Süddeutsche Zeitung

Malala Yousafzai bei Markus Lanz:"Ich habe sie nicht gestutzt"

Sie war 15 Jahre alt, als sie von einem Taliban-Kämpfer schwer verletzt wurde. Ein Jahr später gilt Malala Yousafzai nun als Anwärterin auf den Friedensnobelpreis. Bei Markus Lanz schafft es die Pakistanerin nur kurz, über ihre Ziele zu sprechen. Weil sich der Moderator hauptsächlich für Malalas durchlöcherte Schädeldecke interessiert. Zumindest ihr Vater kann noch erklären, warum sie so mutig wurde, wie sie ist.

Eine TV-Kritik von Felicitas Kock

Es hätte eine gute Sendung werden können. Eine Sendung über Menschenrechte, über Frauenrechte, über das Recht auf Bildung, das Millionen Kindern auf der ganzen Welt verwehrt wird. Schließlich war Malala Yousafzai als Gast angekündigt - jenes junge Mädchen aus dem Swat-Tal im nordwestlichen Pakistan, das im vergangenen Jahr von Taliban niedergeschossen wurde und das jetzt den Friedensnobelpreis erhalten könnte.

Stattdessen kaute Markus Lanz zuerst eine halbe Stunde lang mit dem SPD-Politiker Karl Lauterbach und der ehemaligen taz-Chefin Bascha Mika auf Altbekanntem und Allgemeinplätzen herum. Danach kam Comedian Kaya Yanar zu Wort, der über seine neue Freundin berichtete. Der Fernsehzuschauer blickte schmerzvoll auf die Uhr und rechnete nach, wie viel Zeit am Ende noch für Malala bleiben würde.

Es blieb - immerhin - eine halbe Stunde für ein aufgezeichnetes Gespräch, das Lanz zuvor in New York mit dem 16 Jahre alten Mädchen und ihrem Vater geführt hatte. Und obwohl der Moderator immer wieder auf den blutigen Angriff der Taliban am 9. Oktober 2012 zurückkommen wollte, obwohl er sich mehr für die durchlöcherte Schädeldecke des Mädchens interessierte ("Was kann man von der Attacke noch sehen?") als für ihre Botschaft, schaffte es das Vater-Tochter-Gespann am Ende, einige wichtige Worte zu sagen.

Für Malala müssen die Minuten bei Lanz trotz seines hohen Interesses an ihrem Beinahe-Tod ("Man hatte schon die Beerdigung für sie vorbereitet, richtig?") fast schon eine Verschnaufpause gewesen sein - Zeit, ein wenig durchzuatmen zwischen einer Rede bei den Vereinten Nationen, der in diesen Tagen erfolgenden Präsentation ihrer Biografie und der für Freitag angesetzten Verkündigung, wer den Friedensnobelpreis in diesem Jahr erhalten wird. Sie gilt als heiße Anwärterin. Für die 16-Jährige folgt gerade ein großer öffentlicher Auftritt nach dem anderen, kurze Fernsehinterviews dagegen hat sie schon viele gegeben. Das merkt man.

Malala tritt sehr ruhig auf und spricht mit heller, klarer Stimme. Sie weiß, was sie sagen will, wirkt mehr wie Mitte dreißig, weniger wie ein Teenager. Immer wieder wandert ihre rechte Hand durch die Luft und schnellt energisch nach unten, wenn sie ihren Worten Nachdruck verleihen will.

Das Recht, den eigenen Namen zu nennen

"Damals" sagt sie, und meint den Moment, als ein bewaffneter Taliban-Extremist in ihren Bus stieg und fragte, wer von den Schulmädchen Malala sei, "damals konnte ich nichts sagen." Ihre Freundinnen hätten geschrien. Sie habe den Mann nur angeblickt, und genau deswegen habe er ihr in den Kopf geschossen - sie sei als einziges Mädchen im Bus unverschleiert gewesen und deswegen habe der Kämpfer gewusst, dass sie Malala war.

Geschossen habe der junge Mann, weil sie sich für die Rechte von Frauen und Kindern einsetzte, weil sie in einem Blog und im Fernsehen Bildung für alle forderte. Da hätten die Taliban beschlossen, sie zu töten.

Doch Malala, die zu dem Zeitpunkt bereits den Friedenspreis ihres Heimatlandes Pakistan erhalten hatte, überlebte. Sie wurde zuletzt von Ärzten in Großbritannien behandelt, lebt dort mittlerweile mit ihrer Familie und erholt sich von der Schussverletzung und den zahlreichen Operationen, die darauf folgten.

Dass sie damals, im Schulbus, ihren Namen nicht hatte sagen können, beschäftigt sie bis heute. Sie wolle das jetzt nachholen, sagt sie, und erklärt damit den Titel ihrer Biografie, die an diesem Dienstag erschienen ist: "Ich bin Malala". Dabei geht es in dem Buch nicht allein um ihre eigene Geschichte, sondern auch um die Geschichten zahlreicher Mädchen, die wie sie aus dem Swat-Tal stammen. Die teilweise nicht zur Schule gehen dürfen, die arbeiten müssen, die viel zu früh an viel zu alte Männer verheiratet werden und in ständiger Angst vor der Willkür der Terroristen leben.

Auf diese Mädchen will sie die Aufmerksamkeit nun lenken, um ihre Situation langfristig zu verbessern. Am liebsten durch Bildung: "Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern", lautet einer der Sätze, die Malala bei ihrer Rede vor den Vereinten Nationen gesagt hat.

Malala selbst durfte immer zur Schule gehen und das hat sie vor allem ihrem Vater, einem Betreiber mehrerer Privatschulen im Swat-Tal zu verdanken. Der dunkelhaarige Mann mit dem dichten Schnauzbart sitzt im ZDF-Studio in New York neben seiner Tochter.

Meistens schweigt er. Als Lanz das erste Mal das Wort an ihn richtet ("Wo waren Sie, als Sie von dem Angriff auf Ihre Tochter erfahren haben?"), antwortet er deutlich langsamer als seine Tochter, zögerlich, noch mehr auf seine Worte bedacht.

Die Flügel blieben dran

Doch als er später darauf zu sprechen kommt, warum seine Tochter so besonders ist, brechen die Worte geradezu aus dem Mann heraus: "Die Leute fragen mich immer, was ich Besonderes mit meiner Tochter gemacht habe. Aber das Einzige, was ich gemacht habe, ist, dass ich sie nicht gestutzt habe. Ich habe ihr die Flügel nicht abgeschnitten. Sie soll fliegen, bis zu den Sternen, wenn sie will", sagt Ziauddin Yousafzai und seine Tochter blickt ihn aufmerksam von der Seite an.

Es ist der Moment, in dem klar wird, woher das Mädchen seinen Mut nimmt.

Markus Lanz geht nicht auf die emotionalen Worte des Mannes ein, er stellt lieber noch einmal eine Frage nach Malalas Verletzungen. Die 16-Jährige antwortet geduldig. Sie schildert die verschiedenen Eingriffe, die in Pakistan und Großbritannien gemacht wurden. Und am Ende, als sie von der Titanplatte erzählt, die sie jetzt im Kopf hat, und die am Flughafen immer die Sicherheitsscanner zum Piepen bringt, lächelt sie sogar.

Sie haben es geschafft, ihre Themen in dem Gespräch unterzubringen. Wenn auch nur kurz - und obwohl sich der Moderator wie ein Aasgeier auf die hässlichen Seiten der Geschichte gestürzt hat.

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