Süddeutsche Zeitung

"Maischberger vor Ort" in Erfurt:"Ein Bürgerlicher beschädigt nicht mutwillig ein deutsches Parlament"

Sandra Maischberger geht mit ihrer Sendung nach Erfurt und lässt Politiker auf Bürger treffen. Das bringt: gute Fragen, müdes AfD-Geschrei und einen Denkprozess.

TV-Kritik von Cornelius Pollmer

Mit dem wachsenden Erfolg von Populisten erlebte das Prinzip Bürgernähe erst in der Politik ein Comeback und dann bald auch im Fernsehen. Kein Mensch kann die Dialogformate noch zählen oder wenigstens auseinanderhalten und seit Mittwoch ist also auch Sandra Maischberger "vor Ort".

Wenn eine erfahrene Gesprächsleiterin wie Maischberger zur Landpartie lädt, dann klingt das erst mal nach mobiler Mediation, insbesondere da die Redaktion als erstes Ziel dieser Reihe die Stadt Erfurt ausgewählt hat. Nach den politischen Unruhen der vergangenen Monate gibt es da schließlich besonders viel zu klären und zu vermitteln.

Gleichwohl hat gerade die Stadt Erfurt schlechte Erfahrungen mit dem Prinzip Bürgernähe im deutschen Fernsehen gesammelt. Am Tag des Amoklaufes am Gutenberg-Gymnasium 2002 waren Johannes B. Kerner und das ZDF auf die noch heute erschütternde Idee gekommen, schnell nach Erfurt zu reisen, um dort am Abend in einer Livesendung unter anderem einen Elfjährigen zu interviewen.

Eingeladen wurden Bürger mit ernsthaften und überlegten Fragen

Die Vorzeichen von "Maischberger vor Ort" waren da deutlich besser und das Ergebnis kann sich leidlich sehen lassen, in der Mediathek wie im übertragenen Sinne. Vor allem, weil Bürger mit überwiegend ernsthaften und überlegten Fragen von der Redaktion eingeladen wurden. Weil sie ohne viel Vorgeplänkel diese Fragen stellen durften. Und weil die drei geladenen politischen Akteure diesen Bürgern immerhin mit mehr Respekt begegneten als sie einander oft begegnen, wenn sie zum Streiten im Fernsehen unter sich bleiben.

Inhaltlich stellte Maischberger an den Beginn der Diskussion einen Corona-Block, das Virus und seine Folgen interessiert natürlich selbst in Thüringen gerade mehr als der Fortgang der Landespolitik. AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, Thüringens CDU-Fraktionschef Mario Voigt und Linken-Bundesvorsitzende Katja Kipping waren sich einig darin, dass nicht nur großen Wirtschaftsunternehmen, sondern auch dem Mittelstand sowie Kleinstunternehmern zügig und ohne viel Bürokratie geholfen werden müsse. Kipping zeigte zudem die große Frage dieser Lage auf, nämlich welcher Art "der Charakter der Gesellschaft" sei: Dominierten in der nächsten Zeit die Solidarität und das Füreinander-da-sein, "oder dominiert am Ende der kaltherzige Egoismus?".

Was Thüringen betraf, waren dafür praktisch kaum neue Erkenntnisse zu erlangen.

Manchmal liegt ein therapeutischer Effekt aber ja schon darin, vielfach Ausgesprochenes und Diskutiertes noch ein weiteres Mal auszusprechen und zu diskutieren. Eine gute Figur machte dabei Voigt, der sich gegenüber der AfD hart zeigte, ohne unsachlich zu werden. Mit ihrem Verhalten im Thüringer Landtag und insbesondere mit der Aktion, bei der Ministerpräsidentenwahl Anfang Februar zwar einen eigenen Kandidaten aufzustellen, diesen aber nicht zu wählen, habe die AfD undemokratisch gehandelt, sagte Voigt. Und direkt zu Chrupalla: "Sie tun immer so, als ob sie bürgerlich sein wollen. Ein Bürgerlicher beschädigt nicht mutwillig ein deutsches Parlament - und das haben Sie getan."

Chrupalla nennt Claudia Roth eine "Deutschlandhasserin"

Der so angesprochene Chrupalla versuchte zwar einerseits, seine Linie der vergangenen Wochen fortzusetzen und eine Art Mäßigung von allen einzufordern. Dass er und seine Partei aber andererseits ein eigentümlicher Absender für diese Forderung sind, zeigte sich noch in derselben Sendung. Als Chrupalla Claudia Roth, grüne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, eine "Deutschlandhasserin" nannte.

Müdes Geschrei ist das natürlich - und darin etwas symptomatisch für Sendung, in welche die AfD eingeladen wird. Zum Glück gab es also auch noch zwei, drei Momente, die von der üblichen Er-sagt-sie-sagt-Talkshow-Liturgie abwichen.

Dazuzurechnen ist etwa der Beitrag Kippings zu der im Osten besonders unbeliebten Unrechtsstaatsdebatte.

Warum Sie die DDR nicht einfach einen Unrechtsstaat nennen könne, fragte ein Bürger. Kipping sagte, sie sei in dieser Frage sehr nachdenklich geworden. Sie halte das U-Wort noch immer für einen Kampfbegriff und das Einfordern desselben für "eine Unterwerfungsgeste". Gleichzeitig gehe es ihr aber nicht darum, in der DDR begangenes Unrecht zu relativieren. "Ich bin da selber noch in einem Denkprozess", schloss Kipping.

Das gilt hoffentlich auch für alle möglichen Landespolitiker in Thüringen. Diese Talkshow als Townhall stand so kurz nach der Wahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten und mitten in der Corona-Krise in Deutschland ein wenig schräg in der Zeit. Sie war naturgemäß kaum zu ordnen. Dafür lassen sich Sorgen und damit Fragen von Bürgern einfach nicht zielgenau genug strukturieren. Aber im Vergleich zu den standardisierten Ausgaben tat es der Maischberger-Runde in Summe gut, mal an die frische Luft zu kommen.

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