TV-Sendung in China:Ende einer Horrorshow

Die TV-Sendung "Interviews vor der Hinrichtung" führt Todeskandidaten vor und 40 Millionen Chinesen schalteten durchschnittlich dabei ein. Nun steht die Sendung selbst am Pranger: Eine BBC-Doku zeigt, wie die zum Tode Verurteilten kurz vor ihrer Hinrichtung von der Moderatorin erniedrigt werden.

Christoph Giesen

Die Gefängnisleitung hat ihn ausgesucht, vermutlich, weil sie in ihm ein abschreckendes Beispiel sieht. Bao Rongting, 41, wird auf den weiten Hof geführt, der Wind fegt über den Platz und rüttelt an einer Reihe gestutzter Büsche. Bao trägt Handschellen, rote Sträflingskleidung, seine Schuhe stecken in Plastiksandalen. Er muss sich auf einen Schemel setzen. Um ihn herum Wachleute, Kameramänner und Tonassistenten, ihm gegenüber die kurzhaarige Fernsehmoderatorin Ding Yu.

TV-Sendung in China: Mordsspektakel: Laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen finden in China pro Jahr mehr Hinrichtungen statt als im gesamten Rest der Welt.

Mordsspektakel: Laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen finden in China pro Jahr mehr Hinrichtungen statt als im gesamten Rest der Welt.

(Foto: AFP)

"Wer sind Sie? Für welchen Sender arbeiten Sie?", fragt Bao mit hoher Stimme. "Ich bin Ding Yu, mögen Sie etwa den Justizkanal nicht?" Sie blickt Bao erstaunt an. "Erzählen Sie ein wenig mehr über sich. Wer sind Sie, wie geht es Ihrer Familie?" Bao fängt an zu weinen. Mit den Oberarmen versucht er sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. "Sind Sie traurig, weil ich Ihre Eltern erwähnt habe?", bohrt Ding weiter. Natürlich weiß sie, dass er seine Mutter umgebracht hat und deshalb zum Tode verurteilt wurde.

Seit fünf Jahren interviewt Ding Yu jeden Samstag in ihrer Sendung Interviews vor der Hinrichtung einen Todeskandidaten für das Fernsehen der zentralchinesischen Provinz Henan. Bis zu 40 Millionen Chinesen schalteten im Schnitt ein. Bis jetzt.

An diesem Samstag wurde die Sendung kurzfristig abgesetzt. "Wegen interner Probleme", wie es knapp heißt. Der wahre Grund für das abrupte Aus dürfte ein anderer sein: An diesem Montag strahlt die BBC eine Dokumentation über die Todesstrafe in China aus. Im Mittelpunkt des Films: Dings Sendung. Die BBC hat ihre Dokumentation gemeinsam mit einer chinesischen Produktionsfirma gedreht, sämtliche Genehmigungen dafür lagen vor. Offenbar waren aber bloß die Provinzbehörden informiert - aus Peking kam nun das Sendeverbot für die Hinrichtungsshow.

Meist Mörder und Gewaltverbrecher

Der Ausstrahlungstermin der BBC-Doku erwischt Chinas Staatsführung in einem ungünstigen Moment. Am Mittwoch stimmt der Volkskongress, Chinas Scheinparlament, über eine Gesetzesnovelle ab: eine Veränderung des Strafgesetzbuches. Für 55 Delikte sieht das chinesische Strafgesetzbuch die Todesstrafe vor. Bis vor einem Jahr drohte auch bei Delikten wie Antiquitätenschmuggel oder Kreditbetrug die Hinrichtung. Ausgenommen von der Todesstrafe sind Schwangere, Rentner, die älter als 75 Jahre sind und Jugendliche, die zum Tatzeitpunkt noch nicht volljährig waren.

Die Justizbehörden in Henan haben für Dings Sendung meist Mörder und Gewaltverbrecher ausgesucht, obwohl in China die Todesstrafe beispielsweise auch wegen Korruption verhängt werden kann. Beim Justizkanal will man sich zur Absetzung nicht äußern. "Uns wurde gesagt, dass wir keine Interviews geben dürfen", sagt ein Mitarbeiter von Henan TV.

Sämtliche Videos der Sendung wurden aus dem Internet gelöscht. In einigen chinesischen Portalen lassen sich aber noch ein paar Folgen finden. Bao Rongtings Befragung auf dem zugigen Gefängnishof ist eines der wenigen vollständigen Interviews, das sich noch abrufen lässt. Ein letzter Beleg für die makabre Show.

4000 Hinrichtungen im Jahr

"Okay, lassen Sie uns erst über Ihre Geschwister reden", sagt Ding Yu in dem Beitrag zum weinenden Mörder, dann prasseln ihre Fragen auf ihn ein. "Sind Sie schwul?"; Bao hatte mehrere Jahre auf dem Strich sein Geld verdient. "Ich habe gehört, dass in einer homosexuellen Beziehung einer der Männer die Rolle der Frau übernimmt", fragt sie weiter: "Welche Rolle hatten Sie?"

Zwischen den Gesprächsszenen sitzt Ding Yu in einem Kino und kommentiert ihr eigenes Interview. "Endlich hat er zugegeben, dass er schwul ist", sagt sie da. Dann spricht sie ihn erneut auf den Mord an: "Ist angestaute Wut ausgebrochen?" Der Verurteilte antwortet, dass er es nicht bedauere, seine Mutter getötet zu haben: "Sie war 70. Ich habe ihr ein langes Leben gewünscht, aber sie ist an dem Tag zu weit gegangen."

Wie viele Menschen in China durch Erschießungskommandos oder die Giftspritze sterben, ist ein Staatsgeheimnis. Menschenrechtsorganisationen gehen von mindestens 4000 Hinrichtungen im Jahr aus. Sicher ist nur, dass der chinesische Staat jedes Jahr mehr Menschen exekutiert, als der Rest der Welt zusammen - allen Neuregelungen zum Trotz.

In den vergangenen Jahren gab es mehrere Strafgesetzreformen. Bis 1997 konnten Richter in China selbst für einfachen Diebstahl die Todesstrafe verhängen. Seit 2007 muss der Oberste Gerichtshof in Peking jedes Todesurteil bestätigen. Alleine durch die verpflichtende Überprüfung, schätzen Menschenrechtsorganisationen, habe sich die Zahl der vollstreckten Todesstrafen halbiert.

"Eine Kugel hat dieses sündige Leben beendet"

Auch wenige Stunden vor Baos Hinrichtung ist Ding Yu mit ihrem Kamerateam dabei. Sie filmen wie Bao gefesselt auf der Pritsche eines Lastwagens zum Exekutionsplatz gefahren wird, wie eine Staatsanwältin erneut das Todesurteil verkündet und Bao das Urteil danach schriftlich quittiert. "Wollen Sie Ihren älteren Bruder ein letztes Mal sehen", fragt Ding Yu Bao kurz vor dem Tod. "Ja", sagt er.

Dann die Enttäuschung: "Er will Sie aber nicht sehen", sagt die Moderatorin. Gemeinsam mit einem Vertreter des Gerichts hatte sie zuvor Baos Bruder besucht. Nein, hatte der gesagt, er wolle weder fürs Fernsehen interviewt werden, noch seinen Bruder sehen.

Etwas später, nachdem das Erschießungskommando Bao Rongting getötet hat, gibt die Moderatorin ihr Fazit zum Besten: "Eine Kugel hat dieses sündige Leben beendet", sagt sie lakonisch. Und eine BBC-Dokumentation hat ihre Show nun beendet.

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