"Maischberger" zu Volksparteien:Das Alarmsignal "Die Partei"

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Bei Sandra Maischberger diskutieren unter anderem Nico Semsrott und die ARD-Hauptstadtkorrespondentin Marion von Haaren. (Foto: WDR/Max Kohr)

Nico Semsrott, neuer Abgeordneter der Satirepartei, wird bei Sandra Maischberger beäugt wie eine seltene Spezies. Und Juso-Chef Kühnert interessiert es "einen Scheiß", was an der SPD-Spitze passiert.

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"Dass ich in so eine Sendung eingeladen werde, das halte ich für ein Alarmsignal." Das mag ein ungewöhnlicher erster Satz sein, aber es ist auch ein ungewöhnlicher Gast, der da neben Sandra Maischberger sitzt und unter seiner schwarzen Kapuze hervorstiert: Nico Semsrott. Der Kabarettist hat gerade seinen ersten Tag als Abgeordneter hinter sich. Semsrott ist Mitglied der Satirepartei Die Partei, die am Sonntag überraschend einen zweiten Sitz im Europäischen Parlament gewonnen hat.

Sie war nicht der einzige Überraschungssieger in Deutschland. Die Grünen erzielten einen nahezu historischen Erfolg und im Osten war die AfD teils stärkste, teils zweitstärkste Kraft. Hätten nur Menschen unter 60 Jahren abgestimmt - was, wie ein eingespielter Wahlwerbespot zeigt, nah an den Forderungen von Semsrotts Partei ist - dann wären die Grünen stärkste Kraft geworden. Die Verlierer dieser Wahl sind SPD und Union, und um die soll es bei Maischberger eigentlich gehen: "Der Wahlschock: Haben sich die Volksparteien überlebt?"

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Als Vertreter der geschockten Volksparteien sitzen Juso-Chef Kevin Kühnert und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff im Rund, außerdem ARD-Korrespondentin Marion von Haaren und Welt-Journalist Robin Alexander. Semsrott ist offenbar als Symbol des Angriffs auf die Regierungsparteien hier. Er steht also eigentlich nicht nur für seine eigene Satirepartei, sondern auch gleich noch für die Grünen als bundesweit zweitstärkste Kraft, die rechtspopulistische AfD, die neue paneuropäische Partei Volt, die globale Bewegung "Fridays for Future" und eine ganze Generation von Youtube-Zuschauern.

Semsrott erklärt gleich zu Anfang, warum er der Einladung zu Maischberger gefolgt sei: Zum einen habe er schon immer mal in einer Talkshow sagen wollen, dass er Talkshows für problematisch halte, "weil sie suggerieren, dass politische Inhalte verhandelt werden und eigentlich geht's nur um Unterhaltung". Und zum anderen habe er zugesagt, "damit hier auf diesem Sitz heute kein AfD-Politiker sitzt". Diese beiden Aussagen gehören zu den klügsten des ganzen Abends.

Es tut der Runde tatsächlich gut, dass sie - im Gegensatz zu vielen Talkrunden über die Parteienlandschaft - ohne einen AfD-Gast auskommt, der sich am Wahlerfolg weidet. In Haseloffs Bundesland Sachsen-Anhalt hat die AfD bei den Kommunalwahlen landesweit gut 14 Prozentpunkte zugelegt und folgt auf Platz zwei hinter der CDU, die um etwa zehn Prozentpunkte abgestürzt ist.

Auch ohne rechtspopulistischen Input bleibt die Diskussion in weiten Strecken an der Oberfläche. Was also hat zum Absturz der Volksparteien geführt? Eine befriedigende Antwort darauf finden die Gesprächspartner nicht, auch wenn sie sich im Groben einig sind: zu wenig Klimapolitik im Wahlkampf, zu wenig Volksnähe der Wahlkämpfer, kein Zugang zu jüngeren Generationen. Passend dazu fragt ein Einspieler, ob "Aktivisten wie Greta Thunberg oder Rezo und ihre Anhänger zur Gefahr für die Volksparteien" werden.

Christdemokrat Haseloff und Welt-Redakteur Alexander scheinen diese Gefahr durchaus zu sehen. Beide verteidigen die Bundesregierung gegen den Vorwurf, in der Klimapolitik nicht entschlossen genug zu handeln und die CDU-Chefin gegen den Vorwurf, sie wolle mit ihrer Aussage über ein Youtuber-Wahlvideo die Meinungsfreiheit einschränken. ARD-Korrespondentin von Haaren versucht einige Male, die Debatte zu versachlichen, dringt aber nicht so recht durch.

Kühnert reagiert auf die CDU-Vorsitzende, die einfach "wieder Blödsinn geredet" habe, genauso verärgert wie auf Anspielungen auf die von ihm losgetretene Sozialismus-Debatte in der SPD. Der 29-Jährige hatte sich in einem Interview vor einigen Wochen für eine Begrenzung von Wohneigentum und "eine Kollektivierung großer Unternehmen" ausgesprochen, als Beispiel für eine mögliche Vergesellschaftung nannte er BMW. Haseloff hatte ihm daraufhin DDR-Methoden vorgeworfen, was er in der Sendung wiederholt. Endgültig genervt wirkt Kühnert, als Maischberger ihn auf Andrea Nahles anspricht, die eine vorgezogene Neuwahl der Fraktionsspitze plant. Ob er Nahles für eine gute Spitzenbesetzung halte? "Das interessiert mich einen Scheiß", pampt Kühnert.

Und Semsrott? Der sitzt ausdruckslos mittendrin und reagiert eigentlich nur, wenn er direkt angesprochen wird. Er kritisiert abgehobene Politiker, patriarchalische Strukturen innerhalb der Volksparteien und Verflechtungen von Politik und Wirtschaft.

Die anderen Gesprächspartner wissen nicht so recht, wie sie mit dem seltsamen Vogel umgehen sollen und blicken ihn ungefähr genauso an: wie eine interessante neuentdeckte Spezies. Haseloff bezeichnet ihn als einen "Hofnarren", der der Politik den Spiegel vorhalte, und ist offenkundig stolz auf seinen Vergleich, den Semsrott stoisch hinnimmt. Zwischendurch geht es darum, ob Satiriker mit erratischem Abstimmungsverhalten im Parlament so problematisch seien wie Rechte und Populisten. "Also mir ist der sympathischer als zum Beispiel Berlusconi", sagt von Haaren mit einem Handwedeln in Richtung Semsrott.

Maischberger lacht nach etwa jedem zweiten Satz des Die-Partei-Abgeordneten. Was ein Satiriker sagt, muss ja wohl als Witz gedacht sein. Sie spricht ihn einige Male an, hakt aber leider nicht nach, wenn Semsrott ins Stottern kommt und einfach seine vorherigen Aussagen wiederholt, statt ihre Fragen zu beantworten. An einer Stelle muss sie aber doch kritisch nachfassen: bei der Klimapolitik. "Wie würden Sie das denn lösen?"

Semsrott blickt die Moderatorin ungläubig an und sagt: "Ich bin Mitglied einer 2,4-Prozent-Satirepartei." Die Partei habe weder einen Regierungsanspruch noch Lösungsvorschläge - und als einziges Ziel den Protest gegen die Volksparteien.

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