Mark Thompson wird Chef der "New York Times":Brite mit Mission

BBC-Direktor Mark Thompson wird überraschend Chef der "New York Times". In London hat er ein exzellentes Onlinekonzept entwickelt. Jetzt soll er die digitale Zukunft der Zeitung sichern. Konfliktfrei wird das wohl nicht ablaufen - und dann ist da noch ein alter Lieblingsfeind.

Nikolaus Piper

Eine Überraschung, eine Richtungsentscheidung und vor allem ein gewagtes Experiment: Nach über einem halben Jahr Vakanz an der Spitze bekommt die altehrwürdige New York Times einen neuen Vorstandschef - er stammt nicht nur aus einem anderen Land, sondern auch aus einer anderen Branche und einer anderen Unternehmenskultur: Mark Thompson, 55, ist bisher Direktor der britischen öffentlichen Rundfunkgesellschaft BBC; er lebt mit Frau und drei Kindern in Oxford und hat zuvor weder in einem börsennotierten Unternehmen noch unter einem eigenwilligen Verleger gearbeitet. Voraussichtlich im November wird Thompson den Posten an der Spitze von Times Co. an Manhattans achter Avenue übernehmen.

File photo of Thompson posing for media on visit to Media City in Salford

BBC-Direktor Mark Thompsons letzter Job in London war die Berichterstattung über die Olympischen Spiele. Jetzt wechselt er zur "New York Times".

(Foto: Reuters)

Vorgängerin Janet Robinson war im vergangenen Dezember im Unfrieden ausgeschieden. Thompson seinerseits hatte schon vor Monaten angekündigt, er wolle die BBC nach den Olympischen Spielen verlassen. An diesem Dienstag, zwei Tage nach der Schlussfeier, gab Verleger Arthur Sulzberger seine Entscheidung bekannt: "Mark ist ein begabter Manager", so hieß es in einer Erklärung Sulzbergers. "Seine Arbeit an der Spitze der BBC trug dazu bei, dass deren angesehene Markenidentität auf neue digitale Produkte und Dienstleistungen auszudehnen."

Damit ist klar, um was es bei dem Experiment "Ein BBC-Direktor bei der Grey Lady" geht: das Digitalkonzept der Times auszubauen und das Medienhaus so dauerhaft profitabel zu machen. Anders als die meisten CEOs amerikanischer Medienunternehmen ist Thompson Journalist. Bei der BBC arbeitet er, mit einer kurzen Unterbrechung, seit 1979. Generaldirektor und damit Chef von 20 000 Mitarbeitern wurde er 2004. Seit dieser Zeit baute er das Internet-Angebot massiv aus - begleitet von der gelegentlich neidvollen Bewunderung anderer Medien, darunter auch ARD und ZDF in Deutschland.

Besonders das digitale Angebot der BBC zu Olympia in London wurde von Nutzern und Experten hochgelobt. "Was die BBC auf digitalem und interaktivem Gebiet getan hat, besonders während der Olympischen Spiele, war schon extrem gut", sagte der Analyst Ian Whittacker von Liberum Capital in London. Wobei die New York Times ihn mit dem Nachsatz zitiert: "Mark Thompson musste auch nie um Anzeigen- und Vertriebserlöse kämpfen."

Verluste bei der Times

Genau das wird sich in New York ändern. Verleger Sulzberger begann im vergangenen Jahr seine neue Digitalstrategie: Der Inhalt des Internetauftritts der Times ist nicht mehr frei. Wer mehr als zehn Artikel liest und kein Abonnent ist, stößt an eine Bezahlschranke. Die kostenpflichtige Digitalausgabe ist, wenigstens journalistisch, ein großer Erfolg: 532.000 Leser haben das Angebot inzwischen abonniert, ein Plus von 13 Prozent gegenüber dem vergangenen März, als die neue Strategie ein Jahr alt geworden war. Wirtschaftlich ist das Ergebnis noch offen - die Anzeigenerlöse im Internet sind leicht gesunken, wie im Rest der Branche. Grund dürfte die enttäuschende Konjunktur in den USA sein. Die Anzeigen- und Vertriebserlöse der Druckausgabe gingen deutlich stärker zurück.

Im zweiten Quartal erwirtschaftete die Times einen operativen Verlust von 143,6 Millionen Dollar, verglichen mit 31,5 Millionen Dollar vor einem Jahr. Ursache ist aber nicht die digitale Ausgabe selbst, sondern ein missglückter Ausflug in andere Branchen: Das Informationsportal "About" produzierte nicht weniger als 188 Millionen Dollar Verlust und soll jetzt verkauft werden. Die Aktionäre immerhin sind vorsichtig optimistisch: Der Kurs der Times-Aktie stieg im Laufe dieses Jahres um 18 Prozent.

Thompson soll nun die digitale Zukunft der Times sichern. Verleger Sulzberger sagte in einem Interview der eigenen Zeitung: "Wir haben Leute, die etwas von Print verstehen; es sind die Besten der Branche. Wir haben auch Leute, die etwas von Anzeigen verstehen, es sind die Besten der Branche. Aber unsere Zukunft liegt bei Video, sozialen Medien und mobilen Diensten."

Harte Einschnitte

Will Thompson das Ziel des Verlegers erreichen, wird er harte Einschnitte nicht vermeiden können. Die neue Chefredakteurin der Times, Jil Abramson, hatte bereits im Oktober ein Abfindungsangebot für 20 Redakteure unterbreitet. Die Journalistengewerkschaft musste Abstrichen bei den Pensionen für ihre Mitarbeiter zustimmen.

Thompsons Amtszeit dürfte alles andere als konfliktfrei werden. Bei seinem Verlegern und den Angestellten der Times dürfte dem BBC-Mann ein Umstand helfen: Er gilt als eingeschworener Gegner von Rupert Murdoch. Mit ihm stritt er sich in London über Rundfunkgebühren, in New York kann er jetzt Murdochs Angriffe auf die Times, etwa mittels einer Lokalausgabe seines Wall Street Journals, abwehren. Einen Vertrauensvorschuss in dieser Hinsicht hat er schon.

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