Maischberger-Talk zum Thema Homosexualität:Worte, die wehtun

Homosexualität - Thema bei Maischberger

Sandra Maischberger mit ihren Diskussionsgästen zum Thema "Homosexualität auf dem Lehrplan": Olivia Jones, Jens Spahn, Hartmut Steeb, Birgit Kelle und Hera Lind (von links nach rechts).

(Foto: dpa)

Was passiert, wenn ein schwuler Politiker, ein Travestie-Star, ein Zehnfach-Vater, eine Vierfach-Mutter und Hera Lind zum Thema Homosexualität an Schulen diskutieren? Jeder hat was zu sagen - doch das Zuhören bereitet mitunter Schmerzen.

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Die Sendung war fast zu Ende, da sagte CDU-Politiker Jens Spahn jenen Satz, den sich der Zuschauer rückblickend an viel früherer Stelle gewünscht hätte: "Wir haben eine große Verantwortung mit der Wortwahl. Die prägt die Debatte." Besagte Debatte, wie sie am Dienstagabend exemplarisch bei Sandra Maischberger geführt wurde, dreht sich um die Frage: Wie prominent darf, wie prominent muss sexuelle Vielfalt in der Schule thematisiert werden? Oder wie es die Maischberger-Redaktion fomulierte: "Homosexualität auf dem Lehrplan - droht die 'moralische Umerziehung'?"

Titel und Auswahl der Gesprächspartner hatten schon vor der Ausstrahlung für Kritik gesorgt. Der Blogger Stefan Niggemeier störte sich an fehlenden beziehungsweise vermeintlich strategisch gesetzten Gänsefüßchen in der Überschrift. Und das schwul-lesbische Magazin Queer echauffierte sich, zwei der angekündigten Gäste seien als "notorische Homo-Hasser" bekannt. Gemeint waren damit Birgit Kelle, Journalistin und Mutter von vier Kindern, und Zehnfach-Vater Hartmut Steeb, seines Zeichens Generalsekretär der bibeltreuen "Deutschen Evangelischen Allianz". Komplettiert wurde das Talkensemble von Travestie-Künstlerin Olivia Jones und Buchautorin Hera Lind.

Dass die 75-minütige Diskussion am Ende tatsächlich die Bezeichnung "Maischbergers Horrorrunde" (O-Ton Queer) verdiente, lag vor allem daran, dass die Gäste zwar um jede Minute Redezeit stritten. Die meisten jedoch trotz großer Worte bedauerlich wenig zu sagen hatten. Ein Glossar der wichtigsten/nichtigsten Begriffe:

Akzeptanz: Nicht zu verwechseln mit Toleranz (→ tolerant). Gegen Letzteres hätten sie überhaupt nichts einzuwenden, betonten Kelle und Steeb, die sich als Unterzeichner einer umstrittenen → Petition gegen den neuen → Bildungsplan in Baden-Württemberg outeten. Aber Akzeptanz gegenüber alternativen Liebes- und Lebensformen - das sei etwas ganz anderes und könne niemandem abverlangt werden. Denn, so Journalistin Kelle: "Akzeptanz bedeutet, ich muss meinen Standpunkt ändern." Am Ende blieb der Eindruck einer fadenscheinigen semantischen Diskussion, die nie darüber hinwegtäuschen kann, dass diejenigen, die sie eröffnen, von Toleranz genauso weit weg sind wie von Akzeptanz.

Bildungsplan: Ist in Baden-Württemberg umstritten. Die grün-rote Landesregierung hat in einem neuen Entwurf für 2015 die " → Akzeptanz sexueller Vielfalt" als ein Erziehungsziel festgeschrieben. Dagegen macht seit vergangenen November eine → Petition im Netz mobil, wobei die Gegner mehrheitlich nicht aus dem Ländle kommen. Den bundesweiten Widerstand erklärte sich Kelle damit, dass die Gesellschaft einfach noch nicht bereit sei, Hetero- und Homosexualität als gleichwertig anzuerkennen. Für sie aber kein Grund für mehr Toleranzunterricht - sondern "das beste Argument gegen den Bildungsplan". Ohnehin sehe sie keine Relevanz für das Thema, Schule solle sich doch besser mehr auf Rechnen und Schreiben konzentrieren.

