"Maischberger" zu Schulz:In Minute 31 bekommt Hannelore Kraft ein Glaubwürdigkeitsproblem

Maischberger 8. März 2017

Sandra Maischberger mit ihren Gästen zum Thema "Martin Schulz" am 8. März 2017.

(Foto: WDR/Max Kohr)

Bei Sandra Maischberger versucht die NRW-Ministerpräsidentin, auf Martin Schulz' Erfolgswelle zu reiten. Zuerst sieht es gut aus. Doch dann wird sie kalt erwischt.

TV-Kritik von Benedikt Peters

Die Maischberger-Sendung ist gut eine halbe Stunde alt, als Hannelore Kraft für einen Augenblick die Fassung verliert. Der Augenblick währt nur ganz kurz, eine Sekunde vielleicht. Die NRW-Ministerpräsidentin stockt. Dann blickt sie nach oben, an die Decke des TV-Studios. Möglich, dass sie in diesem Moment denkt: Hätte ich die Sache mit den befristeten Stellen doch gar nicht erst angesprochen.

Bis hierhin war für Kraft eigentlich alles gut gelaufen, was, zugegeben, auch keine besonders große Überraschung in diesen Tagen ist. Die NRW-Ministerpräsidentin ist bekanntermaßen Mitglied der SPD, genauso wie der ehemalige Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz. Und wo Schulz ist, da ist in diesen Tagen der Erfolg. Den vielzitierten "Schulz-Effekt" gibt es auch in dem großen Bundesland im Westen Deutschlands. Nachdem Schulz im Januar seine Kanzlerkandidatur bekanntgab, machte die NRW-SPD einen Satz in den Umfragen, von 32 auf etwa 37 Prozent, die CDU fiel auf 30 Prozent. Die Sozialdemokraten in Düsseldorf, so erzählt man sich, sind angesichts der für Mitte Mai angesetzten Landtagswahl in Hochstimmung.

Das Thema, zu dem Moderatorin Sandra Maischberger an diesem Abend diskutieren lässt, ist der SPD zudem wie auf den Leib geschneidert: "Schluss mit der Agenda 2010 - macht Schulz das Land gerechter?" Das ist das richtige Thema zur richtigen Zeit, denn vor Kurzem hat der SPD-Kanzlerkandidat angekündigt, er wolle das vielgelobte, aber auch vielkritisierte Reformprogramm entschärfen.

Man hätte sich einen bekannten konservativen Marktschreier gewünscht - denkt man zunächst

Die sehr unterschiedlichen Gäste, die in den Studiosesseln Platz nehmen, versprechen eine spannende Diskussion und liefern sie auch. Neben Kraft sitzt dort mit Oskar Lafontaine eine Galionsfigur der Linken und einer der eloquentesten Kritiker der Agenda 2010. Außerdem der Unternehmer Thomas Selter, der sich, wie man in der Sendung erfährt, mit der Produktion von Stricknadeln ein kleines Imperium geschaffen hat. Er lobt die Agenda erwartungsgemäß als "neoliberale Reform mit einem Riesen-Erfolg" und befürchtet mit Sorgenfalte im Gesicht, dass Schulz Deutschland wieder zum "kranken Mann Europas" mache, wenn man ihn die Agenda zurückdrehen ließe.

Einen guten Gegenpunkt dazu bildet Ulrich Wockelmann, Langzeitarbeitsloser aus Iserlohn, der inzwischen ehrenamtlich Menschen berät, die in einer ähnlichen Situation sind wie er. Wockelmann trägt einen langen Rauschebart und kann glaubhaft erzählen, warum alles gar nicht so rosig ist, wie der Unternehmer Selter behauptet. Weil es vielen Menschen in Deutschland schlicht und ergreifend dreckig gehe, zum Beispiel, weil sie mit Zeitarbeit und Ein-Euro-Jobs abgespeist würden, sagt Wockelmann.

Etwas blass ist nur die Besetzung für die politischen Kräfte rechts von der Mitte. Diesen Part übernimmt stellvertretend Ralph Brinkhaus. Der Mann ist Finanzexperte und einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union im Bundestag, aber eben kein besonders bekanntes Gesicht. Man hätte sich, so der erste Impuls, einen bekannten konservativen Marktschreier vom Schlage eines Peter Gauweiler oder vielleicht gar Markus Söder gewünscht. Doch es ist ausgerechnet Brinkhaus, der für jenen Moment sorgt, der Hannelore Kraft ins Stocken bringt.

Ein Lob für Schröder? Nicht mit Hannelore Kraft

Die Ministerpräsidentin ist gerade der Spagat gelungen, die Erfolge der Agenda 2010 unter Gerhard Schröder zu würdigen, ohne den Altkanzler hervorzuheben. Zu einem Lob für Schröder lässt sie sich auch nach mehrmaligem Nachfragen der Moderatorin Maischberger nicht hinreißen. Stattdessen betont sie, ganz auf einer Linie mit Schulz, dass es weitere Nachbesserungen geben müsse, auch wenn es natürlich schon welche gegeben habe, zum Beispiel den Mindestlohn.

Doch dann lehnt sich Kraft zurück und spricht mit übereinandergeschlagenen Beinen über ein für sie folgenschweres Thema: In Gesprächen mit jungen Menschen habe sie mitbekommen, dass viele mit befristeten Arbeitsverträgen abgespeist würden, auch wenn es dafür keinen Grund gebe. "Da müssen wir ran", sagt Kraft. Die sachgrundlosen Befristungen müssten abgeschafft werden. Damit die jungen Menschen mehr Sicherheit hätten. Und auch, damit sie mehr kauften und Kredite bekämen, was ja wiederum der Wirtschaft nütze.

Jetzt ist Brinkhaus' Moment gekommen. Er verweist darauf, dass die von Kraft geführte NRW-Landesregierung erst kürzlich 50 auf ein Jahr befristete Stellen ausgeschrieben hat. Wie das denn sein könne, fragt Brinkhaus.

Der Kraft-Konkurrent kann sich ein Lächeln nicht verkneifen

Kraft versucht zu erklären, dass es bei diesen Stellen sehr wohl einen Sachgrund gebe, man müsse schließlich schauen, ob die Jobanfänger geeignet seien, es gehe um komplizierte Tätigkeiten beim Finanzamt. "Aber das kann man doch in der Probezeit", sagt Brinkhaus. Kraft fällt daraufhin nichts mehr ein, nach dem kurzen Stocken antwortet sie lapidar: "Da kennen Sie sich im öffentlichen Sektor nicht gut aus."

Es mag sein, dass Kraft sogar recht hat. Aber die Gelegenheit, die Befristungen vernünftig zu erklären, verpasst sie. Sie steht nun da als diejenige, die lautstark fordert, was sie selbst nicht einhält. Brinkhaus scheint das zu wissen, ein Lächeln kann er sich nicht verkneifen.

Zu großer Form läuft unterdessen Oskar Lafontaine auf. Einerseits kritisiert er die SPD leidenschaftlich. "Wohlstand für alle" habe das Versprechen der Partei früher gelautet, nicht Wohlstand für die 60 Prozent der Bevölkerung, die von der Agenda 2010 profitierten. Andererseits lobt er ausdrücklich die von Martin Schulz versprochenen Korrekturen. Und er sagt, dass die SPD mit der Linkspartei diese Korrekturen nicht nur ankündigen, sondern auch umsetzen könnte, anders als mit der CDU. Auch wenn sich Lafontaine und Kraft in der Sendung manches Mal beharken: Der Zuschauer bekommt das Gefühl, dass an diesem Abend eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl nicht unbedingt unwahrscheinlicher geworden ist.

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