni soit qui mal y pense, und auch Wolfram Weimer sollte bei solchen Sätzen nicht an seinen aktuellen Job denken.

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