Casting: Hätte man sich im Vorfeld der Sendung gewünscht. Warum wurden auf beiden Seiten Stereotype besetzt: Zehnfach-Vater versus "Deutschlands bekanntester Travestie-Star" (O-Ton Maischberger)? Warum ist in einer Talkrunde mit dem Titel "Homosexualität auf dem Lehrplan" kein Lehrer oder Schüler geladen? Die hätten tatsächlich etwas sagen können über Sexualkundeunterricht heute, über Homophobie an Schulen und die Furcht von Jugendlichen vor dem Coming-out. So aber musste sich Maischberger dem Ist-Zustand mithilfe eines "Aufklärungskoffers" (→ Styroporpenis) und Erfahrungsberichten von Spahn, 33, und Jones, 44, nähern.

E wie Eifer und S wie Styroporpenis

Diskriminierung: Kam aus den genannten Gründen (→ Casting) nicht wirklich zur Sprache - zumindest in Bezug auf Homosexuelle und Transgender. In Erinnerung bleiben irritierenderweise die beiden Mehrfach-Eltern Kelle und Steeb, die ihrerseits die Verunglimpfung von Großfamilien kritisierten. "Was denken Sie, wie oft wir diskriminiert wurden? Wie oft meine Frau gefragt wurde, ob sie so was (Verhütungsmethoden; Anm. d. Red.) nicht kennt?", echauffierte sich der Zehnfach-Vater.

Eifer: Sei in der aktuellen Diskussion im Überfluss vorhanden, auf beiden Seiten, diagnostizierte CDU-Politiker Spahn. Er selbst argumentierte über weite Strecken angenehm besonnen (bis auf ein paar Seitenhiebe gegen Grün-Rot in BaWü). Ein einziges Mal ereiferte auch er sich: Sandra Maischberger hatte ihn als "bekennenden Homosexuellen" vorgestellt - eine Wortwahl, gegen die sich der 33-Jährige verwahrte. "Man bekennt sich zu einer Straftat."

Homophob: Wollte natürlich niemand sein. (→ Akzeptanz)

Indoktrination: Heißt das Schreckgespenst, das Kritiker gegen die schulische Toleranzlehre ins Feld führen. Der frühere Messdiener Spahn fand für diese gezielte Geisterbeschwörung deutliche Worte : "Wenn Sie unterstellen, in der Schule würde jemand schwul gemacht, dann ist das - mit Verlaub - Humbug!" Als Jugendlicher wäre es für ihn mitunter leichter gewesen, nicht schwul zu sein. "Aber es ist einfach so."

Normal: Ist leider immer noch Ansichtssache. Kirchenmann Steeb - der sich ansonsten gerne vor konkreten Antworten und Aussagen drückte - wurde zum Schluss noch einmal sehr deutlich, wie seine Definition von "normal" aussieht: "Das ist nicht gleichwertig, weil es nicht natürlich ist", antwortete er auf die Frage von Moderatorin Maischberger, wie er zu Regenbogen-Familien stehe. (null → tolerant)

Petition: Trägt den Titel "Zukunft - Verantwortung - Lernen: Kein → Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens" und hat mittlerweile etwa 200.000 Unterstützer.

Risiken: und Nebenwirkungen von Homosexualität? Während sich Olivia Jones da ins Mittelalter zurückversetzt fühlte, betonte Steeb: Wissenschaftlich sei die Unbedenklichkeit eines schwul-lesbischen Lebensstils noch nicht bewiesen. "Da brauchen wir mehr Forschung." In der → Petition behauptet der Initiator unter anderem eine höhere Suizidgefährdung, eine erhöhte Anfälligkeit für Alkohol- und Drogensucht und eine geringere Lebenserwartung von homosexuellen jungen Menschen.

Styroporpenis: Zauberte Sandra Maischberger aus dem bereits erwähnten "Aufklärungskoffer" für die Mittelstufe. Während sich Hera Lind über die fortschrittlichen Unterrichtsmaterialien in Sexualkunde freute (einer ihrer auffälligeren Momente), war der Moderatorin das Anschauungsmaterial sichtlich unangenehm.

Tolerant: Wollten natürlich alle sein.

Was wäre, wenn: sich einer Ihrer Söhne als schwul outet, wurde Zehnfach-Vater Steeb gefragt. Der hatte zuvor in einer anderen Talkshow gesagt, er sei glücklich, keine homosexuellen Kinder zu haben. Bei Maischberger wollte er die Frage dann am liebsten gar nicht mehr beantworten - so theoretisch, das sei ja immer schwierig. Am Ende rang ihm die Runde mit vereinten Kräften das Zugeständnis ab, er werde seine Kinder immer lieben und unterstützen, "egal, wie sie sich entwickeln".

Zitat: des Abends (Spahn zu Steeb): "Im Zweifelsfall begegnen wir uns nach dieser Sendung nie wieder - und das ist dann auch gut so."

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