Süddeutsche Zeitung

Press Freedom Award:"Ich konnte nicht mehr ertragen, was war"

  • Nach dem Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia vor zwei Jahren führt eine ehemalige Kollegin Galizias Arbeit weiter: Caroline Muscat.
  • Die Journalistin schmiss ihren Job hin und gründete mit Hilfe von Spendengeldern das Informationsportal The Shift News.
  • Für ihr Engagement wird sie nun von Reporter ohne Grenzen mit dem Press Freedom Award in der Kaegorie "Unabhängigkeit" ausgezeichnet.

Von Verena Mayer

Das Erste, was ihr Tag bringt, ist Hass. Kaum öffnet Caroline Muscat morgens ihr Mail-Postfach, sieht sie Beschimpfungen und Drohungen. Sie sind gegen sie als Frau gerichtet, Muscat wird öfter mal als Schlampe oder Hexe bezeichnet. Vor allem aber wird sie als Journalistin attackiert. Viele E-Mails kommen von Leuten, die dem Staat oder der Regierung nahestehen.

Das klingt wie eine Geschichte aus einem fernen Regime, ist aber Alltag in der Europäischen Union. Genauer gesagt in Malta. Die Insel steht seit 2017 durch den Auftragsmord an einer Journalistin im Licht der Weltöffentlichkeit. Da starb Daphne Caruana Galizia bei einem Bombenanschlag. Noch immer ist nicht klar, wer hinter der Tat steckt. Fest steht nur, dass Galizia viele Feinde hatte. Die 53-Jährige berichtete auf ihrem Blog über organisierte Kriminalität und politische Korruption. Und sie gehörte zu jenem internationalen Rechercheteam, das die Panama Papers ausgewertet und aufgedeckt hatte, wie Staatschefs, Sportstars und Diktatoren ihr Vermögen vor den Behörden versteckten. Spuren führten auch nach Malta.

Der Mord an Daphne Caruana Galizia ist bis heute ungesühnt. Aber es gibt Leute, die ihre Arbeit fortführen. Auf internationaler Ebene tut dies das Daphne Project, eine Recherchekooperation, an der Medien wie die New York Times, der Guardian oder Le Monde beteiligt sind, aus Deutschland ist der Rechercheverbund aus SZ, WDR und NDR dabei. Es geht darum, Caruana Galizias Themen aufzugreifen und in ihrem Mordfall zu recherchieren. Vor allem aber geht es um ein Signal: dass mit dem Tod einer Journalistin nicht auch ihre Recherchen sterben, sondern im Gegenteil sogar noch mehr Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird.

Kein Staat in Westeuropa schneidet bei der Pressefreiheit so schlecht ab wie Malta

In Malta selbst hat sich die Journalistin Caroline Muscat dahintergeklemmt. Nur wenige Wochen nach dem Tod ihrer Kollegin gründete sie das Informationsportal The Shift News , das sich mit Korruptionsfällen und den Verwicklungen maltesischer Politiker beschäftigt. Dafür zeichnet nun Reporter ohne Grenzen Caroline Muscat aus. Die Organisation vergibt jedes Jahr den Press Freedom Award an Journalisten, die trotz Widerständen und Repressionen ihrer Arbeit nachgehen, Donnerstagabend erhält Caroline Muscat den Preis in der Kategorie Unabhängigkeit.

Am Tag zuvor ist Muscat ins Berliner Büro von "Reporter Ohne Grenzen" gekommen. An der Wand hängt eine Weltkarte, auf der in verschiedenen Farben eingezeichnet ist, wie gut es in den einzelnen Ländern um die Pressefreiheit bestellt ist. Weiß steht für sehr gut, schwarz für sehr schlecht, dazwischen liegen orange und rote Flecken. Der Großteil der Weltkarte ist rot und schwarz. Muscat guckt, wo Malta ist: im schwierigen orangefarbenen Mittelfeld - kein Staat in Westeuropa schneidet so schlecht ab wie die Insel. Die Gründe sind in der maltesischen Presselandschaft zu suchen, sagt Muscat, die meisten Medien werden von politischen Parteien finanziert. Das Höchste der Gefühle sei, was man im Englischen "He said, she said"-Journalismus nennt, "eine Art der Darstellung, die zwar beide Seiten zu Wort kommen lässt, aber nicht der Wahrheit auf den Grund geht", sagt Muscat. Wer unabhängig berichten und Missstände aufdecken will, tut das auf eigene Kosten und auf eigene Gefahr. So wie Daphne Caruana Galizia.

Deren Tod habe auch ihr Leben erschüttert, sagt Muscat. Muscat hat die Kollegin erst ein Jahr vor dem Anschlag kennengelernt, die beiden Frauen halfen einander bei Recherchen, eine Freundschaft entwickelte sich. Muscat erzählt schnell und laut, man merkt, dass etwas aus ihr herausmuss. "Ich konnte nicht mehr ertragen, was war." Mit Anfang 40 schmiss sie ihren Newsroom-Job bei der renommierten Times of Malta, trommelte ein paar Leute im In- und Ausland zusammen und begann, Spenden zu sammeln. Shift News nehme kein Geld aus der Werbewirtschaft oder von Parteien, sagt Muscat, das sei einzigartig in Malta.

Wie schon ihre verstorbene Kollegin wird Muscat mit Klagen überzogen

Drei Monate gab man an ihr. Dass sie noch immer da sei, liege an der Öffentlichkeit, sagt Muscat. An jenen Bürgern, die nicht hinnehmen wollen, dass in ihrem Land ein Bombenanschlag passieren kann, ohne dass dies Konsequenzen hat. Verhaftet wurden bislang nur drei Kleinkriminelle, sie sollen Caruana Galizia über Wochen beobachtet, die Bombe unter ihrem Autositz befestigt und mit einem Handy gezündet haben. Aber selbst die wurden nicht vor Gericht gestellt, es gibt nicht einmal einen Prozesstermin. Und nicht nur das: Muscat bekam Zugang zu geheimen Facebook-Gruppen, in denen Politiker den Tod von Caruana Galizia bejubelten. Die Stelle, zu der die Menschen Blumen und Kerzen für Caruana Galizia bringen, werde fast täglich von den Behörden geräumt. "Sie wollen lieber die Erinnerung an sie löschen als ihre Mörder zu verfolgen."

Malta sei ein Paradies für Korruption aus dem In- und Ausland, sagt Muscat. Vor den Behörden brauchen die Leute keine große Angst zu haben, mit Geld und Beziehungen lassen sich die Ermittlungen verhindern. Und so seien es Journalisten, die das tun, was die Behörden tun sollten. Spuren von Geldwäsche nachgehen, die Machenschaften von Schleppern aufdecken, die Malta als Umschlagplatz entdeckt haben. Leicht ist das nicht. Wie schon ihre verstorbene Kollegin wird Muscat mit Klagen überzogen, etwa für ihre "Golden Passport"-Recherche, in der es darum ging, wie Malta im großen Stil EU-Pässe an ausländische Investoren verkauft.

Das sei dann auch entscheidend, sagt Muscat. Malta sei zwar eine Insel, aber was dort passiere, betreffe die EU. "Und wenn Malta davon kommt mit dem Mord an einer Journalistin, dann wird so etwas auch in anderen EU-Ländern passieren."

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SZ vom 13.09.2019/tmh
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